Verdacht gegen hessischen Verfassungsschützer:Spitzname "Kleiner Adolf"

Als die Zwickauer Zelle in einem Kasseler Internet-Café Halit Y. hinrichtet, surft ein hessischer Verfassungsschützer dort im Netz. In seiner Wohnung findet die Polizei später Hinweise auf eine rechtsradikale Gesinnung - doch die Ermittlungen gegen den Mann werden eingestellt. Dabei bleiben viele Fragen offen.

Peter Blechschmidt und Marc Widmann

Es war ein schneller, grausamer Mord am 6. April 2006 im Kasseler "Tele-Internet-Café". Gegen 17 Uhr wurde Halit Y., der im Laden nur einige Stunden lang seinen Vater vertrat, mit zwei Kopfschüssen hinter der Theke regelrecht hingerichtet. Nebenan surften zu dieser Zeit sechs Menschen im Netz, fünf davon meldeten sich spätestens nach einem Zeugenaufruf der Polizei.

Verfassungsschutz schweigt zur Rolle im Neonazi-Mord

Tatort Internet-Café: 2006 endete die Neonazi-Mordserie in diesem Café in Kassel, der Inhaber des Ladens wurde brutal hingerichtet.

(Foto: dpa)

Nur einen Anwesenden mussten die Fahnder mühsam über die Analyse der Festplatten aufspüren: jenen Mann mit sehr kurzen hellen Haaren und Brille. Es war ein Beamter des hessischen Verfassungsschutzes.

Die Ermittler stießen auf Seltsames

Schon dieses Verhalten, dass er sich nicht selbst meldete, machte den Beamten verdächtig. Er arbeitete als V-Mann-Führer der Wiesbadener Behörde quasi im Außendienst, für das Sachgebiet Ausländerextremismus. Er war nun Verdächtiger in dem Mordfall, kein Zeuge mehr. Die Ermittler durchsuchten seine Wohnung - und stießen auf Seltsames.

Der Mann vom Verfassungsschutz entpuppte sich, wie es in Berliner Sicherheitskreisen heißt, als Rechtsradikaler, der in seinem Heimatort Hofgeismar angeblich sogar den Spitznamen "der kleine Adolf" trug. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung wurden unter anderem Abschriften aus Hitlers Mein Kampf gefunden, so erzählen es Berliner Experten.

Offen blieb zunächst, ob die womöglich rechtsradikale Gesinnung des Mannes bei seinen Vorgesetzten bekannt war. Fachleute zeigten sich verwundert, da solche Beamte regelmäßig auf ihre Zuverlässigkeit überprüft werden. In dem Mordfall ermittelte die Staatsanwaltschaft in Kassel, sie stellte das Verfahren gegen den Verfassungsschützer im Januar 2007 ein.

"Er hatte einzelne Schriftstücke, die das Dritte Reich betrafen", sagte Behördensprecher Götz Wied am Dienstag, "es war aber nicht so, dass wir dachten, jetzt stehen wir in der Wohnung eines Neonazis." Ins Detail ging Wied nicht. Man habe sehr breit recherchiert und versucht, das Umfeld des Verdächtigen auszuleuchten, die "Stationen seines Lebens abzuklappern". Verbindungen zu rechten Kreisen habe man dabei nicht gefunden, sagte der Staatsanwalt. "Was da war, hat nicht dazu geführt, dass er verdächtig war."

Viele offene Fragen

Auch der hessische Verfassungsschutz stieß bislang auf keinerlei Verbindungen seines früheren Mitarbeiters zur rechtsextremen Gruppe NSU, die als verantwortlich für die Serie von neun Morden an überwiegend türkischen Ladeninhabern in den Jahren 2000 bis 2006 gilt.

In der Wohnung des hessischen Beamten fanden die Fahnder 2006 zwar Schusswaffen, die er aber offenbar legal besaß. Für vier Taten der sogenannten Dönermord-Serie konnte der Verfassungsschützer ein "hundertprozentiges Alibi" vorweisen, heißt es bei der Staatsanwaltschaft. Für die vier weiteren Taten habe er Alibis genannt, die sich nicht endgültig belegen ließen. Sogar sein Handy habe man überprüft, ob es sich zu den Tatzeiten der Mordserie an Funkmasten nahe der Tatorte angemeldet habe. Damals ohne Erfolg.

Alles Zufall?

Doch bleiben viele Fragen in dem Fall offen. So endete die Mordserie 2006 genau nach den Ermittlungen gegen den Verfassungsschützer. Zufall? So fanden die Ermittler in seiner Wohnung ein Fachbuch über Serienmorde, herausgegeben von einem Polizeiverlag. Normale Dienstlektüre? So sagte der Beamte bei seiner Vernehmung, er habe sich nicht selbst gemeldet, weil ihm die ganze Sache peinlich sei. Schließlich suchte er im Internet-Café den Ermittlungen zufolge Kontakt zu Frauen - ohne dass seine eigene davon etwas mitbekommen sollte. Glaubhaft?

Andererseits gibt es Details, die bezweifeln lassen, dass der frühere Verfassungsschützer etwas mit den Morden zu tun hat. An jenem Tag im Internetcafé gab er im Netz seine private Telefonnummer ein. Das tut gewöhnlich kein erfahrener Sicherheitsbeamter, der seine Spuren verwischen will. Außerdem legte er offenbar noch artig das Geld auf den Tresen, ehe er das Café verließ: Einen Euro kostete die Stunde im Internet.

Inzwischen arbeitet der zeitweise freigestellte Beamte wieder für den hessischen Staat. Nachdem sein Verfahren Anfang 2007 eingestellt worden war, versetzte man ihn. Er ist jetzt beim Regierungspräsidium in Kassel.

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