Verfassungsgericht zur Platzvergabe beim NSU-Prozess:Nothelfer gegen die richterliche Sturheit

Courtroom where trial against Zschaepe, member of neo-Nazi group NSU, will take place, is pictured in Munich

Der Sitzungssaal im Münchner Oberlandesgericht, in dem der NSU-Prozess stattfinden wird.

(Foto: REUTERS)

Das Bundesverfassungsgericht ist der Sturheit des Münchner Gerichts mit einer eleganten Lösung begegnet. Die Plätze für ausländische Journalisten gelten theoretisch nur vorläufig, sind de facto aber erstmal sicher. Die Entscheidung wahrt die richterliche Unabhängigkeit - dass sie überhaupt notwendig wurde, offenbart ein merkwürdiges Verhältnis zur Öffentlichkeit.

Ein Kommentar von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Mitunter sind es komplizierte Wege, die zu einfachen Lösungen führen. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Oberlandesgericht München nun aufgegeben, was das OLG längst diskret hätte erledigen können: den türkischen Journalisten einige wenige Plätze im Prozess gegen jene rechtsterroristische NSU zu reservieren, deren Opfer ganz überwiegend türkische Wurzeln hatten. Darauf hätte man auch in München kommen können. Man hätte sich den Vorwurf der mangelnden Sensibilität erspart - und einige internationale Verwerfungen dazu.

Allerdings war der Fall auch für die Verfassungsrichter nicht ganz unkompliziert. Denn wie ein Prozess organisiert wird, entscheidet in erster Linie der zuständige Richter. Das ist eine Frage der richterlichen Unabhängigkeit - also jenes Prinzips, das die Justiz namentlich gegen politischen Einfluss wappnen soll. Deswegen waren die Versuche, das OLG wegen der umstrittenen Platzvergabe unter Druck zu setzen, vermutlich kontraproduktiv. Sie dürften eine Allergiereaktion ausgelöst haben: Wenn ein Richter von außen bedrängt wird, wird er versucht sein, sich erst recht standhaft zu zeigen. Was eben auch in Sturheit umschlagen kann.

Deshalb hat sich Karlsruhe nun als Nothelfer eingeschaltet, und zwar mit einer durchaus eleganten Lösung: Die Platzvergabe an türkische Medien gilt theoretisch nur vorläufig, bis die "schwierigen Rechtsfragen" geklärt sind. Das kann dauern - weshalb die Journalisten ihre Plätze erst mal sicher haben. Die richterliche Unabhängigkeit bleibt dennoch unangetastet, wenigstens im Grundsatz, das betonen die Verfassungsrichter ausdrücklich: Gerichte hätten bei der Vergabe von Presseplätzen einen "weiten Entscheidungsspielraum".

Zugleich hat das Verfassungsgericht mit seinem Beschluss einen wichtigen Fingerzeig gegeben. Es ist nicht gleichgültig, in welcher Weise ein Gericht die Öffentlichkeit des Gerichtsverfahrens sicherstellt. Richter müssen im Blick haben, welche Gruppen und welche Interessen von einem Prozess betroffen sind. Man könnte auch sagen: Sie müssen sich der gesellschaftlichen Bedeutung ihres Wirkens bewusst sein.

Schwieriges Zusammenspiel zwischen Justiz und Medien

Denn die Dickschädeligkeit der Münchner Richter hat ein eklatantes Fehlverständnis des Zusammenspiels von Justiz und Medien offenbart. Die Halsstarrigkeit, mit der sich das OLG jeder noch so greifbaren pragmatischen Lösung verweigerte, zeugte von einem merkwürdig formalistischen Verhältnis zur Öffentlichkeit im Gerichtssaal. Man gewährt den Medien Zutritt zum Gerichtssaal, weil es in der Prozessordnung steht - nicht, weil man verstanden hätte, warum Medien wichtig sind für die Justiz.

Justiz und Medien: Das ist ein ungleiches Paar, das zwar nicht immer miteinander, aber keinesfalls ohneeinander auskommt.

Denn die Wirkungen eines Strafprozesses enden nun mal nicht an der Tür des Sitzungssaals. Was vor Gericht verhandelt wird, wirkt in die Gesellschaft hinein. Ob und wie Recht funktioniert, davon können die Menschen sich nur überzeugen, wenn über den Rechtsbruch verhandelt wird. Wenn der Manager wegen Korruption verurteilt wird, lernt der Bürger, dass die Großen eben doch nicht davon kommen. Letztlich geht es immer wieder darum, den Glauben in die Geltung des Rechts wiederherzustellen.

In keinem Fall der letzten Jahre war die Rolle eines Gerichts als Reparaturbetrieb des zerstörten Vertrauens wichtiger als bei den NSU-Morden. Die Öffentlichkeit ist erschüttert angesichts dieser Kette von Pannen, Versäumnissen und Versagen. Umso nachdrücklicher muss das OLG dieser Öffentlichkeit nun demonstrieren, dass die Justiz funktioniert. Und weil sich die beispiellose Mordserie vorwiegend gegen Bürger mit türkischen Wurzeln richtete, hätte es sich für jeden Richter aufdrängen müssen, deren Medien besonders zu berücksichtigen. Ihnen gilt es zuvorderst zu demonstrieren, dass die Verbrechen akribisch und unparteiisch aufzuklären. Gut, dass Karlsruhe dies gerade gerückt hat.

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