Verhaftung Karadžić:Das neue Serbien

Die Festnahme des mutmaßlichen Kriegsverbrechers Radovan Karadžić ist eine Befreiung, ein Hoffnungszeichen für eine ganze Region. Mit ihr wurde ein wichtiger Schritt hin zu Aussöhnung und Aufschwung getan.

Marc Hoch

Dies ist ein großer Tag - ein großer Tag für die Weltjustiz, für die Opfer des Bosnien-Krieges und auch für Serbien. Die Festnahme des mutmaßlichen Kriegsverbrechers Radovan Karadžić gibt dem Haager Tribunal endlich die Möglichkeit, eines der schlimmsten Kriegsverbrechen in Europa nach 1945 zu ahnden: das Massaker von Srebrenica.

Gedänkstätte von Srebrenica

Nach der Festnahme des mutmaßlichen Kriegsverbrechers Radovan Karadzic kann wohl eines der schlimmsten Kriegsverbrechen in Europa nach 1945 geahndet werden: das Massaker von Srebrenica. Bosnische Musliminnen beten an der Gedenkstätte.

(Foto: Foto: dpa)

Karadžić ist eine Schlüsselfigur dieser Gräueltaten. Wie kaum ein anderer Politiker auf dem Balkan hat er mit geradezu neurotischem Ingrimm die ethnische Vertreibung organisiert.

Mehr als 7000 muslimische Männer kamen allein in Srebrenica um, insgesamt verloren mehr als 100000 Menschen in den Kriegsjahren zwischen 1992 und 1995 ihr Leben, zwei Millionen wurden bei der gewaltsamen Umverteilung in Bosnien vertrieben. Das ist das Werk eines Mannes, der vor Fernsehkameras selbstgedichtete Verse vortrug, während serbische Granaten auf die bosnische Hauptstadt hagelten.

Ein Schritt hin zu Aussöhnung und Aufschwung

Alle Muslime in Bosnien warten seit 13 Jahren darauf, dass dem früheren Präsidenten der serbischen Republik endlich der Prozess gemacht wird. Und auch viele Serben haben diesen Moment herbeigesehnt, denn der einst löwenmähnige Karadžić hat das Land lange Zeit wie in Gefangenschaft gehalten und die dringend nötige Annäherung an die Europäische Union verhindert.

Seine Festnahme ist ein wichtiger Schritt hin zu Aussöhnung und Aufschwung, ein Hoffnungszeichen für die ganze Region. Karadžić Inhaftierung wirkt in vielerlei Hinsicht befreiend.

Serbien, das jahrzehntelang als Symbol für engstirnigen Nationalismus und kriegerischen Größenwahn stand, erneuert sich. Der Paria des Balkans tritt heraus aus dem Schatten der blutigen Geschichte und setzt ein Zeichen, dass es wie die anderen Länder Ex-Jugoslawiens Anschluss finden will an die Werte und Überzeugungen des Westens.

Dies ist das Verdienst vor allem eines Mannes: Boris Tadic. Seit seiner Wiederwahl als Präsident im Februar 2008 agiert der pro-europäische Politiker als Erneuerer der Nation. In einem langen Geduldsspiel hat er nach dem schwierigen Ergebnis der Parlamentswahl vom Mai eine Regierung gebildet, die sich klar zu Europa bekennt.

Serbien will nach Europa

Diese Regierung hat sofort das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union unterzeichnet und damit offiziell dokumentiert, dass sie den jahrelang gepflegten Schaukelkurs zwischen Ost und West beenden will. Der Wert dieser Unterschrift ist nicht hoch genug einzuschätzen. Denn mit dem Assoziierungsabkommen hat sich Serbien praktisch vom Kosovo verabschiedet.

Diese Provinz, gegen deren Unabhängigkeit jahrelang ein vergeblicher politischer Kampf ausgefochten wurde, dominiert nicht mehr die serbische Politik wie unter der Ära des zuletzt altersstarrsinnig agierenden Premiers Vojislav Kostunica. Serbien will nach Europa und schickt an diesem Donnerstag sogar alle Botschafter in jene Staaten zurück, welche die serbische Provinz anerkannt haben.

Damit der Traum von Europa acht Jahre nach dem demokratischen Umbruch wahr werden kann, müssen die Hauptbedingungen Brüssels erfüllt werden. Und die lauten: Gefangennahme und Überstellung der letzten drei flüchtigen Kriegsverbrecher an das Haager Tribunal.

Insofern ist die Inhaftierung von Karadzic nicht Ausdruck eines neues Idealismus, der die Regierung erfasst hat. Sie folgt vielmehr einer simplen Logik: Gebe ich dir Kriegsverbrecher, erhalte ich politische Anerkennung und Geld.

Schon der ermordete Premier Zoran Djindjic hat nach dieser Logik mit dem Westen politisch paktiert. Von der Überstellung des Machthabers Slobodan Milosevic im April 2001 erhoffte er sich milliardenschwere Hilfe. Als das Geld nur spärlich floss, ließ der Jagdeifer nach Kriegsverbrechern spürbar nach. Auch Kostunica ließ sich von den Verlockungen eines Abkommens mit der EU treiben.

Noch läuft Ratko Mladić frei herum

Zwar scheute der nationalkonservative Premier davor zurück, die wirklich dicken Fische gefangen nehmen zu lassen. Doch während seiner Dienstzeit wurden immerhin 17 Gesuchte überstellt - praktisch der gesamte bosnisch-serbische Generalstab. Das darf, bei allen Fehlleistungen seiner Regierung, nicht vergessen werden.

Europa muss nun aber nicht gleich großzügig die Börse öffnen und Präsident Tadic für die Festnahme belohnen. Noch läuft Ratko Mladić frei herum. Und vieles deutet darauf hin, dass sich auch der bosnische-serbische Armeechef in Belgrad aufhält, jener Mann, der beim Einzug in Srebrenica ankündigte, nun sei es endlich an der Zeit, "Rache an den Türken zu nehmen".

Erst wenn auch Mladić nach Den Haag überstellt ist, sollte der lange und schwierige Integrationsprozess Serbiens in die EU wirklich beginnen.

Die Verhaftung Karadžićs ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu Gerechtigkeit auf dem Balkan. Er wird in Serbien den geistig-moralischen Umschwung beschleunigen, der vor allem durch die neue Regierung in Gang gesetzt wurde.

Erst wenn die Serben die Schuld, die sie auf sich geladen haben, nicht mehr leugnen, erst wenn sie sich nicht mehr vorrangig als Opfer, sondern als Täter sehen, kann die neue Zeitrechnung beginnen.

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