Vertrauensfrage:Knalleffekt im Staatstheater

In der politischen Trickkiste gilt die Vertrauensfrage als eine Art Wunderwaffe. Schon Schröders Vorgänger Brandt, Schmidt und Kohl machten davon Gebrauch - meist sehr einfallsreich, aber nur selten im Sinne des Grundgesetzes. Eine Typologie.

Von Gregor Schiegl

Das Prozedere der Vertrauensfrage ist schnörkellos in Artikel 68 Grundgesetz niedergelegt: "Findet ein Antrag des Bundeskanzlers, ihm das Vertrauen auszusprechen, nicht die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages, so kann der Bundespräsident auf Vorschlag des Bundeskanzlers binnen 21 Tagen den Bundestag auflösen. Das Recht zur Auflösung erlischt, sobald der Bundestag mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen anderen Bundeskanzler wählt."

Gerhard Schröder, AP

Vertrauensfrage, die erste: Gerhard Schröder wirbt im Bundestag für den Afghanistan-Einsatz

(Foto: Foto: AP)

Gedacht ist die Vertrauensfrage dazu, die Legitimität einer Regierung zu stärken und so sicherzustellen, dass sie handlungsfähig bleibt. Soweit die graue Theorie. Hier die bunte Praxis:

Modell Schröder: Abweichler auf Linie bringen

Bundeskanzler Schröder hat vor vier Jahren schon einmal die Vertrauensfrage gestellt. Unter dem noch frischen Eindruck der Terroranschläge auf das World Trade Center in den USA machte der Kanzler im November 2001 die Entsendung von Bundeswehrsoldaten nach Afghanistan zu einer politischen Schicksalsentscheidung. Die Aussicht auf Neuwahlen diente ihm damals als Druckmittel auf linke Genossen und grüne Pazifisten, den Beschluss mitzutragen.

Obgleich schließlich 336 statt der benötigten 334 Abgeordneten von Rot-Grün der Entsendung ihr Plazet gaben, stand die Entscheidung bis zuletzt auf des Messers Schneide. Das Unternehmen schien so riskant, dass FDP-Chef Guido Westerwelle die Absichten Schröders völlig verkannte: Der Kanzler wolle Neuwahlen, orakelte er damals in Interviews, und empfahl die Liberalen schon mal als neuen Juniorpartner für die SPD.

Die Linken in der Koalition nahmen Schröder die drastische Maßnahme übel. Einige sprachen sogar von "Erpressung".

Modell Brandt: Handlungsfähigkeit zurückgewinnen

Der erste Kanzler der Bundesrepublik, der die Vertrauensfrage stellte, war Willy Brandt. Nachdem die CDU/ CSU-Opposition mit einem konstruktiven Misstrauensvotum gegen Brandt gescheitert war und der verhinderte Unionskanzler Rainer Barzel erst einmal seine Niederlage verdauen musste, ging Brandt am 20. September 1972 in die Offensive. Er stellte die Vertrauensfrage, aber nicht mit der Absicht sie zu gewinnen. Durch eine Niederlage wollte er den Weg zu Neuwahlen freimachen. Die Mehrheit hatte die Regierung zuvor bereits eingebüßt, im Bundestag herrschte ein Patt.

Brandts Coup gelang. Nach achtstündiger, teils hitziger Debatte sprachen 233 Abgeordnete dem Kanzler das Vertrauen aus, 248 Unionsabgeordnete, und damit die Mehrheit, stimmten mit Nein. Die Minister enthielten sich, da sie ja "die Beteiligten" seien. Präsident Heinemann löste daraufhin den Bundestag auf.

Der rechtlich umstrittene Trick, eine Vertrauensabstimmung herbeizuführen, in der das Vertrauen gar nicht erwünscht ist, hatte Erfolg. Am 19. November bestätigten die Bundesbürger die sozialliberale Regierung mit deutlicher Mehrheit: Die SPD wurde zum ersten Mal stärkste Fraktion.

Knalleffekt im Staatstheater

Modell Schmidt: Ränkespiele beenden

Willy Brandt, dpa

Angriff ist die beste Verteidigung: Willy Brandt

(Foto: Foto: dpa)

Zehn Jahre später, im Februar 1982, folgte die nächste Vertrauensfrage, diesmal von SPD-Kanzler Helmut Schmidt.

Die sozialliberale Koalition war zerrüttet. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Wehner äußerte Zweifel, dass die Abgeordneten der Regierungsparteien das arbeitsmarktpolitische Programm des Kanzlers mittragen würden. Weil Wehner das öffentlich getan hatte, sah sich Schmidt gezwungen, die Flucht nach vorne anzutreten. Schmidt erklärte, er sei sich sicher, dass sein Programm beschlossen werde.

Dennoch stellte er am 3. Februar 1982 den Antrag, über die Vertrauensfrage abzustimmen. Der Schritt wurde als ebenso demonstrativ wie ultimativ empfunden, zumal er der Form nach nicht mit der Abstimmung über ein Gesetz verbunden war.

Die Vertrauensfrage ging für Schmidt zunächst gut aus. Mit 269 gegen 224 Stimmen bekam er das Vertrauen für sein umstrittenes arbeitsmarktpolitisches Programm ausgesprochen.

Der politische Frühling in der Regierung Schmidt währte aber nicht lange. Die Koalition bröckelte: Im September verließen die FDP-Minister das Kabinett. Nachdem die Koalition zerbrochen war, wählte der Bundestag Schmidt mit einem konstruktiven Misstrauensvotum ab. Kohl wurde neuer Kanzler.

Modell Kohl: Macht ausbauen

Bereits wenige Wochen nach dem Machtwechsel nutzte auch Kohl die Vertrauensfrage. Mit diesem Schritt führte er Neuwahlen herbei, die der Union eine komfortable Mehrheit im Bundestag verschaffen sollten.

Die neue Regierung müsse sich dem Urteil des Wählers stellen, argumentierte Kohl. Der neue SPD-Kanzlerkandidat Hans-Jochen Vogel sprach von einem "Staatstheater eigener Art". Bundespräsident Karl Carstens (CDU) setzte Neuwahlen für den 6. März 1983 an. Zurücktreten wollte Kohl in der Zwischenzeit nicht. Der Taktiker wollte als Kanzler in die Wahl ziehen.

Knalleffekt im Staatstheater

Helmut Schmidt, dpa

Altkanzler Helmut Schmidt

(Foto: Foto: dpa)

Gelbe Karte aus Karlsruhe

Die "unwahre" Abstimmung führte zu heftigen Kontroversen. Das Bundesverfassungsgericht musste entscheiden, ob überhaupt Neuwahlen ausgeschrieben werden durften: Mit einem knappen Votum von vier zu drei Stimmen ließen die Richter die unechte Vertrauensabstimmung noch einmal durchgehen.

Sie stellten aber klare Bedingungen dafür auf, wann ein Kanzler die Auflösung des Bundestags über die Vertrauensfrage anstreben darf: "Die politischen Kräfteverhältnisse im Bundestag müssen seine Handlungsfähigkeit so beeinträchtigen oder lähmen, dass er eine vom stetigen Vertrauen der Mehrheit getragene Politik nicht mehr sinnvoll zu verfolgen vermag."

Aus der Instrumentalisierung der Vertrauensfrage haben die Karlsruher Richter ihre Lehren gezogen und dem Modell Kohl einen Riegel vorgeschoben: Das Parlament dürfe nicht aufgelöst werden, wenn bei einem Kanzler die "ausreichende Mehrheit im Bundestag außer Zweifel" stehe und ein Kanzler, versuche, "sich zum geeignet erscheinenden Zeitpunkt die Vertrauensfrage negativ beantworten zu lassen", um Neuwahlen zu bewirken, heißt es. Ein Kanzler, der durch Misstrauensvotum an die Macht gekommen sei, sei dadurch ausreichend legitimiert. Für ihn bestehe keine Veranlassung, deswegen noch die Vertrauensfrage zu stellen.

Gerhard Schröders Kanzlermehrheit im Bundestag beträgt zurzeit nur noch wenige Sitze. Da der linke Flügel der SPD schon mehrmals rebellierte, vor allem bei sozialpolitischen Fragen, könnte er seine Vertrauensfrage dieses Mal "ehrlich" verlieren.

Wenn ein Kanzler sich darüber hinaus nur auf "besondere Schwierigkeiten der in der laufenden Wahlperiode sich stellenden Aufgaben" berufe, sei dies kein ausreichender Grund, den Bundestag bei einer gescheiterten Vertrauensfrage aufzulösen. Entsprechend wird Schröders Vertrauensfrage im Zusammmenhang mit dem Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan ein Unikum bleiben: Eine Auflösung des Bundestags wäre in diesem Fall unzulässig gewesen.

In die Geschichte wird Schröder dennoch eingehen: Der siebte Kanzler der Bundesrepublik wird der erste sein, der zwei Mal eine Vertrauensfrage stellt.

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