Verwahrloste Kinder:"Die Menschen sind wacher"

Schon wieder haben die Berliner Behörden eine Familie in einer völlig vermüllten Wohnung entdeckt. Die SZ sprach mit der Berliner Jugendamts-Chefin über verwahrloste Kinder.

Andreas Schubert

Schon wieder haben die Berliner Behörden eine Familie in einer völlig vermüllten Wohnung entdeckt. Nun wird geprüft, ob die 39 Jahre alte Mutter von zwei Kindern ihre Fürsorgepflicht verletzt hat. Die SZ sprach mit Gabriele Vonnekold, der Leiterin des Jugendamts Neukölln.

SZ: Immer wieder entdeckt man in Berlin Kinder in verwahrlosten Wohnungen. Wie kommt es zu dieser Häufung?

Vonnekold: Schwierig zu beantworten. Die Fälle sind sehr unterschiedlich. Generell kann man aber sagen, es gibt zunehmend Familien, die mit ihren Problemen nicht mehr zurecht kommen. Das geht quer durch alle sozialen Schichten. Wobei Armut natürlich die Hoffnungslosigkeit befördert. Die Leute fragen sich dann: Wozu soll ich noch aufräumen, hat doch eh alles keinen Sinn.

SZ: Die Familie war dem Jugendamt seit anderthalb Jahren bekannt, warum wurde nichts unternommen?

Vonnekold: Die Mutter ist kein Monster. Sie hat sich immer um ihre Kinder gekümmert. Äußerlich waren sie gepflegt und gesund. Das haben ärztliche Untersuchungen ergeben. Die Mutter hat sich sogar selbst ans Jugendamt gewendet, ist pünktlich zu den Beratungsterminen erschienen und war sehr kooperativ. Es gab keinen Grund für einen Hausbesuch.

SZ: Wann finden Hausbesuche statt?

Vonnekold: Wenn man Grund hat, anzunehmen, dass etwas nicht stimmt. Das war hier zunächst nicht der Fall. Aber als wir Hinweise hatten, wurde sofort reagiert.

SZ: Sollte das Jugendamt nicht prinzipiell Hilfesuchende zu Hause aufsuchen?

Vonnekold: Ideal wäre, wenn alle Kinder besucht werden könnten. Aber das kann keiner bezahlen. In akuten Fällen sind wir schnell vor Ort. Aber die Kapazitäten sind begrenzt. Wir finden es gut, dass mehr Fälle als früher bekannt werden. Nur fehlt uns das Personal, diese optimal zu bearbeiten.

SZ: Sie haben den Tipp von einem Nachbarn bekommen. Sind die Menschen aufmerksamer geworden?

Vonnekold: Ja, die Menschen sind wacher geworden. Zumindest im Kinderschutz entwickelt sich langsam eine gewisse Sensibilität. Die Leute denken nicht mehr: Das geht mich nichts an.

SZ: Wie konnte es passieren, dass trotzdem so lange keiner etwas bemerkt hat?

Vonnekold: Das ist die Großstadt. Die Leute leben nebeneinander statt miteinander.

SZ: Was geschieht mit der Familie?

Vonnekold: Die Kinder sind erstmal in Obhut bei einer Jugendhilfeeinrichtung. Die Mutter erhält eine intensive Beratung. Ziel ist, die Kinder und die Mutter wieder zusammenzubringen.

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