Verfolgte Akademiker:Forscher-Asyl

Die Humboldt-Stiftung vergibt Stipendien an Wissenschaftler aus Ländern wie Syrien, die in ihrer Heimat verfolgt werden.

Von Roland Preuß

"Ich könnte Blut weinen, wenn ich an all die Orte denke", sagt Ammar Abdulrahman. Etwa an Maalula, ein Kleinod mit uralten Klöstern, Kirchen, nordöstlich von Damaskus. Nachdem die islamistische al-Nusra einmarschiert war, zerstörte sie Teile des christlichen Kulturerbes, verkaufte Kunstschätze, um ihren Kampf um Syrien zu finanzieren. Abdulrahman kennt all die Stätten, er war Professor und Direktor der Archäologie-Abteilung der Universität Damaskus, er hat im ganzen Land gegraben und geforscht. Doch irgendwann hat der Krieg nicht nur viele historische Schätze hinweggefegt, sondern auch sein Leben. Sein Haus in Damaskus ist zerstört, sein Leben als Staatsdiener in Gefahr.

Die Welt der Wissenschaftler kann hart sein, man konkurriert und streitet, aber man kennt und hilft sich auch, weltweit. Professor Abdulrahman ist ein Beispiel für solche Solidarität. Die Alexander-von-Humboldt-Stiftung vergibt an diesem Mittwoch 23 Stipendien, mit denen verfolgte Wissenschaftler an deutschen Universitäten arbeiten können. Abdulrahman ist einer von ihnen, er wird an der Uni Tübingen forschen, zusammen mit einem deutschen Professor, mit dem er bereits in Syrien gemeinsam Grabungen vorgenommen hat. "Ich werde einen Workshop vorbereiten, wie man die Schätze von Maalula wieder restaurieren kann", sagt der Professor.

In der Türkei werden viele Akademiker wegen ihrer Kritik an der Kurdenpolitik entlassen

Die meisten geförderten Forscher kommen aus dem Bürgerkriegsland Syrien, je einer aus Libyen, Pakistan und Usbekistan - auffällig viele aber auch aus der Türkei, nämlich sechs Akademiker. Viele Wissenschaftler dort werden beschimpft und entlassen, seit mehr als 1100 von ihnen im Januar die türkischen Militäreinsätze in den Kurdengebieten in einem Appell kritisiert und eine friedliche Lösung des Konflikts gefordert haben. Ihre Kritik ist scharf, die Wissenschaftler nennen die Einsätze illegal und eine "Vernichtungs- und Vertreibungspolitik gegenüber der gesamten Bevölkerung der Region", doch sie rufen nicht zu Gewalt auf.

Präsident Recep Tayyip Erdoğan nannte sie dennoch "Landesverräter" und forderte die Justiz auf, gegen sie vorzugehen - was diese auch tut. Nil Mutluer war eine der mehr als 1100 Forscher, die den Appell im Januar unterzeichneten. Eine regierungsnahe Zeitung prangerte sie daraufhin an, samt Foto, die Justiz fing an zu ermitteln, vier Wochen später war sie gefeuert. Sie leitete die Soziologie-Abteilung an einer privaten Universität in Istanbul. "Alles ist politisch so aufgeladen jetzt in der Türkei - und es kann einem alles passieren", sagt sie in bestem Englisch. Im Juli fängt sie an der Humboldt-Universität Berlin an, am Institut für Sozialwissenschaften, Dank des Stipendiums. Das Programm ist benannt nach Philipp Schwartz, einem Pathologen jüdischer Abstammung, der 1933 vor den Nazis aus Deutschland fliehen musste. Finanziert wird es von privaten Stiftungen und dem Auswärtigen Amt. So "ermöglichen wir verfolgten Wissenschaftlern, frei von Bedrohung weiter zu forschen", sagt Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD).

Die Stipendien laufen zwei Jahre, dann werden sich die Forscher fragen müssen: bleiben oder gehen? "Das Land braucht die Leute, wenn der Krieg zu Ende ist", sagt Professor Abdulrahman. "Es gibt viel zu tun in Syrien."

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