Verkehr:Velo-Revolte

Dass Autofahrer und Radler sich nicht immer in Harmonie miteinander fortbewegen, ist bekannt. Nun schafft Köln die Nutzungspflicht für Radwege ab. Das soll Leben retten.

Von Bernd Dörries

Es gehört schon lange zum guten Ton, dass Kölner Taxifahrer und andere motorisierte Verkehrsteilnehmer die Radfahrer als eine Art Dämon auf Rädern verteufeln, der ihnen die Spur nimmt und die Vorfahrt, der keine Angst hat vor ihren riesigen Geländewagen, dieser großen Verlängerung des kleinen Ichs. Die Radfahrer, da sind sich viele Autolenker einig, sie gehören eigentlich abgeschafft.

Umso erstaunter waren einige Kölner Radfresser, als sie immer wieder einer großen Gruppe von Rad fahrenden Demonstranten begegnete, die gegen Radwege protestierten. Verrückte Welt, dachten sich die Autofahrer, aber es kam noch besser. Vor wenigen Tagen kündigte die Stadt Köln an, die Benutzungspflicht für Radwege fast völlig abzuschaffen. "Das System der Radwege hat ausgedient", sagte Kölns Fahrradbeauftragter Jürgen Möllers.

Der Radweg, er klang wie ein deutscher Mythos früher Gleichberechtigung zwischen Auto und Rad. Noch bevor die Frauen 1919 zum ersten Mal wählen durften, konnten die Fahrradfahrer 1909 in Offenbach ihre erste eigene Radverkehrsanlage benutzen. Was wie ein feiner Zug gegenüber den Radlern wirkte, sollte einfach die Straßen von den lästigen Radlern befreien und Platz schaffen für den aufkommenden Autoverkehr. Und so ist es bis heute letztlich geblieben.

Radwege, so klagt der Allgemeine Deutsche FahrradClub (ADFC), seien oft in einem miserablen Zustand, durch Autos zugeparkt, löchrig und schlecht einsehbar. Sie führen zu mehr und nicht zu weniger Unfällen. In Köln kam das Umdenken der Politik auch dadurch, dass allein in diesem Jahr vier Radfahrer bei Unfällen tödlich verletzt wurden. Seit vielen Jahren zeigen wissenschaftliche Studien, dass räumlich getrennte Radwege ein Problem darstellen - weil sie meist schlecht angelegt sind: zu eng, zu alt.

Der Gesetzgeber hat deshalb bereits 1997 die Möglichkeit geschaffen, dass Fahrradfahrer die normalen Straßen benutzen können, auch wenn ein Radweg vorhanden ist. Pflicht besteht nur, wenn der mit einem blauen Schild versehen ist. Trotzdem blieben die Schilder häufig stehen, weshalb das Bundesverwaltungsgericht 2010 urteilte, dass Radwege nur benutzt werden müssen, wenn "erheblich erhöhte Gefährdung für die Verkehrsteilnehmer besteht". Eine Umkehr der Verhältnisse, jeder Radweg müsste nun auf dem Prüfstand stehen. Doch viel tat sich nicht: Die Stadt Mainz entwickelte einen 62 Seiten starken Leitfaden, in Berlin klagen Fahrradaktivisten gegen jedes blaue Schild.

Köln wagt nun den radikaleren Schritt, der das Ende des Radweges einleiten könnte. Und dann? Den ADFC erwartet am Wochenende auf seiner Bundeshauptversammlung eine Grundsatzentscheidung, die für Radfahrer so heikel ist wie für die Grünen die Frage der Kriegseinsätze. Die einen wollen gar keine Radwege und volle Gleichberechtigung auf allen Straßen. Die anderen schauen nach Holland und Skandinavien, wo es breite und gut gepflegte Radwege gibt, auf denen sich auch Kinder und Ältere sicher fühlen, und wo wenig Unfälle passieren. Vielleicht gibt es auch einen Kompromiss. Verkehrsexperten befürworten eine "Shared Bike Lane", auf der Radler und Autos bei Tempo dreißig nebeneinander her fahren. Vielleicht sogar friedlich.

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