Verbrechen des Neonazi-Trios:Sicherheitsbehörden haben bei Ermittlungen versagt

Auf der Spur der Terrorzelle: Die Fahnder der Soko "Bosporus" hatten oft die richtige Witterung - und doch keine Ahnung, dass die Mörder Neonazis waren. Die Untersuchungen zeigen eine neue Dimension des Versagens von Sicherheitsbehörden auf - statt der Ermittler hatte offenbar nur eine Zeugin das richtige Gespür.

John Goetz und Hans Leyendecker

Am 26. Juni 2008 fertigte die Sonderkommission "Bosporus" einen weiteren Bericht ab zu einer Mordserie, die Fahnder und Nachrichtendienstler ratlos machte. Seit 2000 waren neun Migranten, zumeist Kleingewerbetreibende türkischer Herkunft, mit einer Pistole des Typs Ceska 83 erschossen worden, und die Ermittler blickten immer noch nicht durch: "Erfolgsversprechende Ermittlungsansätze" gebe es nicht, heißt es im "32. Sachstandsbericht".

Die Ansätze finden sich in den Akten. Beispielsweise unter "Täterprofile": möglicherweise ein Einzeltäter, wahrscheinlich aber mehrere Männer jüngeren Jahrgangs, "Nationalität deutsch". Sie hätten eine "Affinität zu Waffen", seien mobil und besäßen offenbar "Kenntnisse zur rechten Szene". Man habe deshalb, schrieb der Verfasser des Berichts, polizeiliche Daten zu Personen ausgewertet, die dem Staatsschutz wegen rechter Gesinnung aufgefallen seien. Möglicherweise seien sie früher durch aggressives Verhalten aufgefallen und in "Waffen/ Sprengstoffdelikte" verwickelt gewesen.

Alles trifft auf Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos zu, aber die Namen der Zwickauer Terroristen tauchen in all den Akten nicht auf. Das Täterprofil aber passt, mit dem heutigen Wissen, verblüffend genau auf die beiden Mörder der Terrorvereinigung "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU), die sich am 4. November 2011 das Leben genommen haben.

Sie reisten stets mit Wohnmobilen an und fuhren mit Fahrrädern zu den Tatorten. Die Fahnder widmeten sich in ihrem viele Seiten dicken Sachstandsbericht ausführlich dem Phänomen "Fahrradfahrer", zu denen es auch "fallübergreifende Aussagen" gebe. Zumindest in drei Fällen seien Zeugenaussagen zu den beiden Radfahrern "vergleichbar".

Die Fahnder wussten vieles, aber offensichtlich nicht genug. Warum führten alle diese Spuren, die in den mehr als 1200 Aktenordnern der Kommission "Bosporus" abgelegt sind, ins Nichts und zu nichts? Der Untersuchungsausschuss "Terrorgruppe NSU" des Bundestages wird sich in diesem Monat erstmals damit beschäftigen. Es ist eine Geschichte von Zufällen, verpassten und verpatzten Gelegenheiten - und auch von Versagen. Nicht nur der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, hat von einer "Niederlage" der Sicherheitsbehörden gesprochen.

Die vielen Akten "Bosporus" und auch die Ordner der Nachrichtendienste, die mit vielen "Geheim"-Stempeln versehen sind, aber kein einziges Geheimnis aufklären, lassen das frühe Fazit zu, dass dieser Fall am Ende als ganz neue Dimension des Versagens von Sicherheitsbehörden, als das große Staatsversagen schlechthin, in die Geschichtsbücher eingehen wird. Aber die früh vermutete Verflechtung zwischen Sicherheitsbehörden und den Mördern der Zwickauer Neonazi-Szene, die Kumpanei von Staatsdienern mit den rechten Mördern, den "tiefen Staat" also, hat es nicht gegeben. Das beweisen sogar die Dokumente mit den Fehlspuren.

Auf einer Gedenkveranstaltung für die Opfer rechtsextremistischer Gewalt am 23. Februar in Berlin hat Kanzlerin Angela Merkel den Hinterbliebenen der Opfer versprochen: "Wir tun alles, um die Morde aufzuklären und die Helfershelfer und Hintermänner aufzudecken." Wahr ist tatsächlich, dass die Beamten, die jahrelang in viele Richtungen ermittelt haben, alles getan und versucht haben, um die Mörder zu fassen.

In Rasterfahndungen wurden etwa 16 Millionen Funkzellendaten, 13 Millionen Transaktionsdaten, etwa 100.000 Verkehrsdaten und 80.000 Daten zu Waffenbesitz und Waffendelikten ausgewertet. Es wurden rund um die Uhr Telefone abgehört, angeblich Verdächtige wurden festgenommen und mussten dann doch wieder freigelassen werden.

Angebliche Spuren im Mafia- und im Drogenmilieu wurden verfolgt: "Glücksspiel/Spielschulden", "politisch religiöse Gründe", "PKK/Schutzgeld", "Inkassobüro" lauten Stichworte der vergeblichen Suche nach den Mördern und den Motiven. Exzessiv wurden Ermittlungen im jeweiligen familiären Umfeld geführt, und sogar Angehörige der Opfer standen jahrelang selbst im Verdacht, wie die Akten zeigen: "Wie schlimm muss es sein, über Jahre falschen Verdächtigungen ausgesetzt zu sein, statt trauern zu können?", hat die Kanzlerin neulich in Berlin gefragt.

Der 32. Sachstandsbericht zeigt aber auch, dass die Beamten bei allem Irregehen durchaus die richtige Witterung, die richtigen Hypothesen entwickelt hatten. Dass es zwischen einem Sprengstoffanschlag 2004 in Köln, der sich gegen Migranten richtete und den Morden mit der Ceska einen Zusammenhang geben könnte, wurde erwogen und dann doch wieder verworfen. Die Kölner Ermittler meinten, dass die beiden Täter, die mit Fahrrädern gekommen waren, aus der Umgebung stammen müssten. Wer fährt schon mit einer Bombe durch Deutschland? Sie kamen aber aus Zwickau. Und die Bosporus-Leute vermuteten, wegen der sechs bayerischen Tatorte, den oder die Serientäter im Freistaat. Dass die Mörder aus Neonazi-Kreisen stammen und aus Fremdenhass gemordet hätten, war ebenfalls eine Hypothese.

In den kommenden Monaten wird der Untersuchungsausschuss vermutlich auch der Frage nachgehen, warum sich all die Zeit keine der Dienststellen in Thüringen gemeldet hat, die intensiv mit dem Anfang 1998 untergetauchten Gewalt-Trio Mundlos, Böhnhardt und der Neonazi-Frau Beate Zschäpe zu tun hatten. Keine Ahnung, nie durchgeblickt? Eine Ahnung, das zeigen die Akten, hatte einzig eine Zeugin. Sie wohnt in Nürnberg und hatte vor und nach einem der Morde die Täter auf ihren Rädern gesehen und sie auch sehr genau beschrieben. Die Nürnberger Mörder könnten auch in Köln die Bombe gelegt haben, sagte sie nach der Betrachtung eines Kölner Videos. Es gebe Ähnlichkeiten.

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