Verfassungsstreit:Polen braucht Europa, Europa braucht Polen

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Die Pis-Regierung in Warschau begibt sich auf den schlechten Weg des anti-pluralistischen Nationalismus. Dies verstößt gegen die Grundsätze der Europäischen Union. Deswegen muss die EU auf Polens Vertragsverletzungen reagieren.

Von Stefan Ulrich

Polen ist nicht der einzige Rechtsstaat, der gerade von der Seuche des autoritären Nationalismus befallen wird. Doch die Krankheit wütet in Warschau besonders heftig. Die Regierung, geführt von der Pis-Partei, agiert offen verfassungswidrig, indem sie das Verfassungsgericht missachtet und so die Gewaltenteilung aufhebt. Sie reißt die Macht an sich, um Staat und Gesellschaft nach ihrem Willen umzubauen. Dagegen protestierten am Wochenende Zehntausende Bürger. Sie demonstrierten: So leicht lässt sich Polen die Freiheit nicht nehmen.

Das wichtigste östliche Land der Europäischen Union ist zur Bühne des Kampfes zwischen zwei Ordnungsformen geworden - hier der liberale, demokratische Rechtsstaat, dort der antipluralistische Autoritarismus. Dieser Kampf geht alle Menschen etwas an, die als EU-Bürger mit den Polen eng verbunden sind. Sie dürfen sich dafür einsetzen, dass das Land nicht auf den Kurs abdriftet, den Russland oder die Türkei eingeschlagen haben.

Die Regierung in Warschau und ihr Anführer Jarosław Kaczyński berufen sich auf den Volkswillen, um den Griff nach der ganzen Macht zu rechtfertigen. Das haben schon viele autoritäre Herrscher getan. Das Volk übe seine Souveränität ungeteilt aus - so wird unter Rückgriff auf den Philosophen Jean-Jacques Rousseau argumentiert. Diese Haltung ist lebensgefährlich. Sie verführt zum Machtmissbrauch. Wenn sie keiner Kontrolle unterliegen, bestimmen Herrschende gern selbst, was das Volk zu wollen hat. Gegner werden zu Vaterlandsverrätern erklärt. Daher setzt der moderne Verfassungsstaat auf Gewaltenteilung und Minderheitenschutz. Sie können nicht abgewählt werden.

Wahlen ändern auch nichts daran, dass ein Staat an Verträge gebunden ist, die er geschlossen hat. Polen hat, wie alle EU-Staaten, den Vertrag über die Europäische Union unterzeichnet und ratifiziert. Darin werden die Mitgliedsstaaten zu Rechtsstaatlichkeit, Minderheitenschutz und Pluralismus verpflichtet. Da die polnische Regierung diese Grundprinzipien missachtet, muss die EU gegen sie vorgehen, wenn sie sich selbst erhalten will.

Der EU-Vertrag sieht es vor, einem dauerhaft rechtsvergessen handelnden Staat das Stimmrecht in Brüssel zu entziehen. Dieser Strafe müssten alle anderen EU-Staaten zustimmen. Selbst wenn das im Fall Polens nicht gelingen sollte, wäre es ein starkes Signal, wenn eine große Mehrheit in der EU gegen den Machtmissbrauch der polnischen Regierung votiert. Dies könnte die Nationalisten in Warschau zum Nachdenken bringen.

EU und Vatikan müssen Warschau in die Schranken weisen

Europa braucht Polen, Polen braucht Europa. Ein Land, dessen Regierung den Rechtsstaat zerstört, ist kein attraktiver Platz für Investoren. Zudem wartet Wladimir Putin im Kreml darauf, die Staaten Osteuropas wieder unter Kuratel Moskaus zu bringen. Davor bietet die EU Schutz. Kaczyński spielt objektiv Putins Spiel und gefährdet die Zukunft der Polen, wenn er sein Land aus diesem Schutzraum führt.

Der Streit um Polen wird heftig werden. Die EU darf nicht nur strafend auftreten. Sie muss klarstellen, dass sie überhaupt nichts gegen die Wahlentscheidung der Polen für eine konservative Regierung hat, sondern nur gegen den Machtmissbrauch dieser Regierung. Und sie muss jene Polen stärken, die ihren Rechtsstaat verteidigen.

Darüber hinaus gibt es noch eine andere Kraft, die helfen könnte, die Dinge in Polen zum Guten zu wenden: den Vatikan. Teile der polnischen katholischen Kirche unterstützen den autoritären, nationalistischen und damit unchristlichen Kurs der Pis-Regierung. Papst Franziskus kann auf sie einwirken - und so das Erbe seines Vorgängers Johannes Paul II. verteidigen, der sich unermüdlich für ein freies, europäisches Polen starkgemacht hat.

© SZ vom 14.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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