Verteidigungspolitik:Schweden geht auf Nummer sicher

Broschüre für Kriegs- und Krisenfall in Schweden

Die schwedische Zivilschutzbehörde präsentiert die Broschüre "Falls Krise oder Krieg kommt".

(Foto: dpa)

Die Zivilschutzbehörde schickt allen Haushalten Verhaltensregeln für Kriege und Krisen: "Weil sich die Welt um uns herum verändert hat." Zugleich gibt das Land wieder mehr Geld für sein Militär aus.

Von Silke Bigalke, Stockholm

Nächste Woche bekommen alle Schweden Post, auf die sie seit Monaten vorbereitet werden. Die Zivilschutzbehörde MSB schickt jedem Haushalt eine Broschüre mit dem Titel "Wenn eine Krise oder Krieg kommt". Im Internet sind die Anweisungen sogar in 13 Sprachen erhältlich. Jeder, der in Schweden lebt, soll sich auf den Ernstfall vorbereiten.

Die Broschüre ist Teil eines alten Konzepts, das die schwedische Politik wiederentdeckt hat: "Totalförsvaret", das bedeutet "totale" oder "Gesamtverteidigung". Alle machen mit, Militär, Gemeinden, zivile Einrichtungen und schwedische Haushalte. "Weil sich die Welt um uns herum verändert hat", steht in dem Heft, wolle die Regierung die Gesamtverteidigung stärken.

Die erste Krisenbroschüre seit 1961

Was ist zu tun, wenn Krieg ausbricht, wie hört sich Fliegeralarm an und wo ist der nächste Schutzraum? Das Heft erklärt auf 20 Seiten, wie sich die Schweden auf Zeiten vorbereiten, in denen die Heizung nicht läuft, Läden und Apotheken leer sind, kein Wasser fließt und kein Benzin zu haben ist. Es gibt darin Listen von Dingen, die jeder bereit legen sollte: Kerzen, Kartoffeln, Batterien und Bargeld etwa. Die letzte Krisen-Broschüre hat die Regierung im Kalten Krieg verschickt, im Jahr 1961.

Damals war Schwedens Verteidigung wahrscheinlich stärker als heute. Seit den 1990er-Jahren hat das Land beim Militär eingespart. Die Tatsache, dass es keinem Verteidigungsbündnis angehört und eher ab- als aufrüstet, war lange Teil der Sicherheitsstrategie. Wer sollte das neutrale Schweden schon in einen Konflikt hineinziehen? Den Anlass für die neue Lageeinschätzung liefert Russland: Die Krim-Annektierung von 2014 sei die "größte Herausforderung für die europäische Sicherheit seit dem Kalten Krieg", schrieb die schwedische Verteidigungskommission, und dass Schweden in einen Konflikt zwischen den baltischen Staaten und Russland hineingezogen werden könnte.

Vieles in dem Heft klingt militärisch

Ein solcher Konflikt sei zwar unwahrscheinlich, aber Moskau eben auch unberechenbar, hieß es. Seither habe sich die Sicherheitslage im Ostseeraum "ständig verschlechtert", sagte Verteidigungsminister Peter Hultqvist im Februar. Erst im April hat dort das russische Militär wieder geübt und schwedische Passagierboote mussten Umwege fahren.

Die Zivilschutzbehörde hatte ihre Broschüre schon lange angekündigt. Sie hat immer wieder betont, dass es dabei nicht nur um Krieg gehe, sondern auch um Naturkatastrophen, Terroranschläge und Cyberattacken. Schweden weist also in altem Stil auf neue Gefahren hin. Vieles klingt trotzdem militärisch: "Wenn Schweden von einem anderen Land angegriffen wird, geben wir niemals auf", steht zum Beispiel im Kapitel über Angriffe. "Jede Information, die dazu führt, dass der Widerstand eingestellt wird, ist falsch."

Mehr Geld fürs Militär

Schweden holt nun einiges von dem zurück, was es nach dem Kalten Krieg hinter sich lassen wollte: Es hat die Wehrpflicht wieder eingeführt, wenn auch in kleinem Umfang. Überall im Land sind zudem Bunker und Schutzräume inspiziert worden. Und das Militär kehrt auf verlassene Stützpunkte zurück. Auf der strategisch wichtigen Insel Gotland baut Schweden sogar ein ganzes Regiment neu auf - das erste seit dem Zweiten Weltkrieg.

Die Regierung erhöht Jahr für Jahr das Verteidigungsbudget, auch wenn es mit einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts immer noch moderat ist. Die Oppositionsparteien, Bürgerliche und Liberale, wollen dem Militär noch deutlich mehr Geld geben. Sicherheit ist zu einem der entscheidenden Themen für die Parlamentswahl im September geworden. Zum allgemeinen Gefühl der Verunsicherung trägt bei, dass Schweden vergangenes Jahr den ersten Terroranschlag mit Todesopfern hinnehmen musste. Zudem bekommt die Polizei die Bandengewalt in den Städten nicht in den Griff.

Schweden sieht sich als "Teil eines europäischen Sicherheitsnetzwerks"

Ein Wahlthema dürfte wohl auch die Frage nach einem Nato-Beitritt werden. Dafür gab es bisher weder in Schweden noch in Finnland eine Mehrheit. Beide Länder versuchen seit 2014 verstärkt, sich anderweitig zu vernetzen. Ihre skandinavischen Nachbarn, Island, Norwegen und Dänemark, gehören der Nato an. Alle fünf nordischen Länder kooperieren in Verteidigungsfragen, tauschen sich etwa zu Luftraumverletzungen durch Russland aus, üben zusammen, sprechen über eine gemeinsame nordische Uniform.

Schweden sieht sich als "Teil eines Sicherheitsnetzwerks in unserem Teil Europas", sagt Verteidigungsminister Peter Hultqvist. Es liegt eine seltsame Unentschlossenheit darin: Einerseits wäre Schweden im Ernstfall auf Hilfe von außen angewiesen, anderseits scheut es sich davor, in einen Konflikt hineingezogen zu werden.

Mit der Krisenbroschüre wissen die Schweden nun zumindest, wo sie im Notfall anrufen müssen - die letzte Seite listet Telefonnummern und Internetseiten auf. Falls die dann noch funktionieren.

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