Städtebau:Wenn das Grün aus den Städten verschwindet

Wohnhäuser in der Kölner Innenstadt spiegeln sich in einer Glasfassade Köln 01 05 2018 *** Residen

Viel Haus, wenig Grün: eine Szene aus Köln.

(Foto: Christoph Hardt/imago/Future Image)

Menschen leben zunehmend dicht an dicht, Natur und offener Raum weichen einer enger werdenden Stadt. Lebenswert ist diese nicht unbedingt.

Gastbeitrag von Wolfgang W. Weisser

In unseren Städten wird wieder gebaut und gebaut, wie in der Gründerzeit am Ende des 19. Jahrhunderts. Mit Blockrandbebauung und Innenhöfen, in denen Grün und Natur höchstens eine dekorative Rolle spielen. Dieser Bauboom ersetzt nicht nur die hastig hochgezogenen Gebäude der Fünfzigerjahre; gebaut wird vor allem dort, wo früher aus gutem Grund nicht gebaut wurde, weil das städtebauliche Leitbild der gegliederten und aufgelockerten Stadt viel Grün und offenen Raum vorsah. Anstatt die Stadt lebenswerter zu machen und die Wohnqualität durch eine Weiterentwicklung der freien Flächen in Grünräume zu verbessern, wird heute überall in den zentrumsnahen Wohnvierteln wie Berlin-Friedrichshain oder München-Laim verdichtet. Das Grün wird dabei dramatisch reduziert - auf Umrandungen für Parkplätze, dominiert von Kirschlorbeer oder Baumarkt-Gehölz.

Was die Stadt aber braucht, das ist Platz. Platz, der intelligent genutzt wird und dem Mensch ein Zuhause sein kann. So knapp und so teuer er auch sein mag. Im Zuge des Bauwahns aber fallen die letzten alten Bäume der Verkehrssicherung oder Tiefgaragen zum Opfer, und wenn sich doch mal eine Pflanze traut, höher als zehn Zentimeter zu wachsen, so wird sie mit Mulchern des Bauhofs zurechtgewiesen. Wie kann es sein, dass Politik, Stadtplanung, Bauherren und Grünordnungsamt gerade bundesweit das Stadtgrün vernichten, wo doch eine grüne Infrastruktur aus Parks, Biotopen und Freiflächen weltweit als Merkmal einer zukunftsfähigen und lebenswerten Stadt ausgerufen wird?

Leider sind jedoch einige der Annahmen dieses städtebaulichen Leitbildes grundfalsch

Der Grund für diese Entwicklung liegt im fehlgeleiteten Diskurs über das Wesen einer nachhaltigen Stadtentwicklung. Das spezielle deutsche Verständnis zielt auf die "kompakte Stadt", in der die Wege kurz sind und die Energieeffizienz hoch. So sollen Materialverbrauch und Emissionen reduziert werden. Diese verdichtete Stadt folgt dem Grundsatz "Innenentwicklung vor Außenentwicklung", der im Baugesetzbuch festgelegt ist und das räumliche Wachstum der Städte begrenzt. Das Ziel, außerhalb der Stadtgrenze möglichst nicht zu bauen, soll die Zersiedelung reduzieren und kurze Wege gewährleisten. Was zunächst einleuchtend klingt.

Leider sind jedoch einige der Annahmen dieses städtebaulichen Leitbildes grundfalsch, weil sie das Wesen einer lebenswerten Stadt verkennen. Energie- und Materialeffizienz sind lohnenswerte Ziele. Biologische Vielfalt und die Schaffung leistungsfähiger Grünstrukturen zur Reduktion von Feinstaub, Kühlung der Städte oder Versickerung von Regenwasser sind aber auch wichtig - kommen aber an zweiter Stelle. Da Bauvorhaben und grüne Infrastruktur um die gleichen, oft sehr knappen Flächen konkurrieren, wäre es notwendig, Kompromisse zu finden. Genau das passiert jedoch nicht.

Im Gegenteil. Es gibt keine gesetzliche Regelung zur Förderung der grünen Infrastruktur, im Gegensatz zu etwa der Dämmung von Häusern. Zudem hat die Bundesregierung verordnet, dass die Eingriffsregelung - ein Instrument, das Stadtplaner und Bauherren zwingt, bestehende Grünstrukturen nach Möglichkeit zu erhalten - nicht innerhalb der Städte anzuwenden ist. Natürlich könnten Stadtplanungsämter auch ohne gesetzlichen Zwang das Stadtgrün weiterentwickeln. Das Bundesumweltministerium hat dazu das Schlagwort der "doppelten Innenentwicklung" erfunden. Wenn die Freiräume schon weniger werden, so sollen sie doch immerhin wertvoller sein. Leider hat es dieses Ziel nicht einmal in die offiziellen Verlautbarungen der Bundesregierung geschafft. An die Freiwilligkeit von Bauherren zu appellieren, statt nur Wohnungen auch Grünflächen zu schaffen, erscheint doch sehr naiv.

Zudem bedeutet eine vorsichtig wachsende Stadt nicht zwangsläufig, dass der Autoverkehr wächst

Auch eine Reihe von Annahmen zum Flächenverbrauch sind falsch. Für die grüne Infrastruktur ist der Verlust von einem Hektar Grünfläche in der Innenstadt deutlich gravierender als an der Stadtgrenze. Es ist ebenso eine falsche Annahme, dass viel Fläche gebraucht wird, um Menschen etwas eigenen Grünraum zuzugestehen. Es gibt intelligente Konzepte einer kontrollierten Stadterweiterung mit verdichteten Siedlungsmodellen, die öffentliches und privates Grün ermöglichen wie etwa das Quartier Vauban in Freiburg; diese werden wegen des Strebens nach der kompakten Stadt zu selten umgesetzt.

Zudem bedeutet eine vorsichtig wachsende Stadt nicht zwangsläufig, dass der Autoverkehr wächst. Ob man mit dem Pkw in die Stadt fährt, hängt von der Qualität des öffentlichen Nahverkehrs, den Fahrradwegen und dem Preis des Autofahrens in der Stadt ab. Kopenhagen oder London könnten hier ein Beispiel sein, wo das Autofahren in der Stadt sehr teuer ist.

Der wichtigste Fehlschluss des aktuellen Diskurses ist jedoch, dass die Menschen gern in der kompakten Stadt leben wollen. Wer verzichtet schon freiwillig auf Grün und Raum? Sicher gibt es einige Großstadtmenschen, die ihr Seelenheil nur im gedrängten Grau finden, aber die meisten dürften anders wohnen wollen. Das Häuschen im Grünen dürfte weiter das Ideal der Mehrheit sein, ein Ideal, das wenige erreichen, während viele andere unter der verdichteten Stadt leiden.

Es wird Zeit, die Diskussion über eine moderne Stadtentwicklung neu zu führen

Diejenigen jedoch, die es sich leisten können, ins Grüne zu ziehen, oder die lange Pendelwege in Kauf nehmen, zeigen die ganze Hybris jenes städtebaulichen Nachhaltigkeitsdiskurses auf, der sein eigentliches Ziel verfehlt: Die Begrenzung des Bauens auf den Innenraum der Stadt führt nicht zu weniger, sondern zu mehr Versiegelung, Flächenverbrauch und Individualverkehr, und zwar im Umland, wo Gemeinden ungehemmt Baugebiete ausweisen, mit großen Grundstücken für Einfamilienhäuser, die zur Hälfte geschottert werden.

Hätten die Menschen die Möglichkeit, Wohnraum mit eigenem Garten oder Dachterrasse in der von der Stadtplanung vernachlässigten Außenstadt zu beziehen und könnten sie gar eine gut getaktete S-Bahn in die Stadt nehmen und ein sicheres Radwegenetz nutzen, würden nicht wenige wohl eher diese Option wählen. Der Verzicht auf ein Wachstum von Städten nach außen darf kein Freibrief für die Zerstörung der urbanen Lebensqualität sein. Es wird Zeit, die Diskussion über eine moderne Stadtentwicklung neu zu führen, damit unsere Nachkommen nicht grau in grau, Haus an Haus aufwachsen müssen.

Wolfgang W. Weisser, 54, ist Professor für terrestrische Ökologie an der TU München.

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Das deutsche Verständnis vom Städtebau ziele nur auf Energie- und Ressourceneffizienz, schreibt Wolfgang W. Weisser, Professor für terrestrische Ökologie. Das widerspreche der weltweiten Tendenz zur grünen Infrastruktur aus Parks, Biotopen und Freiflächen.

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