Vertriebenen-Stiftung:Steinbach ist weg, die Probleme beginnen

Erika Steinbachs Rückzieher hat seinen Preis: Die Vertriebenen-Stiftung wird nun in erster Linie der deutschen Selbstverständigung dienen.

Franziska Augstein

Der gordische Knoten sei zerschlagen, hieß es, als Erika Steinbach jüngst erklärte, sie verzichte auf einen Sitz im Stiftungsrat der Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung". Die Zugeständnisse, mit denen die Bundesregierung sich diese Lösung erkaufte, waren beachtlich: Die geplante Ausstellungsfläche des "Sichtbaren Zeichens gegen Flucht und Vertreibung" wurde um fast 1000 Quadratmeter auf 3000 Quadratmeter erhöht. Künftig wird der Bundestag die Mitglieder des Stiftungsrats bestimmen. Und der Einfluss des Bundes der Vertriebenen (BdV) auf die Stiftungspolitik wurde vergrößert: Sollten bisher drei von 13 Ratsmitgliedern vom BdV gestellt werden, sind es nun sechs von 21.

Vertriebenen-Stiftung: Erika Steinbach, Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, am 11. Februar nachdem sie bekanntgegeben hatte, dass sie auf ihren Sitz im Stiftungsrat der Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung" verzichten wird.

Erika Steinbach, Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, am 11. Februar nachdem sie bekanntgegeben hatte, dass sie auf ihren Sitz im Stiftungsrat der Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung" verzichten wird.

(Foto: Foto: dpa)

Die Regierungsparteien waren zufrieden, die Leute vom BdV erst recht. Und nun meint man, die Polen, die Frau Steinbach für untragbar erklärt hatten, müssten endlich Ruhe geben. Sind die Probleme gelöst? Mitnichten. Jetzt fangen sie erst an. Was den Politikern der Regierungskoalition bei ihrem diplomatischen Geschachere mit dem BdV einerlei war, ist das eigentlich Wichtige: Wozu soll die Stiftung da sein, und wie soll das umgesetzt werden?

Ausländer im Stiftungsrat unerwünscht

Die Stiftung, die 2005 von der großen Koalition beschlossen wurde, war als Werk der internationalen Verständigung gedacht. In dem Gesetz, das Ende 2008 verabschiedet wurde, heißt es: "Zweck der unselbständigen Stiftung ist es, im Geiste der Versöhnung die Erinnerung und das Gedenken an Flucht und Vertreibung im 20. Jahrhundert im historischen Kontext des Zweiten Weltkrieges und der nationalsozialistischen Expansions- und Vernichtungspolitik und ihrer Folgen wachzuhalten."

Der Arbeitstitel für die geplante Ausstellung zur Erinnerung an die Flucht und Vertreibung von Millionen Menschen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts lautet: "Sichtbares Zeichen". Das Zeichen, das bisher von den Verantwortlichen gesetzt wurde, steht allerdings eher dafür, dass die Deutschen bei ihrer Versöhnung auf die Mitwirkung von Ausländern nicht angewiesen sein wollen.

Der Stiftungsrat wird paritätisch besetzt, da gibt es außer den sechs Vertretern des BdV jeweils zwei Vertreter der katholischen und evangelischen Kirche sowie des Zentralrats der Juden in Deutschland. Hinzu kommen drei Vertreter der Bundesregierung und vier Parlamentarier (zwei von der Union, einer von der FDP, einer von der SPD). Komplettiert wird die Runde durch Hans Ottomeyer, den Direktor des Deutschen Historischen Museums, dem die Stiftung angegliedert ist, und Hans Walter Hütter, ihm untersteht das Haus der Geschichte in Bonn.

Einen Ausländer konnte man im Stiftungsrat nicht brauchen. Es wird darauf verwiesen, dass drei Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats aus europäischen Nachbarländern kommen. Einer von ihnen, der angesehene polnische Historiker Tomasz Szarota, hat unlängst zornig aufgegeben: "Worum geht es der Berliner Stiftung denn nun", fragte er in einem Gespräch mit der Tageszeitung, "darum, die Erinnerung an die Vertriebenen wiederzubeleben und dauerhaft zu machen? Ich dachte bisher, dass es um eine Versöhnung mit Polen geht, jetzt sehe ich, dass es offenbar um eine Versöhnung zwischen den Vertriebenen und anderen Deutschen gehen soll."

Eine Alibiveranstaltung

Szarotas Protest hat gute Gründe. Sie sind nicht bloß politischer, sondern auch wissenschaftlicher Natur. Kulturstaatsminister Bernd Neumann hatte 2008 verkündet, die geplante Dauerausstellung solle sich "nicht nur auf die deutschen Vertriebenen konzentrieren", dabei aber an die Ausstellung "Flucht, Vertreibung, Integration" anknüpfen.

Diese Schau, die 2005 im Bonner Haus der Geschichte eröffnet wurde, war vornehmlich auf die deutsche Geschichte fixiert. Sie setzte darauf, den Besuchern die Identifikation mit Vertriebenen zu ermöglichen. Vergeblich haben Wissenschaftler unterschiedlicher Nationalität und Angelica Schwall-Düren, die SPD-Vertreterin im Stiftungsrat, vorgeschlagen, dass diese Ausstellung von Fachleuten begutachtet werden möge, wenn man sie denn als Vorbild für eine international ausgerichtete Dauerausstellung hernehmen wolle.

Mehr als ein Jahr ist vergangen, seitdem die Stiftung per Gesetz beschlossen wurde. Bald ein halbes Jahr ist vergangen, seit ihr Direktor, Manfred Kittel, offiziell eingesetzt wurde. Von einer internationalen Tagung zur Klärung der Frage, was in der Ausstellung "Sichtbares Zeichen" zu sehen sein soll, ist viel die Rede. Es gab einen Anlauf, aber das Vorhaben platzte: Allzu offensichtlich schien es manchen Gästen aus dem Ausland zu sein, dass es sich um eine Alibiveranstaltung handelte. "Da sollten einige mehr oder minder geeignete Referatchen gehalten werden", sagt Angelica Schwall-Düren. Auch ein zweites Vorhaben versandete.

Gefühle statt Geschichte

Notwendig ist nicht eine PR-Tagung, sondern eine wissenschaftlich fundierte Auseinandersetzung über die Konzeption der Ausstellung. Ob es das geben wird, steht in den Sternen. Vorerst wurde die Publizistin Helga Hirsch, Mitglied des "wissenschaftlichen Beirats" der Stiftung, damit betraut, eine Wanderausstellung zu konzipieren, die das "Sichtbare Zeichen" setzen soll, solange das Deutschlandhaus in Berlin noch nicht umgebaut ist.

Helga Hirsch hat der SZ gesagt, worauf es ihr ankommt: Die Ausstellung soll die Vertreibungen zeigen, die in Europa zwischen 1938 und etwa 1950 stattgefunden haben. Auf die Vernichtung der Juden könne man in diesem Zusammenhang nicht eingehen - die sei historisch unvergleichbar. Helga Hirsch hält es für sehr wichtig, die Erinnerung an die Vertreibung den Angehörigen der "zweiten und dritten Generation" zu vermitteln, die Besucher der Ausstellung müssten "emotional abgeholt werden". Sie hat nichts dagegen einzuwenden, dass es sich bei der gesamten Stiftung um eine vornehmlich deutsche Veranstaltung handelt.

Museumsdidaktisch problematisch

Es sei "schön, wenn andere Länder auch etwas machen", sagt Helga Hirsch und verweist auf das Museum der Geschichte des Zweiten Weltkriegs, das die Regierung von Donald Tusk seit 2007 plant. Dieses Museum soll übrigens entstehen, weil Polen sich bei den Planungen für das "Sichtbare Zeichen" ganz und gar nicht abgeholt fühlt,

Stichwort Gefühle: Sie werden von Kulturstaatsminister Bernd Neumann groß herausgestrichen. In Neumanns Kurzkonzeption für die Dauerausstellung "Sichtbares Zeichen" wird ein "emotionaler Zugang zum Thema" erwünscht. Eine "emotionale, auf Empathie abzielende Auseinandersetzung mit der Thematik" soll "Gedenken und Erinnerung" ermöglichen. "Biographische Elemente" sollen "Empathie sowie konkrete Anschauung nahelegen". Nicht um historisches Verständnis geht es also, sondern um Gefühle.

Das ist museumsdidaktisch problematisch, entspricht aber genau den politischen Vorstellungen des Bundes der Vertriebenen: Der will ein Museum, das die Vertreibung von vielen Millionen Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg in die Geschichte der Vertreibungen in Europa im 20. Jahrhundert einbettet. Bei so einer Sichtweise, die über die NS-Vernichtungspolitik hinweggeht, kommen die deutschen Vertriebenen als Opfer zu vorzüglicher Geltung, dies schon zahlenmäßig.

Ein Museumsdirektor könnte da gegensteuern. Aber in Manfred Kittel hat der Stiftungsrat im Sommer 2009 jemanden gewählt, der dazu keine Anstalten macht. Im Gegenteil. Mit einem Büchlein des Titels "Vertreibung der Vertriebenen?" hat der Historiker Kittel sich 2007 für seinen Posten empfohlen. Für die Süddeutsche Zeitung war er nicht zu sprechen. Sein Buch ist indes aussagekräftig genug: Er lobt Erika Steinbachs Initiative und behauptet, dass die Vertriebenen in der "Erinnerungskultur" der Deutschen "jahrzehntelang" nicht genügend vertreten gewesen seien. Sein Fazit: Man dürfe von "einer zweiten, geistigen Vertreibung der Vertriebenen" reden. Diese zweite Vertreibung soll in den siebziger Jahren stattgefunden haben.

Folgendes zeichnet sich ab: Die Geschichte der deutschen Vertriebenen soll aus dem Kontext der nationalsozialistischen Expansions- und Vernichtungspolitik möglichst herausgelöst und in eine allgemeine Geschichte von Vertreibungen eingebettet werden - die historischen Hintergründe sind aber jeweils so komplex, dass man die im Katalog wird nachlesen müssen. Eigentlich sollte Völkerverständigung demonstriert werden. Tatsächlich wird das "Sichtbare Zeichen" eine deutsche Veranstaltung sein.

Die Polen, die gern mitgemacht hätten, wurden außen vor gelassen; von anderen Nationen gar nicht zu reden. Das "Sichtbare Zeichen gegen Flucht und Vertreibung" sollte ein Instrument der internationalen Verständigung sein. Jetzt sieht es aus, als werde es, wie Tomasz Szarota sagt, in erster Linie der deutschen Selbstverständigung helfen.

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