Verfassungsgericht stoppt Wahlcomputer:Wählen ist kein Computerspiel

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Die freie Stimme eines freien Bürgers ist das höchste Gut der Demokratie. Sie abzugeben und auszuzählen darf ruhig ein wenig anstrengend sein. Oder sollen die Deutschen am Ende am Heimcomputer Parteien und Kandidaten wählen?

Thorsten Denkler, Berlin

Wählen gehen ist ein Akt staatsbürgerlicher Pflicht - und dazu ein sinnlicher Vorgang. Wahlzettel in Empfang nehmen, in die Kabine gehen, Kreuzchen machen, Papier zusammenfalten, in die Urne stecken. Das dauert nicht lange und doch ist es ein durchaus erhebendes Gefühl.

Papier und Stift, mehr braucht es zum Wählen eigentlich nicht. (Foto: Foto: ap)

Im Moment der Wahl hat der Bürger das Sagen, er bestimmt über die Zukunft und das Schicksal von Parteien und Personen.

Das Kreuz auf dem Zettel ist dabei so etwas wie die handschriftliche Signatur, die unauslöschliche Manifestierung des Wählerwillens.

In der Republik und in den Bundesländern sollte nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts jetzt die radikale Einsicht einkehren, Wahlcomputern endgültig ade zu sagen.

Sicher, die Richter haben die Digitalmaschinen bekanntlich nicht gänzlich verboten. Sie haben lediglich auf mögliche technische Mängel hingewiesen, die es zu beheben oder besser auszuschließen gelte. Und doch sollte gelten: Bitte, behebt keine Mängel, schafft die Dinger ab!

Ja, so ein Wahlcomputer macht weniger Arbeit. Die Stimmen sind auf Knopfdruck ausgezählt. Keine Zettelberge mehr, kein mühsames Auszählen und/oder Nachzählen Hunderter meterlanger Stimmzettel im Wahllokal. Mit der Erst- und Zweitstimme bei der Bundestagswahl geht das ja noch; wird aber kumuliert und panaschiert, wie bei manchen Landtags- und Kommunalwahlen üblich, ist das für viele Wahlhelfer eine Tortour.

Und doch: Es darf verlangt werden, dass Bürger die Zettel ihrer Mitbürger von Hand auszählen. Demokratie ist eben auch anstrengend und muss mit jeder Wahl neu erkämpft werden. Wahlcomputer aber erwecken den Eindruck, als wäre Demokratie ein Computerspiel. Auch dann, wenn quasi als Kassenbon noch ein Stimmbeleg in die reale Welt gespuckt wird.

Es ist nicht leicht, Freiwillige zu finden, die sich eine Nacht im Wahllokal um die Ohren schlagen - und von der Möglichkeit, beim Auszählen zuzuschauen, machen auch nicht viele Gebrauch.

Die Lage wird aber nicht besser, wenn diese Möglichkeit der Partizipation abgeschafft wird. Die Wähler müssen vielmehr für Wahlen neu begeistert werden. Die Politik macht es sich zu leicht, wenn sie ein Hemmnis in den Stimmzetteln sieht. Es gibt ja schon Überlegungen, die Wahl vom heimischen Computer aus zu erledigen. Ein paar Mausklicks - und schon ist die Zukunft entschieden.

Eine einzige Stimme von Millionen mag auf den ersten Blick wenig zählen. Aber diese eine freie Stimme eines freien Bürger ist mit das höchste Gut einer Demokratie. Wer nach der Maxime wählen gehen soll, dass alles von seiner Stimme abhängt, der sollte nicht mit einem billigen Computerspielverschnitt abgespeist werden.

Am Ende könnten dann noch weniger Menschen zur Wahl gehen. Wenn das Wählen nicht mal mehr Anstrengung kostet, dann kann man es ja auch gleich bleiben lassen.

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