Vatikan:Es fehlte nur die Schleife

Aktuelles Lexikon: Vorglühen

Fahrer sehr alter Dieselautos kennen das noch: Man dreht den Zündschlüssel - und es beginnt die "Rudolf-Diesel Gedenkminute", bis das Licht am Armaturenbrett aus ist und der Motor losnageln kann. Bei einem Selbstzünder explodiert das Diesel-Luft-Gemisch im Zylinder bei 700 bis 900 Grad; um diese Temperatur zu erreichen, muss beim Start des Dieselmotors vorgeglüht werden. Was einst an kalten Wintertagen eine kleine Ewigkeit dauern konnte, geschieht bei modernen Autos so schnell, dass der Fahrer davon gar nichts mehr merkt. Und so hat das "Vorglühen" seine Bedeutung verlagert: Jugendliche mit wenig Geld, Geizhälse und alte Saufnasen trinken schon vor dem Besuch im Club, der Party oder des Stadions, um dort dann mit der von ihnen für angemessen gehaltenen Betriebstemperatur einzutreffen. Das spart Geld und auch Zeit, kann aber zu Kontrollverlust und ungeplanten Fehlzündungen führen. Jetzt hat sogar Papst Franziskus sich gegen dieses Vorglühen ausgesprochen. Wer das tue, so Franziskus in seinem Interviewbuch "Gott ist jung", das an diesem Dienstag veröffentlicht wird, höre nicht mehr auf Herz und Verstand: Er werde zum Gefangenen seiner Instinkte. Zum guten Miteinander passe es nicht, "in Begleitung eines Körpers, der einem nicht gehorcht", zu einer Party zu gehen. Matthias Drobinski

Beherzter Eingriff per Photoshop: Wie der Kommunikationschef des Vatikans einen Brief manipulierte, um Harmonie zwischen Papst Franziskus und seinem Vorgänger Benedikt zu inszenieren.

Von Oliver Meiler

Manchmal ist es eben doch ein Problem, dass es zwei Päpste gibt. Das liegt, Gott bewahre, nicht an den beiden Herrschaften selbst: Benedikt XVI. und sein Nachfolger Franziskus sind trotz augenfälliger Unterschiede in Wesen und Stil stets darum bemüht, harmonisch miteinander umzugehen. Zuweilen aber verursachen ihre Entouragen Konfusion, die Gemüter der beiden Anhängerschaften entzünden sich leicht an kleinen Intrigen und Polemiken. Diesmal ist es etwas mehr. Verhandelt wird ein Fall von offenbar plump erschlichener Werbung.

Vergangene Woche, als Franziskus' Pontifikat fünf Jahre alt wurde, präsentierte der Vatikan eine Reihe von elf Büchlein, die sich dem theologischen Wirken des Argentiniers widmen. Zu dessen Ehre. Der Chef der vatikanischen Kommunikation, der Italiener Dario Edoardo Viganò, las dazu ein Schreiben vor: einen Brief vom Vorgänger nämlich, der sich wie allerbeste Werbung anhörte. Benedikt schreibt darin, es sei ein "törichtes Vorurteil", dass Franziskus ein "Praktiker ohne theologische und philosophische Bildung" sei. Und genauso töricht sei das Klischee, dass er, Benedikt, ein "lebensferner Theoretiker" gewesen sei. In Wahrheit verbinde die beiden Pontifikate "eine innere Kontinuität".

Viganò las noch eine weitere Passage vor. Darin hieß es, Benedikt habe zur Einführung der Reihe keinen Essay schreiben können, weil er das nur dann tue, wenn er die Werke auch wirklich gelesen habe. Dazu sei er in diesem Fall aber "auch aus körperlichen Gründen" nicht imstande. Wer möchte ihm das verdenken, Benedikt ist bald 91. Der Vatikan legte ein Foto des Briefs zur Pressemitteilung. "Un regalo", nannten ihn die italienische Medien, ein Geschenk zum Fünfjährigen vom alten für den amtierenden Papst. Es fehlte nur die Schleife.

Eigenartig aber war, dass die letzten Zeilen per Photoshop unlesbar gemacht worden waren. Als Viganò nach dem Grund gefragt wurde, ließ er ausrichten, man habe nur publiziert, was dafür angemessen zu sein schien. Auf dem Briefumschlag habe der Vermerk "persönlich" gestanden. Daran habe man sich gehalten. Von Manipulation könne keine Rede sein.

Die Erklärung warf erst recht Fragen auf: Wollte Benedikt nicht, dass der Brief an die Öffentlichkeit kommt? Und wenn doch: Wusste er, dass ein Teil davon verdeckt würde? Vor allem: Was stand in diesen zwölf Zeilen am Ende des Schreibens?

Am Wochenende wurde auch dieses Rätsel gelöst. Sandro Magister, ein italienischer Vatikanexperte, berichtete auf seinem Blog "Il settimo cielo" (Der siebte Himmel), Benedikt führe in der ominösen Passage einen weiteren Grund an, warum er die Büchlein nicht lesen werde. Eines der kleinen Werke, schreibt Benedikt, sei von einem deutschen Theologen verfasst, dem emeritierten Tübinger Professor Peter Hünermann, der früher "antipäpstliche Initiativen" angeführt habe. Oder anders: Der Papst im Ruhestand bewarb die Bücherreihe zu Ehren Franziskus' nicht etwa, sondern er kritisierte die Auswahl einiger Autoren. Die schönen Worte zu Beginn des Schreibens sollten die Kritik wohl etwas versüßen.

Viganò war nun gezwungen, den Brief in voller Länge zu veröffentlichen. Ohne Weichzeichnungen. Vom Geschenk ist nicht viel übrig geblieben, nur das Gift des Zweifels.

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