Verfassungsgericht: Wegweisendes Urteil:Mehr Unterhalt für Geschiedene

Muss nach der Scheidung die alte Ehefrau quasi die neue subventionieren? Das Verfassungsgericht erklärt die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für verfassungswidrig - Zigtausende Unterhaltsurteile müssen nun neu berechnet werden.

Heribert Prantl

Zigtausende von Unterhaltsurteilen müssen neu berechnet werden: Das Bundesverfassungsgericht hat den Bundesgerichtshof zurückgepfiffen und dessen Rechtsprechung zum Unterhalt geschiedener Ehegatten für verfassungswidrig erklärt. Diese neuere Rechtsprechung belastet, so urteilt das Verfassungsgericht, den geschiedenen Ehepartner weit über das vom Gesetz zugelassene Maß hinaus.

Verfassungsgericht: Wegweisendes Urteil: Nicht jede Beziehung hält für immer: Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts müssen Zigtausende Unterhaltsurteile neu berechnet werden.

Nicht jede Beziehung hält für immer: Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts müssen Zigtausende Unterhaltsurteile neu berechnet werden.

(Foto: iStockPhoto)

Der Bundesgerichtshof habe sich vom gesetzlichen Konzept zur Berechnung des nachehelichen Unterhalts gelöst und dieses unzulässigerweise durch ein eigenes Modell ersetzt, das sich nur noch um die neue, aber nicht mehr um die alte Ehe kümmere.

Nach diesem Modell subventioniert die frühere Ehefrau die neue Ehefrau ihres geschiedenen Mannes. Das Bundesverfassungsgericht hält das für einen "unzulässigen Systemwechsel". Es fordert von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der Familiengerichte die Beachtung der gesetzlichen Vorgaben. Das bedeutet: Der Unterhalt von zigtausend unterhaltsberechtigten Geschiedenen muss nun neu berechnet und erhöht werden.

Nach geltendem Gesetz bestimmt sich der Unterhalt - so er geleistet werden muss - nach den ehelichen Lebensverhältnissen zum Zeitpunkt der Scheidung. Der Bundesgerichtshof, ihm folgend die Rechtsprechung der Familiengerichte, hatte aber einen ganz neuen Maßstab eingeführt: die "wandelbaren Lebensverhältnisse".

Das bedeutet: Wenn ein Mann nach der Scheidung erneut heiratet und seine neue Frau nichts oder wenig verdient, dann geht dies auf Kosten der ersten Frau. Ihr Unterhaltsbedarf wird von vornherein gekürzt; die frühere Ehefrau finanziert sozusagen die neue. Das Bundesverfassungsgericht sagt nun: Das geht zu weit. Der alte Ehepartner dürfe nicht zugunsten des neuen belastet werden.

"Wandelbare Lebensverhältnisse"

Genau dies hatte die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs seit einem Urteil vom 30. Juli 2008 vorgenommen: Der Bundesgerichtshof hatte darauf hingewiesen, dass es für Geschiedene "keine Lebensstandardgarantie" geben könne. Die Lebensverhältnisse in modernen Zeiten seien nun einmal "wandelbar", die Gründung von neuen Familien müsse erleichtert werden und deshalb könnten sich Geschiedene nicht darauf verlassen, dass es bei dem Unterhalt, der ihnen zusteht, auch wirklich bleibt.

Also entwickelte der Bundesgerichtshof bei der Berechnung des Unterhalts die sogenannte Dreiteilungsmethode: Diese addiert die Einkünfte erstens des unterhaltsberechtigten geschiedenen Ehegatten, zweitens des Unterhaltsverpflichteten und drittens seines neuen Ehepartners und teilt dann das Gesamteinkommen durch drei.

Vertrauen war nicht mehr geschützt

Sowohl dem alten Ehepartner als auch dem neuem steht, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, ein Drittel dieses Gesamteinkommens als Bedarf zu. Davon wird das eigene Einkommen des alten Ehepartners abgezogen. Diese Berechnung erfolgt allerdings nur, wenn sich dies zu Lasten des geschiedenen Ehegatten auswirkt. Verfügt die neue Ehefrau des Unterhaltspflichtigen über ein höheres Einkommen, bleibt eine sich dadurch rechnerisch ergebende Erhöhung des Bedarfs der geschiedenen Ehefrau unberücksichtigt. Diese erhält also infolge der neuen Ermittlungsmethode des Bundesgerichtshofs regelmäßig weniger, nie aber mehr Unterhalt als nach der gesetzlich vorgesehenen Bedarfsbestimmung.

In dem Fall, der dem Bundesverfassungsgericht vorlag, war es so, dass nach der Dreiteilungsmethode ein Unterhaltsbedarf für die geschiedene Frau in Höhe von 1621 Euro ermittelt wurde - aus dem sich unter Anrechnung ihrer Einkünfte ein Unterhalt in Höhe von 488 Euro im Monat ergab. Nach den herkömmlichen Berechnungsmethoden hätte die geschiedene Frau dagegen einen Unterhaltsbedarf in Höhe von 1894 Euro und demzufolge einen Unterhaltsanspruch in Höhe von 761 Euro gehabt.

Diese, auf geltendem Gesetz basierende Berechnungsmethode wurde nun vom Bundesverfassungsgericht wieder ins Recht gesetzt. Das Berechnungskonzept des Bundesgerichtshofs lasse sich "mit keiner der anerkannten Auslegungsmethoden" eines Gesetzes rechtfertigen, sagt das Verfassungsgericht. Es laufe dem klaren Wortlaut, der Systematik und der Intention des Gesetzes zuwider, dass in Paragraph 1578 Absatz 1 Satz 1 BGB die "ehelichen Verhältnisse", nicht aber die nachehelichen Verhältnisse zum Maßstab des Unterhaltsbedarfes gemacht werden.

Der Bundesgerichtshof hatte sich bei seiner radikalen Rechtsfortbildung auf die Unterhaltsrechtsreform von 2007 gestützt. Dort ist in der Tat eine Rangfolge für den Unterhalt eingeführt worden: Erst kommen die minderjährigen Kinder an die Reihe, dann zweitens die Elternteile, die Kinder betreuen, dann drittens erst die geschiedenen Ehegatten. Diese Rangfolge gilt für den Mangelfall, hat aber nichts mit dem Bedarf eines Unterhaltsberechtigten zu tun, sondern regelt, welcher Bedarf notfalls geringer oder gar nicht befriedigt werden muss, wenn das Geld des Unterhaltspflichtigen nicht für alle Anspruchsberechtigten reicht.

Der Bundesgerichtshof hat die mit dieser Rangregelung für den Mangelfall erfolgte Schlechterstellung von geschiedenen Ehegatten, die keine Kinder erziehen, aber generalisiert. Immer und von vornherein sollte bereits der Unterhaltsbedarf des alten Ehepartners wegen der Existenz eines neuen gekürzt werden.

Das Vertrauen des Unterhaltsberechtigten in die Fortsetzung der früheren Verhältnisse war nicht mehr geschützt. Die alten Pflichten wurden generell zugunsten der neuen entwertet. Das hatte und hat grundsätzliche Auswirkungen auf das Eheverständnis - aus der Ehe wurde eine reine vorübergehende Wirtschaftsgemeinschaft.

Das ging nun dem Bundesverfassungsgericht zu weit. Eine solche grundsätzliche Veränderung könne nur der Gesetzgeber selbst vornehmen.

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