Verkehrsplanung:Berliner Straßenkampf

ADAC-Test Radfahren in Städten

Berlin möchte sich gerne als Fahrradhauptstadt präsentieren. Tatsächlich sind die Straßen in der Hauptstadt jedoch nicht besonders fahrradfreundlich.

(Foto: dpa)

Im täglichen Verkehr geht es in der Hauptstadt ruppig zu zwischen Auto- und Fahrradfahrern. Ein Volksentscheid soll die Situation entspannen - zugunsten der Radler.

Von Jens Schneider, Berlin

Heinrich Strößenreuther empfiehlt zur Anschauung die Kantstraße. Diese Verkehrsachse in Charlottenburg hat breite Fahrspuren. Aber häufig wird in zweiter Reihe geparkt. "Wenn Sie da mit dem Rad unterwegs sind, wird es eng zwischen den Autos", sagt er. "Jeder boxt sich irgendwie durch. Viele, die gern aufs Fahrrad steigen wollen, haben genau vor solchen Situationen Angst." Man wisse ja nie, ob ein Autofahrer achtsam sei. Die Autos hätten zu viel Platz, obwohl immer weniger Berliner ein Auto nutzten. So könne es nicht weitergehen.

Berlin muss sich drehen - lautet ein Slogan der Initiative, für die Strößenreuther spricht. Ihr Vorhaben könnte Berlin in den nächsten Monaten aufwühlen. Der Konflikt ist täglich tausendfach zu beobachten, wenn Radler und Autofahrer gegeneinander antreten, als gehe es nicht um Platz, sondern um einen Kulturkampf.

Das geht oft sehr ruppig zu, gefährlich für die Radler, zehn starben im vergangenen Jahr. Keineswegs steckt immer Rücksichtslosigkeit dahinter. Viele Autofahrer hätten große Angst, Radler anzufahren, sagt Strößenreuther, der früher Kampagnen bei Greenpeace begleitete. Die Politik müsse für mehr Sicherheit sorgen, indem sie den Radlern den Platz gibt, der ihnen gebühre. Seine Initiative bereitet einen Volksentscheid vor, der die Regierenden nervös macht, auch wenn sie die Forderungen für überzogen halten. Die Initiatoren wollen zweihundert Kilometer "sichere, breite und Vorfahrts-Fahrradstraßen" und zwei Meter breite Radwege für jede Hauptstraße.

Die Berliner verzichten vermehrt aufs Auto

In Berlin ist seit Jahren ein Trend weg vom Auto zu beobachten, vor allem in der Stadtmitte. Im Bezirk Mitte oder Friedrichshain-Kreuzberg gab es laut der letzten verfügbaren Erhebung aus dem Jahr 2012 in einigen Vierteln weniger als 200 private Pkw je tausend Einwohner, in vielen anderen unter 300. Viele halten ihr Auto für gelegentliche Fahrten ins Brandenburgische, ein Klassiker ist für sie die Warnung des Automechanikers bei der Inspektion, dass sich ihr Auto "kaputt steht".

Berlin gilt bei Experten als Vorreiter unter großen Städten, es sei anderen "ein Stück voraus", so im letzten Herbst eine gemeinsame Studie der Institute LSECities und InnoZ aus London und Berlin. "Ich erlebe es so, dass die Entwicklung in Berlin international aufmerksam verfolgt wird", sagt Burkhard Horn, leitender Verkehrsplaner in Berlins Stadtentwicklungsbehörde. "Vor allem innerhalb des S-Bahn-Rings, wo mehr als eine Million Menschen wohnen, hat das Auto als Verkehrsmittel an Bedeutung verloren." Bei der Verkehrsmittelwahl seien Autos dort an die vierte Stelle gerückt, mit einem Anteil von 17 Prozent. Die Stadt sei am "breitesten aufgestellt, wenn es um Alternativen zum Auto geht", sagt der Verkehrsplaner: "Berlin war immer eine klassische Fußgängerstadt, und wir hatten auch immer schon einen starken öffentlichen Nahverkehr. Jetzt hat das Fahrrad sehr stark an Bedeutung gewonnen. Das ist gut."

Der Senat hat Berlin vor Jahren zur Fahrradstadt erklärt und eine Fahrradstrategie konzipiert. Fahrradstadt, das klingt wie ein Euphemismus angesichts des rauen Klimas auf den Straßen. Es geht weniger beschaulich zu als in Kopenhagen, das in Europa als Maß aller Dinge gilt. Aber bei einem Ranking, das Dänemarks Hauptstadt zum Vorbild nimmt, wurde Berlin 2015 auf Rang 12 platziert, schlechter als zuvor, aber vorn dabei. "Wir lernen gern von Amsterdam oder Kopenhagen", sagt Horn. "Aber auch hier in Berlin ist in den letzten Jahren viel passiert."

Infrastruktur wird ausgebaut, aber der Senat erreicht seine Ziele nicht

Seit Jahren wird an einem Routennetz gebaut, zu dem 12 Radialrouten gehören, die sternförmig in die Stadtmitte führen. Außergewöhnlich ist, dass in S- und U-Bahnen Fahrräder jederzeit mitgenommen werden können, auch in der Rushhour. In der Stadt gibt es etwa ein Dutzend reine Fahrradstraßen, auf denen der Radverkehr Vorrang hat. Gerade hat Horn eine Machbarkeitsstudie zu Radschnellwegen auf den Weg gebracht, um geeignete Routen zu finden. Die Bauordnung schreibt vor, dass bei Neubauten Fahrradstellplätze geplant werden müssen, bei Autos gilt das nicht. An Bahnhöfen wird der Bau von Stellplätzen gefördert. Im boomenden Bezirk Pankow wurde gerade ein doppelstöckiges Rad-Parkhaus fertig.

Dabei bleibe der Senat aber weit hinter seinen Zielen zurück, kritisiert der Berliner ADFC, der Club der Fahrradfahrer hat hier 13 500 Mitglieder. "Hier wird immer noch weitgehend Auto-Politik gemacht", sagt der Sprecher Nikolas Linck. "Dass der Volksentscheid einen Nerv getroffen hat, zeigt die starke Resonanz." Es gibt im ADFC auch die Sorge, dass der radikale Ansatz nicht der richtige Weg sei.

Autofahrer sollen Radler nicht mehr übersehen

Gegenüber dem Senat drängt der Club darauf, dass die Sichtbeziehungen an Kreuzungen so geändert werden, "dass Autofahrer die Radler einfach nicht übersehen können, und sie in einem sicheren Bereich fahren", sagt Linck. Nach und nach werden Gefahrenstellen umgebaut. Aber es geht langsam voran - auch weil der Senat in den vergangenen Jahren viel einsparte, bei Projekten und Stellen. Die Opposition im Landesparlament kritisiert, dass seit Jahren weniger Mittel als versprochen in die Fahrradinfrastruktur investiert werden - fünf Euro pro Einwohner sollten es sein. Zudem kämen wichtige Projekte wie der Aufbau eines Fahrrad-Leihsystems nicht voran, klagt der Grünen-Verkehrsexperte Stefan Gelbhaar.

In Berlin zirkulieren viele pfiffige Ideen für das Radnetz, etwa der Vorschlag, unter dem Viadukt der Hochbahnlinie U1 einen Radschnellweg anzulegen - 8,9 Kilometer mitten durch die Stadt. Schön, aber wenig realistisch nannte das Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel. Es gebe "Sehnsucht nach Leuchtturmprojekten", an denen sich die Fortschrittlichkeit der Fahrradpolitik festmachen ließe, sagt Verkehrsplaner Horn. "Solche spektakulären Projekte haben wir nicht. Wir sind eher pragmatisch und versuchen, Stück für Stück die Situation zu verbessern."

Eine grüne Welle ist kaum umsetzbar

Und es gibt Ideen wie den Traum von einer klugen Ampelschaltung, wie es sie für Autofahrer gibt: "Das klingt einfach", sagt Horn. Aber eine grüne Welle für Radfahrer sei schwer umzusetzen, weil Radfahrer so unterschiedlich schnell unterwegs sind. "Wenn ein Kurierfahrer doppelt so schnell ist wie zum Beispiel eine ältere Dame, dann lässt sich das Tempo für die grüne Welle schwer finden." Tatsächlich könnte es schnellen Radlern wenig Spaß bereiten, wenn die grüne Welle sie am Ende ausbremst. Noch in diesem Jahr soll es eine weitere Teststrecke geben.

Die Initiatoren des Volksentscheids denken an 50 grüne Wellen, je über drei Kreuzungen. Mindestens fünfzig Planer soll es mehr geben bei der Stadt, und 200 000 Radabstellplätze. Die Liste ist unbescheiden, aber soll nicht mehr kosten als ein Kilometer Stadtautobahn. Es müsse endlich "Flächengerechtigkeit geben", sagt Strößenreuther. Er rechnet vor, dass nur drei Prozent der Verkehrsfläche für Radler, 59 Prozent für Autos zur Verfügung stünden.

75 Prozent der Straßen sind bereits Tempo-30-Zonen

Beim Senat hält man die Rechnung für unsauber. Stadtentwicklungssenator Geisel warnt, die Initiatoren wollten ihre Interessen gegen die aller anderen durchsetzen. In der Fachabteilung räumt Burkhard Horn ein, dass es zwar noch ein Missverhältnis gebe. "Aber die Behauptung, es gebe nur drei Prozent der Flächen für das Fahrrad, lässt außer Acht, dass allein schon 75 Prozent der Straßen Tempo-30-Zonen sind. Da findet der Ausgleich schon statt, die gehören nicht allein den Autos." Fast alle Forderungen fänden sich vom Grundsatz her auch in der Fahrradstrategie. "Aber so etwas lässt sich nicht per Dekret lösen. Der Fahrradverkehr kann nicht das Maß aller Dinge sein, dem alles andere untergeordnet wird mit einem Federstrich."

Im Frühjahr soll der Volksentscheid beginnen. Im Frühling wird der ADFC zehn weiße Fahrräder in der Stadt aufstellen. Geisterräder nennt er sie - eines an jeder Stelle, an der ein Radler gestorben ist im vergangenen Jahr.

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