Venezuela:Ein Sieg, der nicht satt macht

Präsident Maduro kann sechs Jahre weiterregieren - die Wahl am Sonntag gewann er mit großem Vorsprung. Fair ging es dabei nicht zu, davon ist die Opposition überzeugt. Und noch immer fehlt ein Plan gegen den Hunger.

Von Boris Herrmann, Caracas/Rio de Janeiro

Reactions During the Venezuelan Presidential Elections

Trotz der Krise hat Nicolás Maduro noch treue Anhänger. Wie viele es wirklich sind, ist angesichts zweifelhafter Wahlergebnisse schwer zu sagen.

(Foto: Wilfredo Riera/Bloomberg)

Venezuela muss sich auf das Unvorstellbare einstellen: Auf sechs weitere Jahre unter dem Präsidenten Nicolás Maduro. Nach Angaben des regimetreuen Wahlamtes CNE erhielt Maduro bei der Präsidentschaftswahl am Sonntag fast 68 Prozent der abgegebenen Stimmen. Sein stärkster Gegenkandidat Henri Falcón landete demnach mit gut 21 Prozent weit abgeschlagen auf dem zweiten Platz. Der evangelikale Prediger Javier Bertucci, der bei seinen Wahlkampfveranstaltungen Suppe an hungernde Venezolaner verteilt hatte, kam laut CNE auf rund zehn Prozent. Maduro sprach in seiner Siegesrede am Sonntagabend von einem "historischen Triumph" mit "Rekordvorsprung". Die beiden Herausforderer teilten mit, das Ergebnis nicht anerkennen zu wollen, und verlangten eine Wiederholung der Abstimmung. "Für uns gab es keine Wahlen", sagte Falcón noch vor der Bekanntgabe des amtlichen Endergebnisses. Er warf der Regierung vor, die Wahlberechtigten massiv unter Druck gesetzt zu haben.

Offiziell lag die Beteiligung bei 46 Prozent. Maduros Gegner halten die Zahl für erfunden

Tatsächlich hatte Maduro seine Anhänger mit allen Mitteln mobilisiert. Mehrmals stellte er ihnen öffentlich eine Prämie für ihre Stimmabgabe in Aussicht: staatliche Nahrungsmittelpakete, Jobsicherheit und Zulagen gegen ein Kreuzchen an der richtigen Stelle. Am Sonntag errichteten Aktivisten der Regierungspartei PSUV rote Zelte in der Nähe vieler Wahllokale. Dort konnten sich die Bürger in Listen eintragen und die von der Regierung ausgegebene "Vaterlandskarte" einscannen lassen. An diese Karte sind zum Beispiel Rentenzahlungen geknüpft.

Das traditionelle Oppositionsbündnis "Tisch der Demokratischen Einheit" (MUD) hatte die Wahl aus Protest boykottiert, da der Prozess nicht einmal demokratische Mindeststandards erfülle. Die meisten Venezolaner sind dem Boykottaufruf des MUD offenbar gefolgt und blieben am Sonntag zu Hause. Aus dem ganzen Land berichteten Augenzeugen von komplett verwaisten Wahllokalen. Nach offiziellen Angaben lag die Wahlbeteiligung bei 46 Prozent. Politiker des MUD erklärten, die Zahl sei frei erfunden. Bei den drei vergangenen Präsidentschaftswahlen hatten rund 80 Prozent der Venezolaner ihre Stimme abgeben. Maduro selbst hatte am Sonntagmorgen mit drastischen Worten für diese Abstimmung geworben. Er stellte die Venezolaner vor die Alternativen: "Vaterland oder Kolonie, Frieden oder Gewalt, Wahlen oder Kugeln."

Die große Frage ist, wie es jetzt weitergehen soll mit diesem Land, in dem die Infrastruktur kollabiert ist - und in dem es wegen der Hyperinflation von derzeit rund 13 000 Prozent praktisch kein Bargeld mehr gibt. Große Teile der internationalen Gemeinschaft, darunter die USA, die EU sowie die in der Lima-Gruppe vereinten Nachbarstaaten der Region erkennen diese "Scheinwahlen" nicht an. Die USA belegten Venezuela zudem mit neuen Sanktionen. US-Präsident Donald Trump unterzeichnete noch am Montag ein entsprechendes Dekret. Der Regierung in Caracas sollten weitere Möglichkeiten verbaut werden, an frisches Geld zu kommen, erklärten Vertreter der US-Regierung. Konkret wird allen US-Firmen und -Bürgern untersagt, der Regierung Venezuelas dabei zu helfen, Besitz- oder Anlagegüter zu verkaufen. Gleiches gilt für die Zentralbank und die Ölgesellschaft Petróleos de Venezuela. Aber heißt das nun, dass all diese Länder ihre Botschaften schließen und ihre Diplomaten abziehen? Hoffentlich nicht, meint Phil Gunson, Analyst der International Crisis Group in Venezuela. Er sagt: "Es ist extrem wichtig, die politische Krise von der humanitären Krise zu trennen. Man kann nicht mehr warten, bis es einen Machtwechsel in Venezuela gibt. Die Menschen sterben vor Hunger." Das Ausland müsste deshalb alles versuchen, um mit dem Regime in Caracas im Dialog zu bleiben. Maduro hat bislang alle internationalen Hilfstransporte abgeblockt. Vermutlich, weil er dann zugeben müsste, dass sein Volk hungert.

Vermutlich gibt es keinen Staat, der ohne Krieg und Katastrophen so schnell so viel verloren hat

Aus Sicht von Gunson gibt es in der Weltgeschichte vermutlich keinen Staat, der ohne Krieg oder Naturkatastrophen so viel in so kurzer Zeit verloren hat. Das Land mit den größten bekannten Erdölreserven des Planeten gibt seine letzten Devisen aus, um Benzin zu importieren. Seine Raffinerien sind so kaputt wie alles andere auch.

Maduro selbst hat bislang zwei Strategien gegen die Krise. Erstens: Preiskontrollen, also der Versuch, die Inflation zu verbieten. Damit gießt er nach Ansicht von Analysten aber vor allem Öl ins Feuer. Der andere Plan lautet: Nullen streichen. 2009 wurden bei der Nationalwährung Bolívar drei Stellen entfernt. Danach hieß das Geld Bolívar fuerte ("Starker Bolívar"). Als erste Maßnahme nach der Wahl sollen für den neuen Bolívar soberano ("Souveräner Bolívar") nun wieder drei Nullen weg. Gunson sagt: "Der Plan ist: Wir machen weiterhin exakt das, was das Problem ausgelöst hat."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: