Veto zum portugiesischen Haushalt:Dämpfer für europäischen Sparkurs

Portugal's President Anibal Cavaco Silva removes the Portuguese flag to unveil a plaque during the inauguration of GALP's new refinery plant in Sines

Anibal Cavaco Silva - das Ausscheren des Präsidenten aus der Spar-Phalanx Europas wiegt schwer.

(Foto: REUTERS)

Portugal gilt als Musterfall unter Europas Krisenstaaten, trotzdem versinkt das Land in der Depression. Dass der Präsident die Sparpolitik nicht mehr weiterverfolgen will, wiegt deshalb schwer.

Ein Kommentar von Sebastian Schoepp

Als Portugals Ministerpräsident Pedro Passos Coelho kürzlich im Parlament die neuesten Sparmaßnahmen erläutern wollte, erklang von der Zuschauertribüne plötzlich leiser Gesang. Er brachte nicht nur Passos Coelho, sondern auch die energische Stimme der Parlamentspräsidentin zum Schweigen, die anfangs nachhaltig um Ruhe gebeten hatte. Die Zuschauer sangen mit wachsendem Selbstbewusstsein "Grândola, Vila Morena", das Lied der Nelkenrevolution, die 1974 die Diktatur gestürzt hatte. Die zentrale Zeile lautet "O povo é quem mais ordena": Nun regiert das Volk. Verlegen und mit zerknirschtem Grinsen ließ Passos Coelho die revolutionäre Nostalgieaufwallung passieren.

Nun jedoch haben Passos Coelhos Sparanstrengungen einen Dämpfer erhalten, den er nicht weglächeln kann: Das Verfassungsgericht hat einen Teil des Sparhaushalts für 2013 für ungültig erklärt. Nicht nur - wie früher - Sozialisten und Marxisten hatten sich an das Gericht gewandt, sondern auch ausgerechnet der höchste Mann des Staates: Präsident Aníbal Cavaco Silva, ein Konservativer und Parteifreund Passos Coelhos. Er galt als Anhänger eines wirtschaftsliberalen Kurses, war populistischer Neigungen unverdächtig und lag bisher auch voll auf der Linie eines weiteren Parteifreundes, des portugiesischen EU-Kommissionschefs José Manuel Barroso.

Das Ausscheren eines Mannes wie Cavaco Silva aus der Spar-Phalanx für Europa wiegt schwer. Auf seine Initiative hin wurde der Sparkurs erstmals nicht aus sozialen, nationalen oder politischen Erwägungen abgelehnt, sondern mit harten juristischen Argumenten. Sollte der Präsident erwartet haben, das Gericht werde den Sparhaushalt sozusagen mit höchstrichterlichen Weihen versehen, so wäre dieser Plan spektakulär schiefgegangen. Anzunehmen ist aber eher etwas anderes. Als er seine Eingabe zur Jahreswende präsentierte, sagt Cavaco Silva, er müsse jetzt "an die Portugiesen denken", um den Teufelskreis der Rezession zu durchbrechen.

Angst vor sozialen Unruhen

Portugal galt bis dahin als Spar-Musterknabe. Passos Coelho war mit dem Versprechen angetreten, nicht nur notgedrungen zu reformieren, sondern dies aus Überzeugung zu tun. Dafür wurde er von Berlin und Brüssel mit Lob überhäuft. Die Regierung verhökerte Staatsunternehmen an Chinesen und Franzosen, erhöhte die Abgaben, räumte den Staatsapparat aus. Doch alle Bemühungen haben nichts gefruchtet. Portugals Wirtschaft steht am Abgrund, die Arbeitslosenzahl ist auf Rekordhöhe, Besserung auch 2013 nicht in Sicht. Der Konsum lahmt, der Mittelstand ist von Armut bedroht. Das Land versinkt in Depression. Da wollte der Präsident wohl den Eindruck verwischen, er winke jede Grausamkeit durch.

Es ist portugiesische Tradition, Umstürze aus den Institutionen heraus zu entwickeln. Auch die Nelkenrevolution, die Jahrzehnte der Diktatur beendete, war kein blutiger Aufstand, sondern eine von langer Hand vorbereitete, sanfte Unterhöhlung eines Systems von innen heraus, die in einer symbolischen Geste gipfelte: des Marschs der Streitkräfte mit Nelken in den Gewehrläufen durch die Straßen. Den Vergleich zwischen Salazar-Diktatur und Brüsseler Spardiktat mag man im Norden Europas als Unsinn abtun, doch er trifft die Meinung von immer mehr Portugiesen.

Dieser Opposition sollten Regierung und EU-Partner Rechnung tragen, wenn nicht die Prophezeiung der UN-Arbeitsorganisation ILO in Erfüllung gehen soll, die an diesem Wochenende vor sozialen Unruhen in Südeuropa warnte. Die Euro-Staaten hätten zu viel Wert darauf gelegt, ihre Haushalte zu sanieren, stellt die ILO fest und fordert: Sie sollten mehr Rücksicht auf Arbeitsplätze nehmen.

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