V-Männer und der Verfassungsschutz:Verrat statt Vertrauen

Ein Blick in den Spitzel-Sumpf rund um den NSU verrät:Viele V-Männer treiben ein doppeltes Spiel. Und der Staat ist ihnen dabei stets zu Diensten.

Von Hans Leyendecker und Tanjev Schultz

Die Welt der V-Leute, vor allem im rechtsextremen Milieu, ist eine Welt mit eigenen Regeln und finsteren Gestalten, die vom Geheimdienst seltsame Decknamen verpasst bekommen.

Der Neonazi Thomas D. beispielsweise war in den Neunzigerjahren ein führender Neonazi in Thüringen, der Verfassungsschutz dort führte ihn unter dem Namen "Küche". Ein notorischer Lügner ist "Küche", mit doppelten Loyalitäten, was schon daran zu erkennen ist, dass er die Behörde, der er sich anbot, als "Schmutz" bezeichnet. Er erzählt wildeste Geschichten über die Terrorgruppe NSU, und als er unlängst von Kriminalbeamten vernommen wurde, beschrieb er sich so: "Ich bin im vollen Besitz meiner geistigen Kräfte, habe aber ein schlechtes Gedächtnis. Ich gehe schon seit Jahren zum Irrenarzt."

Mit großem Aufwand werden die Verräter angeworben

Das V, das eigentlich Vertrauen oder Vertrauensperson bedeuten soll, stehe "in Wahrheit für Verrat", sagt der ehemalige Brandenburger Verfassungsschutz-Chef Hans-Jürgen Förster, der mittlerweile Bundesanwalt in Karlsruhe ist. V-Leute sind keine Beamten, sie sind Angehörige der Szene, über die sie Informationen verkaufen.

Mit großem Aufwand werden die Verräter vom Verfassungsschutz angeworben. Sie müssen behutsam kontaktiert und gelockt werden, nach einer Probezeit werden sie über ihre Aufgaben belehrt und vom Amt verpflichtet. Üblich ist eine förmliche "Zusammenarbeitserklärung".

Über das V-Mann-Wesen wird seit Jahren erbittert debattiert. Für die einen ist es ein Unwesen, für andere, wie Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), sind die Spitzel "unverzichtbar". Der Staat brauche solche Zuträger mit Informationen aus der Szene. Weil V-Leute wie "Küche", "Otto" oder "Corelli" sich einst auch im Dunstkreis von Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe und damit im Umfeld des NSU bewegten, ist die Debatte über Verrat und Vertrauen neu entbrannt.

Unbehelligt konnten die Terroristen ihre Morde ausführen

Als das NSU-Trio 1998 untergetaucht war, lieferten die V-Leute dem Staat zwar eine durchaus eindrucksvolle Liste an Informationen, aber keine führte zum Ziel. Die Terroristen konnten unbehelligt von den Sicherheitsbehörden ihre Morde planen und ausführen. Wie war das möglich, obwohl die Szene in Thüringen und Sachsen doch umstellt war von V-Leuten?

Eine mögliche Erklärung könnte sein, dass die Spitzel mehr wussten, als sie mitteilten, und sie das Trio geschickt abschirmten. Dafür gibt es allerdings keine Belege. Eine andere, gut belegte Erklärung ist die, dass der Verfassungsschutz, vor allem in Erfurt, mit seinen Informationen nicht richtig umging, sie den Fahndern der Polizei verheimlichte und sie selbst nicht richtig auswertete. Versagt hätten demnach weniger die V-Leute als die Beamten, die für sie zuständig waren.

Schärfere Regeln

Künftig soll nun alles anders werden, beteuern Verfassungsschützer. Verschiedene Kommissionen und Experten beschäftigen sich mit Reformideen. Ob es das Beste ist, auf V-Leute ganz zu verzichten und allenfalls Beamte als verdeckte Ermittler in extreme Milieus einzuschleusen, wie es der frühere Referatsleiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Winfried Ridder, vorgeschlagen hat, wird ebenso diskutiert wie Försters Idee, V-Leute erst nach einer Art Zulassung durch einen Richter zu rekrutieren.

Das Bundesland Bremen will den Einsatz von V-Leuten durch eine vom Parlament eingesetzte Kommission kontrollieren lassen. Die ostdeutschen Länder haben vereinbart, beim Sammeln und Auswerten von Informationen enger zusammenzuarbeiten. Für das Anwerben, Führen und Bezahlen von V-Leuten soll es bundesweit neue, schärfere Regeln geben. Weil sich in Thüringen V-Leute verschiedener Ämter auf den Füßen standen, ist eine zentrale Datei geplant, die alle Spitzel auf Bundes- und Länderebene erfasst. Wer über wen und an wen berichtet, soll nicht mehr das Geheimnis einer einzelnen Behörde sein. Extremisten mit schweren Vorstrafen sollen erst gar nicht mehr geworben werden.

In Thüringen liefen gegen einen V-Mann 35 Verfahren (die meisten verliefen schnell im Sande). "Das hat mich erstaunt, dass eine Quelle von uns 35 Verfahren hat", behauptete ein Thüringer Verfassungsschützer vor dem Untersuchungsausschuss in Erfurt. "Wenn wir das gewusst hätten, hätten wir sicher mal darüber nachgedacht, ob wir das so weiterführen können." Dass das Amt von den Verfahren gegen ihre Top-Quelle "Otto" alias Tino Brandt nichts wusste, ist jedoch wenig glaubwürdig.

Der zuständige Staatsanwalt berichtet, bei ihm seien regelmäßig Verfassungsschützer aufgekreuzt, manchmal hätten sie in Akten gelesen. Einmal hätten sie ihm durch die Blume bedeutet, nicht so vehement gegen Tino Brandt zu ermitteln. Erst später will der Staatsanwalt erfahren haben, dass Brandt ein V-Mann war.

Beamte halten ihre schützende Hand über Quellen

Beim Bundesamt für Verfassungsschutz wird nun überlegt, ob die V-Mann-Führer - so heißen die Betreuer der Spitzel in den Ämtern - spätestens alle fünf Jahre rotieren sollen, damit die Beamten nicht ihre schützende Hand über Quellen halten, mit denen sie zu lange zusammenarbeiten.

Der frühere Bundesrichter Gerhard Schäfer, der eine Kommission leitete, die sich mit den Thüringer Verhältnissen nach der Flucht des NSU-Trios beschäftigte, schilderte im Untersuchungsausschuss des Bundestags seine Erfahrungen. Er habe "sowieso was gegen V-Leute", sagte er und sprach über die Abgründe, die er beim Verfassungsschutz in Erfurt gesehen hat.

Wichtige Hinweise der Zuträger seien nicht bearbeitet und die Quellen vor Heimsuchungen durch die Polizei geschützt worden. Polizisten des Landeskriminalamtes hätten ihm geschildert, wie die Quelle "Otto" bei einer Durchsuchung grinsend vor ihnen gesessen sei und gesagt habe: "Bei mir findet ihr nichts." Die Festplatte des Computers sei bereits ausgebaut gewesen.

An der Grenze der Legalität

Die Fahnder der Polizei seien dagegen über wichtige Erkenntnisse im Unklaren gelassen worden. "Pfui Teufel, die machen uns ja die Quelle kaputt" - so fasste Schäfer die Einstellung der Geheimniskrämer vom Dienst zusammen.

Das alles war an der Grenze der Legalität oder längst darüber. Der Geheimdienst darf seine Quellen nicht vor Strafverfolgung bewahren. Das ergibt sich schon aus dem Paragrafen 258 des Strafgesetzbuches, der sich mit der Strafvereitelung beschäftigt. Natürlich haben die Verfassungsschützer vor den Ausschüssen in Berlin und Erfurt alle Vorwürfe zurückgewiesen. Sie sollen V-Leute gewarnt haben? Und sie sollen die Polizei nicht richtig informiert haben? Nein, das könne nicht sein.

Dilettantismus und Kumpanei

Überzeugend wirkten die Beteuerungen nicht. Es gab offenkundig Dilettantismus und eine Kumpanei - Zustände, die eines Rechtsstaats unwürdig sind.

Verschiedene Beamte haben in ihren Aussagen allerdings auch beschrieben, wie wichtig es für die Polizei gewesen sei, dank der V-Leute rechtzeitig erfahren zu haben, welche Neonazi-Veranstaltung wo, wann und mit wie vielen Leuten geplant war. Solche Erkenntnisse haben die Verfassungsschützer brav weitergeleitet. Die Polizei konnte sich vorbereiten und am Veranstaltungsort sein, bevor die Neonazis kamen. Das bringt Plus-Punkte im Amt.

Doch reichen solche alltäglichen Mitteilungen, um das V-Mann-Wesen insgesamt zu rechtfertigen? Wie hilfreich sind die Spitzel wirklich? Eine solide Erhebung zur Effektivität von V-Leuten gibt es nicht. Verfassungsschützer verweisen aber gern auf einzelne Fälle, in denen man durch die Hinweise von Spitzeln fähig gewesen sei, schwere Verbrechen zu verhindern: etwa 2003, als Pläne von Neonazis für einen Anschlag auf das Jüdische Gemeindezentrum in München aufgeflogen sind.

Extremisten, die etwas Wichtiges vor den Behörden verheimlichen wollen, kalkulieren allerdings in der Regel ein, dass in der Szene Verräter herumlaufen. In alten Briefen, die der spätere NSU-Terrorist Uwe Mundlos Mitte der Neunzigerjahre an einen braunen Kameraden schrieb, heißt es: "Kaum sind mehr als 30 Mann versammelt, kann man doch schon getrost davon ausgehen, dass ein Spitzel oder Angstanscheißer mit darunter ist." Es gebe "Schwachstellen". Eine wirksame Alternative könne es deshalb sein, in kleinen "autonomen Gruppen" zu arbeiten, schrieb Mundlos damals.

Heimlich nahm der Gesprächspartner den Dialog auf

Tino Brandt, die Ex-Quelle "Otto", hat mutmaßlich 2007 mit einem anderen Neonazi lange über seine Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz geredet. Offenbar heimlich nahm sein Gesprächspartner den Dialog auf einer Kassette auf, die später bei einer Razzia sichergestellt wurde. Das Gespräch müsste Pflichtlektüre in den Gremien sein, die sich jetzt mit der Reform oder der Abschaffung der V-Mann-Arbeit beschäftigen. Es führt vor, wie ein V-Mann versuchte, schlauer zu sein als der Verfassungsschutz. Das Unheimliche daran: Es klingt trotz aller Prahlerei bisweilen so, als könnte ihm das tatsächlich gelungen sein.

Brandt: "Wenn ich denen sage, ich mach' ein Konzert im Saal soundso und nur zwei Mann wissen Bescheid, wo das stattfindet, dann bin ich quellenehrlich gewesen und sie können mir das Ding nicht dichtmachen." Denn sonst wäre die Quelle, also er als V-Mann, ja gefährdet.

"Der große Bruder hängt drinne."

Die Behörde soll recht fürsorglich gewesen sein. Wenn sich die Polizei oder das Bundesamt für Verfassungsschutz für "Otto" interessiert habe, sei er von seinem Amt in Erfurt angerufen und gewarnt worden: "Der große Bruder hängt drinne." - "Ist das tatsächlich so, dass die Landesbehörden so eifersüchtig gegenüber Bundesbehörden abschirmen?", fragt der andere Neonazi den Ex-V-Mann. Der antwortet, das machten die, weil sie verhindern wollten, dass ihre eigenen Quellen verlorengingen. Der andere lacht und sagt: "Sind Geheimdienste, ist ganz klar, ne."

Er habe noch andere Tipps bekommen, fährt der Ex-Spitzel fort. Er solle sich, um mit der Behörde kommunizieren zu können, von jemandem ein Telefon besorgen lassen, das sauber sei und auf einen anderen Namen laufe. Wegen der "Stimmenerkennung" müsse er aber aufpassen.

In Erinnerung seien ihm auch noch die vielen Treffen in Restaurants mit den Beamten vom Verfassungsschutz. Etwa vier Mal im Monat habe man sich gesehen, und er sei darüber dick geworden: "Ich bin immer noch der Meinung, ich sollte den Freistaat Thüringen verklagen wegen meiner Bauchesfülle."Schärfere Regeln

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