Karl-Theodor zu Guttenberg: Rücktritt:Das Sein und der schöne Schein

Viele Bürger orientieren sich eher an Personen als Programmen, Politiker setzen auf gefühlige Bilder und menschelnde Geschichten. Virtuos bediente der Ex-Verteidigungsminister Guttenberg die Ressentiments des Stammtischs und den Populismus des Boulevards. Doch der Fall Guttenberg zeigt auch, dass es gefährlich sein kann, wenn Politiker ihr Image selbst gestalten wollen.

Thomas Steg

Thomas Steg, geboren 1960, war von 2002 bis 2009 stellvertretender Sprecher der Bundesregierung. Er arbeitet als Kommunikations- und Medienberater in Berlin.

Wetten, dass..? Guttenberg

Er war stets da, wo die Kameras waren: Der damalige Bundeswirtschaftsminister und spätere Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, hier mit seiner Frau Stephanie auf der Couch der ZDF-Sendung "Wetten, dass..?" im Oktober 2009.

(Foto: ddp)

Wir Deutschen leben in einer "Augen-Kultur". Wer etwas mit eigenen Augen gesehen hat, ist von einer Sache und ihrem Wesen überzeugt. Wer sich ein Bild von einem Menschen oder einem Ereignis gemacht hat, traut sich ein eigenes Urteil zu. So sehr immer noch zutrifft, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt, so sehr spricht alles dafür, dass der Schein die Wahrnehmung bestimmt. Politiker stehen bekanntermaßen unter ständiger öffentlicher Beobachtung. Mehr als andere sind sie deshalb darauf bedacht, die Fremdwahrnehmung der eigenen Person nicht dem Zufall zu überlassen. Der frühere britische Premier Tony Blair hatte dafür seine Spindoktoren, der zurückgetretene Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg vertraute auf die verlässliche Unterstützung prominenter Medien und Medienmacher.

Man mag es bedauern, doch die meisten Bürger orientieren sich mehr an Personen als an Programmen. Die Personalisierung von Politik ist ein säkularer Trend. Sie ist nicht mit Entpolitisierung gleichzusetzen, denn Personen erleichtern den Zugang zur Politik und das Verständnis von Politik.

Während die meisten Politiker schon einigermaßen froh sind, als fachkundig und respektabel zu erscheinen, wurden dem fränkischen Freiherrn Aura und Ausstrahlung, Charisma und Empathie, Unabhängigkeit und Leidenschaft attestiert. Diese Eigenschaften sind Guttenberg zugeschrieben worden, ohne dass er sie tatsächlich nachgewiesen hätte. Seine phänomenale Wirkung resultierte aus den irrationalen Projektionen, die viele Menschen auf ihn gerichtet haben, wobei auch latent antidemokratische Affekte und Sehnsüchte nach einer starken und weisen Lichtgestalt mitschwingen, der man bereitwillig folgen möchte.

Mit einer gehörigen Virtuosität bediente der Minister die Ressentiments des Stammtischs und den Populismus des Boulevards. Sein Erfolgsgeheimnis bestand darin, sich als der "etwas andere Politiker" zu präsentieren. Er kokettierte mit einer Distanz zur politischen Klasse, deren Teil er ist. Er spielte mit dem Image des Ungewöhnlichen. Doch dieses Attribut kann sich rasch als flüchtig erweisen. In seiner Dissertation hat sich Guttenberg verhalten wie dereinst Fürst Potemkin. Die Arbeit ist ein wissenschaftliches Blendwerk. Indes, noch stand das Volk mehrheitlich zu ihm. Aber schon Luther wusste: "Eine Lüge ist wie ein Schneeball; je länger man ihn wälzt, je größer wird er."

Guttenbergs Hoffnung, dass ihn seine Fehlbarkeit "normaler" und "menschlicher" erscheinen lassen könnte, erwies sich als Irrtum. Denn ein Minister mit dem Makel der Täuschung und Unaufrichtigkeit wird irgendwann zu einer Belastung. Als das bürgerliche Publikum an seiner Moral, Überzeugung und Gesittung zu zweifeln begann, gab es kein Halten mehr. Die Bundeskanzlerin, die sich ungeschickt und unglücklich mit ihm solidarisierte, wird Mühe haben, den Kollateralschaden für die Union und das "bürgerliche Lager" zu begrenzen.

Es lauern also beträchtliche Gefahren, wenn Politiker versuchen, ihr Image nach eigenen Wunschvorstellungen zu gestalten. Der frühere SPD-Vorsitzende Rudolf Scharping kann davon ein Lied singen. Zu gern wollte der Mann aus dem Westerwald dynamischer, moderner und zupackender wirken. Schließlich schickte er sich 1994 an, Helmut Kohl die Kanzlerschaft zu entreißen. Nichts ließ er unversucht: neue Kleidung, neue Frisur, neue Brille. Sogar der Bart kam ab, doch Scharping blieb der alte. Die Menschen entlarven solche Versuche des Styling und des bemühten Image-Wandels unschwer als plumpe Inszenierung. Sie durchschauen die Attitüde und wünschen nichts mehr als Authentizität.

Fixiert auf mediale Botschaften

In ihrer Fixierung auf mediale Botschaften, gefühlige Bilder und menschelnde Geschichten übersehen Politiker oft eine entscheidende Tatsache: für die Öffentlichkeit sind sie keineswegs unbeschriebene Blätter. Den einschlägigen Umfragen zufolge kennen praktisch alle Deutschen ihre jeweiligen Spitzenpolitiker, obwohl sie ihnen persönlich nie begegnet sind. Trotzdem sind es - mit einem Begriff des amerikanischen Sozialwissenschaftlers Erving Goffman - die "verkörperten Informationen", die den Schlüssel dafür liefern, warum manche Politiker bei den Menschen ankommen, andere hingegen nicht vermittelbar sind. Warum diese als charmant und sympathisch wahrgenommen werden, jene hingegen als undurchschaubar und unfreundlich.

Der frühere Außenminister Joschka Fischer ist übrigens ein Beleg dafür, dass die "verkörperten Informationen" keineswegs von diversen Häutungen und Metamorphosen oder der alternierenden Zu- und Abnahme des Bauchumfangs abhängen, solange dem jeweiligen Politiker nur bescheinigt wird, in allem glaubwürdig zu sein.

Hingegen gilt der frühere Seidenhemd-Sozialist Oskar Lafontaine seit seinem Machtkampf mit Gerhard Schröder um die SPD-Kanzlerkandidatur im Jahre 1998 als "Mann mit dem bösen Blick", der eine entsprechend abschreckende Wirkung entfaltet. Den FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle empfinden die Menschen als überspannt und überdreht; sein Ton bei öffentlichen Auftritten klingt allzu forsch und überheblich.

An der Bundeskanzlerin schätzt eine Mehrheit die nüchterne Sachlichkeit. Angela Merkel wirkt unprätentiös, zugleich aber unterkühlt. Der als Redner begeisternde SPD-Chef Sigmar Gabriel wiederum gilt als sprunghaft. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier wirkt als sein Antagonist zwar solide, viele vermissen bei ihm jedoch Temperament. Der Grünen-Fraktionsvorsitzende Jürgen Trittin gilt als gewieft, doch wirkt er Befragten zufolge eher unsympathisch. Arbeitsministerin Ursula von der Leyen dagegen halten die Bürger für kompetent und charmant, wenngleich sie bislang als ein wenig zu glatt und makellos erschien. Im Hartz-IV-Vermittlungsverfahren ist sie jüngst gescheitert. Der Nimbus einer Politikerin, der irgendwie alles gelingt, hat deutliche Risse bekommen. Von der Leyen gibt sich neuerdings kämpferisch, wirkt dadurch jedoch verkrampft. Ihre Leichtigkeit ist verflogen, ihr Lächeln hat an Strahlkraft verloren.

Es soll gar nicht bestritten werden, dass sich das Image eines Politikers durch kluge und professionelle PR-Beratung zumindest in Grenzen beeinflussen lässt. Jedoch ist zu bezweifeln, dass sich die Reputation eines Politikers durch pfiffige PR-Maßnahmen steigern lässt.

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