Verlierer:Der Autor als Risiko

Lesezeit: 2 min

SZ-Grafik: Sarah Unterhitzenberger; Quelle: Börsenverein des deutschen Buchhandels (Foto: N/A)

Verlagen drohen durch Gerichtsurteile schwierige Zeiten. Die Folge könnte sein, dass sich ambitionierte Kleinverlage in Zukunft genau überlegen, ob sie das Buch eines noch unbekannten Autors auf den Markt bringen sollen.

Von Christopher Schmidt

In den Altbau-Etagen des Diogenes-Verlags, gelegen in einer stillen Seitenstraße der Zürcher Innenstadt, herrschte kurz vor den weihnachtlichen Betriebsferien alles andere als festliche Stimmung. Zwar ist Diogenes als Schweizer Verlag nur mittelbar betroffen von den Auswirkungen der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), und doch sieht man auch dort durch den Richterspruch vom 12. November die eigenen Interessen empfindlich berührt.

Dieser hatte im Rechtsstreit zwischen der Firma Hewlett-Packard und der belgischen Verwertungsgesellschaft Reprobel verfügt, dass den Verlagen künftig keine Beteiligung an den Ausschüttungen der Verwertungsgesellschaften mehr zustehen soll. Auch deutsche Verleger fürchten nun um ihren Anteil. Achtzig Prozent seines Umsatzes aber macht der größte Buchverlag der Schweiz bei seinem deutschen Nachbarn. Hinzu kommen Lizenzverträge mit anderen EU-Ländern.

Noch vor der Bescherung waren bei Diogenes die Rückzahlungsforderungen der VG Wort eingegangen, die in Deutschland die Einnahmen verwaltet aus der Zweitverwertung von Sprachwerken durch deren Verleih, ihre Digitalisierung oder Kopie. Dieses Geld wird über Bibliothekspauschalen eingezogen sowie über feste Beiträge, die für Kopiergeräte abgeführt werden müssen. Schon seit 2012 erfolgt die Ausschüttung der Erlöse jedoch nur mehr vorbehaltlich und kann zurückgerufen werden. Grund ist ein anhängiges Verfahren beim Bundesgerichtshof, in dem es um die Klage des Autors Martin Vogel geht. Vogel hält die Teilung der Tantiemen und Abgaben zwischen Autoren und Verlagen für unzulässig, die Vergütungen stünden allein dem Autor zu.

Das Urteil des BGH steht noch aus, da das Verfahren aufgrund des Rechtsstreits Hewlett-Packard / Reprobel vor dem EuGH ausgesetzt worden ist. Die nächste Verhandlung ist nun für den 10. März angesetzt.

In Deutschland sind die Ansprüche von Verlegern und Autoren seit 1958 gesetzlich so geregelt, dass die Einnahmen hälftig geteilt werden. Und für diese Regelung gibt es gute Gründe. Schließlich schaffe der Verleger einen Mehrwert für die Leistung des Urhebers, sagt Robert Staats, geschäftsführender Vorstand der VG Wort, auf SZ-Nachfrage. "Der Buchverleger tut genauso etwas dafür, damit ein Werk verwertet werden kann, wie der Musikverleger oder der Filmproduzent. Warum also sollte er als Einziger von der Vergütung ausgeschlossen werden?" Und Matthias Ulmer, Vorsitzender des Verleger-Ausschusses im Börsenverein des Deutschen Buchhandels, rechnet vor, dass es hier keineswegs um geringe Beträge geht.

Rund 100 Millionen Euro wurden im Jahr 2014 von der VG Wort ausgeschüttet, davon fünfzig Millionen an Buchverlage. Zum Unternehmensgewinn von etwa drei Prozent vom Umsatz trage der Verlegeranteil aus Verwertungserlösen ein Drittel bei. "Da dieses Drittel nun sogar rückwirkend entfällt", so Ulmer, "werden Konkurse unvermeidlich sein." Besonders kleinere Verlage sind kaum in der Lage, die nötigen Rückstellungen zu bilden. Und selbst dort, wo die Krise nicht existenzgefährdend ist, werden sich ambitionierte Kleinverlage in Zukunft genau überlegen, ob sie das Buch eines noch unbekannten Autors auf den Markt bringen. Gerade solchem verlegerischen Idealismus aber ist es beispielsweise zu verdanken, dass der Roman des Buchpreisträgers 2015, Frank Witzel, überhaupt erscheinen konnte. 137 Verlage hatten das Manuskript abgelehnt, bevor Matthes & Seitz zugriff. Aber auch größere Verlage werden künftig härter kalkulieren müssen und neue Konditionen mit ihren Autoren aushandeln, um die Verluste auszugleichen. Und alle sind noch von einer ganz anderen Seite bedroht. Eine Gesetzesnovelle sieht vor, dass Autoren fünf Jahre nach Vertragsabschluss das einem Verlag übertragene Nutzungsrecht zurückziehen können, sofern ihnen ein besseres Angebot vorliegt. Etliche Schriftsteller und Verleger haben in einem offenen Brief gegen diesen Gesetzentwurf protestiert. Denn er könnte zur Folge haben, dass ein Buch aus der Backlist, das sich zum Longseller gemausert hat, von einem Verwerter weggekauft wird, ohne dass dieser sich an den Investitionen und dem unternehmerischen Risiko beteiligt hätte.

Der drohende Verlust von Nutzungsrechten und der Verzicht auf ihren bisherigen Anteil an den Einnahmen der VG Wort ist ein doppelter Nackenschlag für deutsche Verlage. Christian Sprang, Justitiar des Börsenvereins, nennt daher 2015 ein "annus horribilis". Und das neue Jahr beginnt genauso sorgenvoll, wie das alte aufgehört hat.

© SZ vom 04.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: