Vereinte Nationen:Der eierlegende Wollmilch-Kandidat

Nickolay Mladenov

Sitzung im UN-Sicherheitsrat: Die fünf städigen Mitglieder des Gremiums einigten sich bisher auf den neuen Chef der Vereinten Nationen.

(Foto: Mary Altaffer/AP)

Der nächste UN-Generalsekretär soll Osteuropäer sein. Schwierig.

Von Hubert Wetzel

Die Charta der Vereinten Nationen enthält nur einen einzigen lapidaren Satz zur Wahl des Generalsekretärs: "Der Generalsekretär wird auf Empfehlung des Sicherheitsrats von der Generalversammlung ernannt", heißt es in Artikel 97. Und genau so lief die Auswahl in den vergangenen sieben Jahrzehnten ab: Die fünfzehn Staaten im Sicherheitsrat einigten sich auf einen Kandidaten. In der Praxis bedeutete das: Die fünf ständigen Sicherheitsratsmitglieder, die jeweils ein Vetorecht haben, machten einen Bewerber unter sich aus. Dieser wurde dann von der Generalversammlung - dem Staatenplenum, in dem alle UN-Mitglieder eine Stimme haben - abgesegnet. De facto mussten also fast 200 Staaten damit leben, was fünf Länder im Geheimen ausgehandelt hatten.

Bei der Suche nach dem Nachfolger für den Ende des Jahres aus dem Amt scheidenden UN-Generalsekretär Ban Ki Moon soll es etwas anders laufen. Formalrechtlich ändert sich an dem in der Charta festgeschriebenen Verfahren zwar nichts. Doch zum ersten Mal in der Geschichte der UN soll die Generalversammlung die Möglichkeit bekommen, die Kandidaten anzuhören und zu befragen. Von diesem Dienstag an werden sich in New York die bisher namentlich bekannten Bewerber in zweistündigen Anhörungen den Vertretern der UN-Mitglieder stellen müssen. Der Generalsekretär wird zunächst für eine fünfjährige Amtszeit gewählt. Diese kann um weitere Amtszeiten verlängert werden.

Bisher gibt es acht Kandidatinnen und Kandidaten: den früheren mazedonischen Außenminister Srgjan Kerim, Kroatiens ehemalige Außenministerin Vesna Pusić, Montenegros Ex-Regierungschef Igor Lukšić, den früheren slowenischen Staatspräsidenten Danilo Türk, die bulgarische Unesco-Chefin Irina Bokowa , die ehemalige moldawische Außenministerin Natalia Gherman, Portugals früheren Premier Antonio Guterres sowie die einstige neuseeländische Regierungschefin Helen Clark. Weitere Kandidaten können jederzeit hinzukommen.

Am Ende könnte ein schwacher Bewerber übrig bleiben, der möglichst wenig reinredet

Dass so viele Osteuropäer unter den Kandidaten sind, liegt daran, dass der Posten aus Gründen des Regionalproporzes in diesem Jahr an ein Person aus der UN-Regionalgruppe Osteuropa vergeben werden soll. Asien war mit dem Südkoreaner Ban Ki Moon gerade an der Reihe, davor vertraten der Ghanaer Kofi Annan und der Ägypter Boutros Boutros-Ghali die Afrikaner und Araber an der Spitze der UN. Davor wiederum führte der Peruaner Javier Pérez de Cuéllar für Lateinamerika die Organisation. Westeuropa und die USA haben im Sicherheitsrat ohnehin ein Übergewicht - nun ist also die Osteuropa-Gruppe dran, zu der auch Russland zählt.

Dieser regionale Aspekt könnte allerdings die Wahl erschweren. Denn natürlich wollen die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats - die USA, Russland, Frankreich, Großbritannien und China - ihren Einfluss auf die Auswahl behalten. Die Anhörungen in der Generalversammlung ändern nichts daran, dass die Macht bei den fünf großen Sicherheitsratsländern liegt, die jeden Kandidatenvorschlag per Veto stoppen können, auch wenn sich in den Anhörungen ein gewisser diplomatischer Druck aufbauen ließe, sofern ein Kandidat dort besonders gut abschneidet. Chancen wird dennoch nur ein Bewerber haben, den die USA und Russland akzeptieren.

Das kann nur klappen, wenn man einen Kandidaten findet, der zum einen von ausreichendem politischen Kaliber ist - also mindestens ein Ex-Außenminister -, zugleich aber zum Beispiel beim Thema Ukraine-Konflikt nicht zu sehr öffentlich festgelegt ist auf die westliche oder die russische Sichtweise. Moskau wird keinen Generalsekretär wollen, der dauernd die Krim-Annexion kritisiert; Washington wird keinen Kandidaten unterstützen, der nicht einigermaßen deutlich die Unverletzlichkeit der territorialen Integrität eines UN-Mitglieds betont. Der gleiche Zwist spaltet auch die osteuropäische Staatengruppe. Ob sie sich überhaupt auf einen gemeinsamen Bewerber einigen wird, weiß man derzeit noch nicht.

Das spricht eher dafür, dass am Ende des Bewerbungsverfahrens ein eher schwacher, wenig profilierter Kandidat übrig bleiben wird, der den mächtigen Sicherheitsratsmitgliedern möglichst wenig reinredet, sondern die Organisation effizient führt. So war es im Falle Ban Ki Moons, der als vergleichsweise unbekannter südkoreanischer Außenminister auf den höchst profilierten Diplomaten Kofi Annan folgte. Annan hatte in seinen jährlichen Reden vor der UN-Vollversammlung immer wieder die unilaterale Intervention der USA im Irak gegeißelt. Bei der Bush-Regierung war Annan so unbeliebt, dass sie den nationalistischen Hardliner und UN-Verächter John Bolton zum amerikanischen Botschafter bei der Organisation machte.

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