Vaterschaftstest:Im toten Winkel des Rechts

Bundesverfassungsgericht verhandelt über Abstammungserklärung

Es wird eine schwierige Entscheidung: Der Erste Senat beim Bundesverfassungsgericht eröffnet die mündliche Verhandlung in Sachen Abstammungserklärung.

(Foto: Uli Deck/dpa)

Das Bundesverfassungsgericht lotet aus, in welchen Fällen Kinder einen mutmaßlichen Erzeuger zum Vaterschaftstest zwingen können.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Inge Lohmann war 14 Jahre alt, als ihre Mutter ihr offenbarte, wer ihr leiblicher Vater sei - ein Mann, mit dem sie einst eine kurze Beziehung gehabt habe. Sie hat ihren mutmaßlichen Vater dann ein paar Mal getroffen, sogar ein Gedicht hat er in ihr Poesiealbum geschrieben. Doch vor sechs Jahren nahm der Rechtsstreit seinen Lauf, über den an diesem Dienstag das Bundesverfassungsgericht verhandelt hat. Die inzwischen 65-jährige Frau hatte erstmals ihre Geburtsurkunde in die Hand bekommen. Dort stand, dass ebenjener Mann damals ihre Geburt beim Standesamt angezeigt hatte. Kein hundertprozentiger Beweis, aber doch ein Indiz - Lohmann wollte ein DNA-Gutachten, doch der Mann sperrte sich.

Die Karlsruher Anhörung zeigte: Es wird keine einfache Entscheidung. Zwar gewährt das Grundgesetz ein "Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung" - kreiert im Jahr 1989 vom Verfassungsgericht selbst. Und die Richter des Ersten Senats schienen durchaus geneigt, auch der Klägerin einen solchen Anspruch zu gewähren. Denn bisher liegt der Fall Lohmann im toten Winkel des Rechts: Es gibt keinen Paragrafen, der ihr bei ihrer späten Vatersuche helfen könnte. Eine frühe Vaterschaftsklage war 1955 gescheitert, damals gab es noch keine DNA-Tests. Zwar hat der Gesetzgeber 2008 einen Klärungsanspruch geschaffen, der allein auf die Kenntnis der biologischen Abstammung zielt und keine Konsequenzen für die rechtliche Zuordnung der Eltern zu den Kindern hat. Doch dieser Anspruch gilt nur innerhalb der "rechtlichen" Familie - nicht aber gegen den mutmaßliche leiblichen Vater.

Das Problem auf der Suche nach dem neuen Recht ist aber: Neue Vorschriften haben Risiken und Nebenwirkungen. Wenn künftig jeder klagen dürfte, der irgendwen für seinen Vater hält, dann hätte man einen "Anspruch gegen 20 Millionen Männer", gab Richter Reinhard Gaier zu bedenken. Deshalb müsste man eine solche Vorschrift wohl eingrenzen; Wolfgang Keuter vom Deutschen Familiengerichtstag schlug vor, dass dies nur bei "konkreten Anhaltspunkten" möglich sein dürfe - Anhaltspunkte wie im Fall Lohmann.

Anja Kannegießer vom Bundesverband deutscher Psychologen erläuterte, die Kenntnis der Abstammung sei für manche Menschen existenziell - auch wenn der Wunsch, die Wahrheit zu erfahren, nicht in allen Fällen gleich stark ausgeprägt sei. "Kinder haben ein Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Orientierung." Pflegekinder beispielsweise profitierten normalerweise von einer offenen Kommunikation über ihre Abstammung. Marion Schwarz, Vertreterin der Kinder-Psychotherapeuten, ergänzte, dass die Vatersuche keine Frage des Alters ist. Der "blinde Fleck" der Vaterlosigkeit könne einen Menschen lebenslang verfolgen und ihn gerade in Krisensituationen einholen.

Ferdinand Kirchhof, Vizepräsident des Gerichts, hatte freilich schon zu Beginn deutlich gemacht, dass auch potenzielle Väter einen gewissen Schutz gegen Klagen "ins Blaue hinein" verdienen - auch deshalb, weil dies eine empfindliche Störung für funktionierende soziale Familien bedeuten könne. Gabriele Britz, zuständige Berichterstatterin in dem Verfahren, gab einen weiteren Punkt zu bedenken. Wenn ein Mann mit einer Abstammungsklage konfrontiert werde, dann sei dadurch seine Privat- und Intimsphäre betroffen - weil damit ja der Verdacht in der Welt sei, er habe eine sexuelle Beziehung mit der Mutter des Kindes unterhalten.

Das Urteil könnte den Gesetzgeber zu vorsichtigen Korrekturen verpflichten

Die Umrisse des Urteils, das in einigen Wochen zu erwarten ist, zeichneten sich damit ab. Karlsruhe dürfte den Gesetzgeber zu vorsichtigen Korrekturen verpflichten - der dafür womöglich sogar dankbar wäre. Stefanie Hubig, Staatssekretärin im Bundesjustizministerium, wies darauf hin, dass seit Anfang des Jahres der vom Ministerium eingerichtete Arbeitskreis Abstammung an einer umfassenden Reform arbeite. Ergebnisse seien im Sommer 2017 zu erwarten.

So könnte Inge Lohmann am Ende recht bekommen, wenn auch spätes Recht: Ihr mutmaßlicher Vater ist inzwischen 88 Jahre alt.

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