Versammlungsfreiheit:Auftritte türkischer Politiker zu verbieten ist diplomatisch heikel, aber machbar

Türkischer Ministerpräsident Erdogan in Köln

Erdogan bei einem Wahlkampfauftritt 2014 in Köln. Es ist theoretisch möglich, solche Veranstaltungen in Deutschland zu verbieten.

(Foto: dpa)
  • Es ist durchaus möglich, türkische Wahlkampfauftritte in Deutschland zu verbieten.
  • Die in der Verfassung garantierte Versammlungsfreiheit richtet sich nur an deutsche Staatsbürger.
  • Die politische Betätigung von Ausländern kann untersagt werden, wenn das friedliche Zusammenleben darunter zu leiden droht.

Von Wolfgang Janisch

Zu wenig Parkplätze, zu großer Besucherandrang, zugestellte Zufahrtswege für Feuerwehr und Rettungsdienste: Es klang schon ein wenig ausgedacht, was sich der Bürgermeister von Gaggenau als Begründung für die diplomatisch heikle Absage zurecht gelegt hatte. Nein, mit Politik habe das nichts zu tun, versicherte die Kommune, sondern allein damit, dass sich mit dem geplanten Auftritt des türkischen Justizministers die Situation eben ganz anders dargestellt habe als bei der ursprünglichen Anmeldung. Das sollte so klingen, als hätte man einen Fastnachtsball in der Festhalle ebenso entschieden abgeblasen.

Wäre eine solche Absage auch ohne Rückgriff auf angebliche Risiken möglich? Ein Versammlungsverbot mit offenem Visier: kein türkischer Wahlkampf auf deutschem Boden? Ralf Poscher, Professor an der Universität Freiburg und ausgewiesener Fachmann für Versammlungsrecht, hält das für juristisch machbar. Und er benötigt dafür nur zwei Vorschriften.

Erstens ist dies Artikel 8 Grundgesetz: "Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln." Die Versammlungsfreiheit gilt nicht für jeden, sondern ist ein "Deutschen-Grundrecht". Den Grund dafür findet Poscher in Situationen von der Art, mit denen die deutschen Behörden nun konfrontiert sind. "Das Grundgesetz wollte eine Möglichkeit schaffen, um zu verhindern, dass innenpolitische Konflikte anderer Staaten auf unseren Straßen ausgetragen werden."

Ein Demoverbot für Ausländer? Das deutsche Versammlungsrecht ist erzliberal, Kundgebungen können nur unter sehr engen Voraussetzungen verboten werden - wenn konkrete, nicht anders abwendbare Gefahren vorliegen. Von Pegida bis zur NPD mussten die Behörden zähneknirschend zahllose Demonstrationen erlauben - oftmals erst nach gerichtlicher Anordnung. Und nun soll das so einfach sein?

Nicht nur die Kommunen, auch die Länder könnten Auftritte verbieten

Hier bringt Poscher eine zweite Norm ins Spiel, Paragraf 47 Aufenthaltsgesetz. Danach kann die politische Betätigung von Ausländern zum Beispiel dann beschränkt oder untersagt werden, wenn sie "das friedliche Zusammenleben von Deutschen und Ausländern oder von verschiedenen Ausländergruppen im Bundesgebiet (...) beeinträchtigt oder gefährdet". Eine bloße Beeinträchtigung genügt - das ist in der Gedankenwelt der Juristen nicht besonders viel. Das passe exakt auf die geplanten Auftritte türkischer Politiker in Deutschland, findet Poscher: "Es gibt die rechtliche Möglichkeit, genau gegen diese Art von Veranstaltungen vorzugehen."

Zuständig wären die Ausländerbehörden - unter der Dienstaufsicht der Landesinnenminister. Womit nach Poschers Lesart die Länder Verbote aussprechen könnten, selbst wenn der Bund dies für diplomatisch ungeschickt hielte. Sollten die türkischen Wahlkämpfer deutsche Staatsbürger vorschicken, um die Kundgebung anzumelden, könnten die Behörden gleichwohl tätig werden: Entscheidend sei, ob das "Gesamtgepräge" der Veranstaltung nach türkischem Wahlkampf aussehe.

Ein politischer Maulkorb für Ausländer? Das macht sich im liberalen Deutschland nicht sonderlich gut. Die Vorschrift, darauf weist der Bielefelder Professor Christoph Gusy hin, führt bisher ein Schattendasein. Er bevorzugt einen anderen rechtlichen Hebel: "Zentrale Materie ist die Regelung der Einreise", schreibt er in einem Papier für die nordrhein-westfälischen Grünen. Der Bund könnte türkischen Politikern ein Visum versagen: "Kein Ausländer genießt die Einreisefreiheit nur deshalb, um in Deutschland eine Meinung zu äußern oder an einer Versammlung teilnehmen zu können."

Deutschland kann Politikern die Einreise verweigern

Nichts anderes gilt für ausländische Politiker, sagt der Tübinger Völkerrechtler Martin Nettesheim: "In völkerrechtlicher Hinsicht ist Deutschland völlig frei, ausländischen Regierungsmitgliedern die Einreise zu erlauben oder zu verweigern." Ein Auftritt als "Privatmann" ändert daran nichts, hat der Europäische Gerichtshof 2012 entschieden: Das Gericht billigte eine Einreiseverweigerung der Slowakei gegen den früheren ungarischen Präsidenten, der "privat" zur Einweihung eines Denkmals reisen wollte. Staatsoberhaupt bleibt Staatsoberhaupt, befand der EuGH.

In diese Richtung weist übrigens auch ein Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Münster, das vergangenen Sommer untersagt hat, den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan bei einer Kundgebung in Köln per Video zuzuschalten. Die Versammlungsfreiheit sei kein Instrument, um ausländischen Staats-Chefs ein Forum zu eröffnen, schrieben die Richter. Dies zu entscheiden, sei allein Sache des Bundes.

Also doch die Bundesregierung? Angela Merkel scheint nicht so erpicht darauf zu sein. Sie beeilte sich, auf den Föderalismus hinzuweisen. Zuständig sei allein die Stadt Gaggenau.

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