Vereinte Nationen:Empfehlungen gegen die Schande

UN holds urgent talks as air strikes pound Syria's Aleppo

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in New York bei einer seiner ergebnislosen Sitzungen zur Situation in Syrien.

(Foto: Bryan R. Smith/AFP)

Die UN erweisen sich als machtlos angesichts des Kriegs in Syrien. Nun könnte anstelle des Sicherheitsrats die Generalversammlung das Heft des Handelns in die Hand nehmen.

Von Stefan Ulrich

Weil sachliche Argumente bislang wirkungslos blieben, probierte es Steven O' Brien diese Woche mit einem Appell ans Einfühlungsvermögen: "Ich will Sie nach Ost-Aleppo führen", sagte er den Abgesandten der 15 Mitglieder des UN-Sicherheitsrats in dessen Sitzungssaal in New York. "Stellen Sie sich vor, Sie sitzen zusammengedrängt mit Ihren Kindern und alten Eltern in einem Keller." Dann beschrieb der Nothilfekoordinator der Vereinten Nationen den Geruch von Urin und Erbrochenem und das Warten auf die bunkerbrechenden Bomben. In Aleppo litten Menschen "wie du und ich". Wenn der Sicherheitsrat nicht endlich tätig werde, gebe es in Syrien bald nichts mehr zu retten. "Das wird dann das Vermächtnis dieses Sicherheitsrats sein - und die Schande unserer Generation."

Vergeblich. Der zerstrittene Rat kann sich nicht dazu durchringen, den Krieg und die Massenmorde an Zivilisten in Syrien zu stoppen, für die O' Brien vor allem die Regierung in Damaskus sowie Russland anklagt. Dabei trägt der Sicherheitsrat die Hauptverantwortung für den Weltfrieden. Im Syrien-Konflikt ist er jedoch handlungsunfähig, weil Russland schon fünf Mal ein Veto gegen Resolutionen eingelegt hat. So müssen die UN untätig und hilflos dem Grauen zuschauen, was ihre Glaubwürdigkeit weiter schwächt.

In dieser Lage suchen etliche Diplomaten in New York nach Möglichkeiten, wie der Völkerklub doch noch eingreifen kann. Diskutiert wird, die Mitgliedschaft Syriens bei den UN auszusetzen oder das Land unter seinem Diktator Baschar al-Assad ganz auszuschließen. Beides wäre nach Artikel 5 und 6 der Charta möglich, wenn der Sicherheitsrat mitmacht. Doch das lässt wiederum die russische Regierung nicht zu.

Der Generalversammlung - in der alle 193 Mitgliedstaaten der UN vertreten sind und in der es kein Veto-Recht gibt - steht jedoch ein anderer Weg offen, der an einem blockierten Sicherheitsrat vorbeiführt. Sie kann eine sogenannte Notstands-Sondersitzung abhalten, um in einen Konflikt einzugreifen. Zwar steht in Artikel 12 der Charta, dass die Generalversammlung keine Empfehlungen zu einem Streit abgeben darf, mit dem sich der Sicherheitsrat befasst. 1950 hat sich die Generalversammlung jedoch darüber hinweggesetzt, weil der Sicherheitsrat seiner Verantwortung nicht nachkam.

Damals tobte der Korea-Krieg, und Russland stoppte per Veto im Sicherheitsrat alle Resolutionen, durch die Südkorea gegen das angreifende Nordkorea unterstützt werden sollte. Daraufhin erließ die Generalversammlung ihre Resolution Nummer 377, die unter dem Namen "Uniting for Peace" berühmt werden sollte. Darin steht, verkürzt ausgedrückt: Fällt der Sicherheitsrat wegen eines Vetos als Friedensbringer aus, kann die Generalversammlung "den Mitgliedern geeignete Empfehlungen für Kollektivmaßnahmen zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens oder der internationalen Sicherheit geben". Davon hat die Generalversammlung in der Folge mehrmals Gebrauch gemacht. Heute ist anerkannt, dass sich die Generalversammlung neben dem Sicherheitsrat mit Konflikten befassen und bei dessen Blockade in einer Notstands-Sondersitzung mit Zweidrittelmehrheit Empfehlungen abgeben darf.

Es bräuchte eine Mehrheit von zwei Dritteln, um die Schuldigen zu benennen

Genau das müsse sie nun im Syrien-Konflikt tun, fordert der Politikprofessor Sven Gareis von der Universität Münster. "Es ist die klassische Situation, um eine solche Sondersitzung einzuberufen." Diese könne zum Beispiel zu einem sofortigen Waffenstillstand in Syrien oder zur Versorgung der Menschen in Aleppo aufrufen. Zudem könne sie die Schuldigen an den Bombardements der Zivilbevölkerung benennen und anprangern. Allerdings seien solche Beschlüsse der Generalversammlung, anders als diejenigen des Sicherheitsrats, nicht bindend.

Doch was nützen Resolutionen, die gar nicht befolgt werden müssen? Einiges, meint Gareis, der Autor eines Standardwerks über die Vereinten Nationen ist. "Die Generalversammlung kann Ross und Reiter nennen und vor aller Welt erklären, dass die Hauptschuld an den Verbrechen bei Assad liegt." Dies habe eine politisch-moralische Wirkung und gebe den Vereinten Nationen eine aktive Rolle zurück.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon versucht bereits, diesen Weg zu gehen. Vor einer Woche warf er dem Sicherheitsrat vor, in Syrien zu versagen. Zugleich forderte er die Generalversammlung auf, ihrer Verantwortung für die Menschen in dem kriegszerstörten Land gerecht zu werden. Nun kommt es in New York darauf an, genügend Staaten für eine Zweidrittelmehrheit zusammenzubekommen. Russland versucht, das zu verhindern. Die Anklage des Nothilfekoordinators O'Brien tat der russische UN-Botschafter Witali Tschurkin mit den Worten ab: "Wenn ich eine Predigt hören will, gehe ich in die Kirche."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: