Verfassungsänderung in Ungarn:Rechtskonservative Mehrheit beschneidet die Rechte des höchsten Gerichts

Janos Ader, Ungarn, mit Joachim Gauck

Gauck und Ader vor Schloss Bellevue 

(Foto: dpa)

Staatliche Eingriffe bei den Hochschulen und in der Justiz, dazu weniger Befugnisse für das Verfassungsgericht : Das ungarische Parlament hat höchst umstrittene Verfassungsänderungen beschlossen. Auch der Druck der EU und ein persönlicher Anruf von Kommissionspräsident Barroso haben am Ende nichts mehr genutzt.

Jetzt ist sie durch, die höchst umstrittenene Entscheidung: Mit den Stimmen der konservativen Regierungsmehrheit hat das ungarische Parlament umfangreiche Verfassungsänderungen beschlossen. Die sozialistische Opposition boykottierte die Abstimmung.

Die Novelle sieht unter anderen eine starke Einschränkung der Befugnisse des Verfassungsgerichts vor. Außerdem ist es der Regierung künftig erlaubt, stärker in die Justiz und in das Hochschulwesen einzugreifen.

Die Änderungen hatten bereits im Vorfeld Proteste und Kritik im In- und Ausland ausgelöst. Schon im Vorfeld hatten Studenten und Bürgerbewegungen gegen die Änderung der Verfassung demonstriert, die von Ministerpräsident Viktor Orban vorangetrieben wurde. Kritiker sehen darin eine Beschneidung von Bürgerrechten.

Die EU-Kommission hatte wenige Stunden vor der Abstimmung den Druck auf Ungarn verstärkt. Eine Sprecherin kündigte in Brüssel an, dass die Kommission "nötigenfalls alle Instrumente nutzen" werde, um zu erreichen, dass in Ungarn die rechtsstaatlichen Prinzipien gewahrt bleiben. Die Kommission könne vor allem ein Verfahren wegen Vertragsverletzung gegen eine EU-Regierung einleiten.

EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso hatte am Freitag in einem Telefongespräch mit Orban vor Verstößen gegen die Grundwerte der EU gewarnt. Orban hatte daraufhin schriftlich erklärt, seine Regierung sei "voll und ganz den EU-Werten und -Gesetzen verpflichtet".

Ungarns Präsident Janos Ader, der der rechtskonservativen Regierungspartei Fidesz angehört, war zuvor zum Auftakt seines Deutschland-Besuchs von Bundespräsident Joachim Gauck empfangen worden. Anschließend kamen die beiden Staatschefs zu einem Gespräch zusammen.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle erwartet von Ungarn, dass es europäische Grundwerte einhält. "Es geht hier nicht nur um Verfassungen und Rechte, die auf dem Papier stehen, sondern sie müssen in der Praxis auch gelebt werden", sagte er vor einem Treffen der EU-Außenminister in Brüssel. "Wir sind in Europa eine Wertegemeinschaft. Und das muss sich auch nach innen in der Verfasstheit der Länder zeigen."

Die umstrittenen Punkte der Verfassungsnovelle

Die Verfassungsnovelle beinhaltet im Einzelnen folgende Bestimmungen:

  • Die Befugnisse des Verfassungsgerichts können eingeschränkt werden. Die Höchstrichter dürfen Verfassungsänderungen und -zusätze künftig nur mehr verfahrensrechtlich, nicht mehr inhaltlich prüfen.
  • Die vom Ministerpräsidenten ernannte Leiterin des Nationalen Justizamtes erhält die Vollmacht, bestimmte Fälle bestimmten Gerichten zuweisen zu können.
  • Wahlwerbung in privaten Medien kann verboten werden.
  • Obdachlose können ins Gefängnis kommen, wenn sie auf der Straße übernachten.
  • Die Regierungsmehrheit im Parlament kann willkürlich über die Zuerkennung des Kirchenstatus entscheiden.
  • "Der von der Verfassung gewährte Schutz der Familie wird eingeengt auf Mann und Frau, die miteinander verheiratet sind und Kinder großziehen."
  • Von der Regierung eingesetzte Wirtschaftsdirektoren ("Kanzler") können die Finanzautonomie der Universitäten aufheben.
  • Universitätsabgänger, die ohne Studiengebühren studiert haben, können zum Bleiben in Ungarn verpflichtet werden.
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