Versagen der EU im Syrien-Konflikt:Hinterbänkler der globalen Politik

EU, Europäische Union

Die europäische Außenpolitik hat im Streit über Syrien eine ihrer schwärzesten Stunden erlebt

(Foto: Getty Images)

Die europäische Außenpolitik hat im Streit über Syrien eine ihrer schwärzesten Stunden erlebt - und vielleicht sogar eine ihrer letzten. Frankreich und Großbritannien folgen immer wieder den Instinkten ehemaliger Großmächte. Europa muss sich von der Illusion verabschieden, auf dem direkten Weg zur Weltmacht zu sein.

Ein Kommentar von Martin Winter, Brüssel

Ein Debakel ist ein Debakel. Auch mit guten Worten lässt sich nicht darüber hinwegreden, dass die europäische Außenpolitik im Streit über Syrien eine ihrer schwärzesten Stunden erlebt hat. Und vielleicht sogar eine ihrer letzten. Denn dass die europäischen Außenminister das Waffenembargo auf Druck Frankreichs und Großbritanniens fallen lassen mussten, um zumindest die Gemeinsamkeit bei den Wirtschaftssanktionen zu retten, offenbart, wie schmal die Basis für eine wirkliche europäische Außenpolitik ist.

Zu schmal jedenfalls, um der Europäischen Union einen Platz unter den in der internationalen Sicherheitspolitik bestimmenden Mächten zu verschaffen. Die Europäer sind die Hinterbänkler der globalen Politik. Kein Wunder, dass die USA und Russland die Syrien-Konferenz in Genf über deren Köpfe hinweg verabredet haben.

Nun muss es nicht a priori falsch sein, den Weg für die Waffenhilfe an die Rebellen frei zu machen. Das britisch-französische Argument, dass damit der Druck auf den Diktator Baschar al-Assad erhöht werde, lässt sich nicht einfach von der Hand weisen. Und es mag ja durchaus klug sein, die moderaten Kräfte unter den Aufständischen schon jetzt militärisch so aufzurüsten, dass sie am Tag eins nach dem Sturz des Regimes in der Lage sind, die schwer bewaffneten Kämpfer der fundamentalistischen und terroristischen Milizen in Schach zu halten. Doch beim Syrien-Streit ging es in der EU ja nicht um das Abwägen von Argumenten.

Europäische Politik zählt in London nichts

Paris und London hatten nie die Absicht, in der Sache einen Kompromiss mit den anderen zu suchen, die der Waffenhilfe skeptisch gegenüberstehen. Europäische Einheit zählt in London nichts, das Durchsetzen der eigenen Politik alles. Auch Paris ist nicht frei von dieser Versuchung, wie sich beim Krieg in Libyen gezeigt hatte.

Es ist das Dilemma der gemeinsamen europäischen Außenpolitik, dass es unter den Beteiligten zwar einiges Gemeinsames, aber auch sehr viel Trennendes gibt. Von den drei großen Ländern der EU folgen Frankreich und Großbritannien immer wieder den Instinkten ehemaliger Großmächte mit sehr dezidierten Interessen weit jenseits ihrer eigenen Grenzen. Sie denken in geostrategischen Dimensionen und lassen - wie amerikanische Präsidenten zu sagen pflegen - alle Optionen auf dem Tisch, auch die militärischen. Briten und Franzosen sind noch sehr lange nicht so weit, sich einer europäischen außenpolitischen Schwarmintelligenz unterzuordnen - jenem System der gemeinsamen Politikfindung also, in dem die in internationalen Sicherheitsfragen so machtvergessenen Deutschen am liebsten aufgehen würden.

Die Unentschlossenheit der EU produziert ein gefährliches politisches Vakuum

Dass Paris und London so oft Alleingänge wie in Libyen oder Mali unternehmen oder die anderen Europäer wie in Syrien auf ihre Linie zwingen, liegt freilich nicht nur daran, dass sie in den Deutschen keine Partner finden oder dass es in Sicherheitsfragen in der EU sehr divergierende Interessen gibt - je nachdem, ob man im Osten der Union, in ihrem Süden oder in ihrem Westen lebt und auf welcher Seite des Eisernen Vorhangs man den Kalten Krieg verbracht hat. Sondern es liegt auch an der Schwerfälligkeit europäischer Prozesse. Die libysche Revolution wäre gescheitert und Mali in die Hände von Terroristen gefallen, hätten Franzosen und Briten gewartet, bis die 27 Mitgliedsländer sich auf eine gemeinsame Position verständigt hätten. So gesehen, handeln beide auch im Sinne Europas, denn Libyen und Mali waren eine Gefahr für die EU im Ganzen.

Die europäische Außenpolitik hat sich aber nicht nur als unfähig erwiesen, schnell und entschieden auf Krisen zu reagieren. Sie hat auch noch keine Antwort darauf gefunden, dass die USA in dem für die Sicherheit Europas so wichtigen Mittleren Osten durch ihre Unentschlossenheit ein gefährliches politisches Vakuum produziert haben.

Lieber das Wenige gut machen, als vor die Wand der Geschichte zu fahren

Aber eine EU, die sich monatelang über Sanktionen zerstreitet, um das Waffenembargo dann entnervt fallen zu lassen, hat nicht die Statur, dieses Vakuum zu füllen. Es mag jenen, die von einer gemeinsamen Außenpolitik träumen, nicht gefallen, aber hier versuchen Franzosen und Briten zumindest eine Lücke zu schließen.

Ihr Versagen in Libyen und Mali hat die EU noch irgendwie überspielen können. Das Desaster ihrer Syrien-Politik aber kann sie nicht mehr aus der Welt reden. Es ist Zeit, sich nüchtern der Frage zu stellen, was außenpolitisch in der EU gemeinsam geht. Das kann freilich nur gelingen, wenn Europa sich von der Illusion verabschiedet, auf dem direkten Weg zur Weltmacht zu sein. Lieber das Wenige, was man gemeinsam kann, gut machen, als mit großen Ansprüchen vor die Wand der Geschichte zu fahren.

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