Verlängerung der AKW-Laufzeiten:Pirouetten vor und hinter den Kulissen

Röttgen gegen Kauder, Mappus gegen McAllister und mittendrin die Kanzlerin - warum sich die Mächtigen in der Union beim Atomausstieg so heftig bekämpfen.

Stefan Braun

So ist das manchmal im Sprecherleben. Da macht die Chefin eine vermeintlich glasklare Aussage. Und dann muss man doch viel Fleiß einsetzen, um sie für die Öffentlichkeit zu übersetzen. Nachdem die Kanzlerin am Sonntagabend in der Frage der Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken zehn bis fünfzehn Jahre als wirtschaftlich sinnvoll bezeichnet hatte, erinnerte Steffen Seibert am Montag mit Vehemenz daran, dass das nicht alles gewesen sei bei Angela Merkels Auftritt.

Grafik Atom 30.09.

Die deutschen Atomkraftwerke und ihre Restlaufzeiten - hier zusammengefasst in einer SZ-Grafik.

(Foto: SZ)

Während die meisten Medien aus den Zahlen bereits eine Festlegung der Regierung machten, betonte Seibert, sie habe im gleichen Atemzug darauf verwiesen, dass es weitere Kriterien für eine endgültige Entscheidung gebe, so die Sicherheitsanforderungen und die Frage, unter welchen Umständen man die Zustimmung des Bundesrates brauche. Deshalb seien Merkels Zahlen "aus rein sachlicher Sicht" ein Richtwert, aber noch lange keine Festlegung gewesen.

Damit fühlt sich auch die jüngste Botschaft der Regierung an wie eine politische Pirouette, bei der keiner erkennen kann, was sie am Ende bedeutet. Seit Wochen diskutiert die schwarz-gelbe Koalition über ihr Energiekonzept der Zukunft. Und seit Wochen jagt ein Gerücht das nächste, wie das Konzept wohl aussehen könnte. Diese vielleicht absichtliche, vielleicht unfreiwillige Irreführung kann man dem allgemeinen Chaos der Koalition zuschreiben. Richtiger aber wäre es, den Blick auf die verschiedenen Machtzentren in der Union zu lenken. Sie erklären das Durcheinander viel besser.

Der Umweltminister sucht sein Profil

Da ist zunächst Bundesumweltminister Norbert Röttgen. Er weiß, dass im Koalitionsvertrag eine Laufzeitverlängerung festgeschrieben wurde. Trotzdem hat er sich, frisch berufen von der Kanzlerin, daran gemacht, die Zahl so klein wie möglich zu halten. Röttgen hält die Atomkraft für ein hochgefährliches Thema, er glaubt, dass die CDU hier gegen die gesellschaftliche Mehrheit kämpft und das Thema zur besseren Wählbarkeit lieber früher als später abräumen sollte. Deshalb hat er sich früh entschieden, die Verlängerung so kurz wie möglich zu halten - verbunden mit dem persönlichen Ziel, sich damit in der Union ein besonderes Profil zu verschaffen.

Seine vehementesten Gegner sitzen in der Bundestagsfraktion, und auch das hat persönliche Gründe. Fraktionschef Volker Kauder ist zutiefst verletzt und verärgert, dass sein früherer Fraktionsgeschäftsführer Röttgen ihn im vergangenen Jahr allzu gerne als Frontmann der Abgeordneten beerben wollte. Das befeuert Kauder, im Streit um längere Laufzeiten auf fast schon messianische Weise für lange Laufzeiten zu kämpfen. Und um diesem Ziel Nachdruck zu verleihen, hat er drei enge Mitstreiter, die er vor und hinter den Kulissen wirbeln lässt, um in der Fraktion seine Position zementieren zu lassen.

Fraktion gegen Röttgens Pläne

Dazu gehört vorneweg Fraktionsvize Michael Fuchs. Er rührt seit Monaten die Trommel und scheut sich als Parlamentarier nicht, den Aufruf der Energieunternehmen gegen die Brennelementesteuer mit zu unterschreiben. Dass er sich damit gemein macht mit Lobby-Interessen, stört ihn offenbar wenig. Ihm zur Seite stehen die Kauder-Mitstreiter Joachim Pfeiffer und Thomas Bareiß, Pfeiffer als wirtschaftspolitischer, Bareiß als energiepolitischer Sprecher. Bislang, so heißt es, haben sie in der Fraktion eine deutliche Mehrheit organisiert, um Röttgens Ziele zu torpedieren.

Von dieser harschen Position nicht eben begeistert, gibt es manche prominente Christdemokraten in Berlin, die zur Vorsicht mahnen, weil sie um die politischen Gefahren einer Laufzeitverlängerung in der Bevölkerung wissen und deshalb nach Kompromissen suchen. Dazu gehören unter anderem Generalsekretär Hermann Gröhe und Fraktionsgeschäftsführer Peter Altmaier. Wie stark sie dabei wirklich sind und ob sie am Ende die Entscheidung tatsächlich mitprägen werden, kann derzeit aber niemand mit Sicherheit vorhersagen.

Kohle- und Windkraftländer gegen Atomländer

Und dann sind da auch noch die Ministerpräsidenten der Union. Sie sind in diesem Fall keine geschlossene Truppe, sondern vertreten sehr unterschiedliche Interessen. Da sind auf der einen Seite die Vertreter der Südländer, also die Länderchefs aus Hessen, Baden-Württemberg und Bayern, an ihrer Spitze der Stuttgarter Stefan Mappus. Sie plädieren für lange Laufzeiten, weil die Industrien in ihren Ländern bislang stark vom Atomstrom leben und ihn am liebsten noch länger hätten.

Dem entgegen stehen Kohle- und Windkraftländer wie Thüringen, Sachsen-Anhalt und dazu Niedersachsen. Insbesondere Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister hat sich auf die Seite von Röttgen geschlagen. Der Grund ist einfach: Niedersachsen mit seinen vielen fertigen und geplanten Windparks fürchtet bei großen Laufzeitverlängerungen ein weiteres Hinauszögern nötiger Investitionen.

Röttgen gegen Kauder, Mappus gegen McAllister und mittendrin die Kanzlerin-angesichts dessen überraschte es nicht, dass Merkels Sprecher Seibert am Montag darum bat, man möge jetzt "nicht die Frage der Jahreszahlen weiter umkreisen". Der Mann ahnt, wie schwindlig ihm dabei noch werden könnte.

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