Verfahren gegen die Regierung Orbán:EU will in Ungarn Grundrechte erzwingen

Aus Sorge um die Demokratie in Ungarn leitet die EU drei Vertragsverletzungsverfahren gegen die Regierung von Viktor Orbán ein. Auf die Warnungen aus Brüssel hatte Budapest nicht reagiert. Nun soll Orbán bis Monatsende seine umstrittenen Justiz- und Datenschutzgesetze zurücknehmen.

Martin Winter

Die Europäische Union greift zu rechtlichen Mitteln, um das Wohlverhalten ihres Mitgliedsstaats Ungarn zu erzwingen. Die EU-Kommission leitete am Dienstag mehrere Verfahren wegen Verstößen gegen die EU-Verträge gegen das Land ein. Auf Warnungen aus Brüssel hatte die Regierung in Budapest nicht reagiert. Ungarn hat nun einen Monat Zeit, um seine Gesetze zu korrigieren. Regierungschef Viktor Orbán will seine Politik an diesem Mittwoch vor dem Europäischen Parlament rechtfertigen.

Ungarns neue Verfassung bleibt umstritten

Ministerpräsident Viktor Orbán nutzt seine Zweidrittelmehrheit, um grundlegende Gesetze in Ungarn zu ändern. 

(Foto: dapd)

Die Entscheidung, gleich ein ganzes Bündel von Verfahren gegen Ungarn einzuleiten, das seit 2004 Mitglied der EU ist, begründete Kommissionspräsident José Manuel Barroso am Dienstag mit der Sorge um die Demokratie in Ungarn. Man unternehme alles, damit nicht weiter ein "Schatten des Zweifels" über der ungarischen Demokratie liege, sagte er. Die Kommission werde entschlossen dafür sorgen, dass das europäische Recht in Wort und Geist vollständig respektiert werde.

Orbán, der seine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit im ungarischen Parlament zu tiefgreifenden Gesetzesveränderungen nutzt, wird Mitte kommender Woche zu Gesprächen in Brüssel erwartet. Seine kurzfristige Ankündigung, auch vor den Abgeordneten des Europäischen Parlaments zu erscheinen, wurde in diplomatischen Kreisen als Versuch gewertet, in letzter Minute noch einen Aufschub der Entscheidung der Kommission zu bewirken.

Drei Kritikpunkte: Rentenalter, Unabhängigkeit der Zentralbank und Datenschutz

Die Kommission hat auf drei Gebieten formelle Vertragsverletzungsverfahren eröffnet, die in letzter Konsequenz dazu führen könnten, dass Ungarn von 2013 an keine oder nur noch stark verringerte Mittel aus dem milliardenschweren Strukturfonds der EU bekommt. Das erste Verfahren richtet sich gegen ein Gesetz, das das Rentenalter von Richtern von 70 auf 62 Jahre heruntersetzt.

Formal wird Budapest vorgeworfen, damit gegen das Verbot der Diskriminierung aufgrund des Alters zu verstoßen. Das normale Rentenalter liegt auch in Ungarn höher. Tatsächlich aber unterstellt man in der Kommission, dass Orbán sich mit diesem Gesetz unliebsamer Richter entledigen und deren Stellen mit Gefolgsleuten besetzen will. Noch in diesem Jahr wären 274 Richter von der erzwungenen Frühpensionierung betroffen.

Im zweiten Verfahren geht es um die Unabhängigkeit der ungarischen Zentralbank. Nach Einschätzung der Experten aus dem Haus von Währungskommissar Olli Rehn hat die Politik einen unzulässig hohen Einfluss auf die Bank bekommen. Zweifel an der Unabhängigkeit der Bank spielen auch bei den Rettungsbemühungen für die ungarischen Staatsfinanzen eine Rolle. Weder die EU noch der Internationale Währungsfonds sind bereit, Geld zu geben, wenn die Zentralbank des Empfängerlandes nicht ausreichend unabhängig ist.

Das dritte Verfahren betrifft das Gesetz zum Datenschutz. Hier monieren die Prüfer der Kommission, dass der Datenschutzbeauftragte nicht unabhängig genug ist und starken politischen Beeinflussungen unterliegt. Zusätzlich zur Eröffnung dieser drei Verfahren verlangt die Kommission von der Regierung Orbán schriftlich noch weitere Auskünfte über die Justizreform. In der Kommission gibt es die Sorge, dass die Unabhängigkeit der Justiz insgesamt nicht europäischen Standards entspricht. Sollten die Antworten auf diesen Fragenkatalog nicht zufriedenstellend ausfallen, dann müsste Ungarn noch mit weiteren Verfahren rechnen. Justizkommissarin Viviane Reding forderte Budapest auf, die an den Gesetzen monierten Mängel schleunigst abzustellen.

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