USA:Wo die Angst den Kürzeren zieht

USA: Im Ostküstenstaat Conneticut versucht die ursprünglich kirchliche Gruppe Iris Flüchtlingen das Ankommen in den USA zu erleichtern.

Im Ostküstenstaat Conneticut versucht die ursprünglich kirchliche Gruppe Iris Flüchtlingen das Ankommen in den USA zu erleichtern.

(Foto: irisct.org)

Während Trump an der Abschottung des Landes arbeitet, engagieren sich viele Amerikaner für die Aufnahme von Flüchtlingen. Ein Besuch in New Haven, wo Neu-Bürger willkommen und nicht gefürchtet sind.

Reportage von Matthias Kolb, New Haven

Der Name des Präsidenten geht Greg Marino nicht über die Lippen. "DT" muss reichen, wenn der 48-Jährige über Donald Trump spricht. Marino arbeitet für Iris, die größte Flüchtlingsorganisation in Connecticut, und bildet hier die freiwilligen Helfer aus. Eine Woche nach dem Einreiseverbot für Bürger aus sieben muslimisch geprägten Ländern sitzen 24 Frauen und sechs Männer an Plastiktischen im Iris-Büro in New Haven und die Stimmung schwankt zwischen Entsetzen und Wut. Sie sind aus allen Ecken des Bundesstaats angereist, weil sie in ihrer Stadt Flüchtlinge aufnehmen wollen.

Wer wie Rentnerin Jennifer Stone hierhergekommen ist, sieht die Welt anders als "DT". Für sie ist die achtköpfige Familie aus Afghanistan, die sich gerade warme Kleidung für den Winter holt, eine Bereicherung und das kleine Mädchen aus dem Kongo, das auf wackligen Beinen zur Küche rennt, eine Neu-Amerikanerin. Stone hat im Sommer einer syrischen Familie mit zwei Kindern geholfen, sich in Connecticut niederzulassen: "Wir haben ein Haus gesucht, Möbel besorgt und helfen beim Englischlernen."

Sieben Stunden dauert der Kurs, und das Programm beginnt mit einer Rede von Geschäftsführer Chris George: "Das neue Dekret ist ein Angriff auf unsere Arbeit, aber wir werden nicht aufgeben." Der Erlass sei unamerikanisch, unmenschlich und verstoße gegen die Verfassung. Dies sehen mehrere Bundesrichter in Seattle und San Francisco auch so, weshalb der Einreisestopp bis auf Weiteres ausgesetzt ist. 2015 habe Iris 250 Flüchtlinge in Connecticut angesiedelt, 2016 schon 530, so George. Er findet das Verhalten der US-Regierungen erbärmlich: "Wir sind ein reiches Land, wir sollten viel mehr tun."

Die Helfer seien Helden, die eine wichtige Aufgabe für George erfüllen: Je mehr Flüchtlinge in der 130 000-Einwohner-Stadt New Haven leben, umso eher lassen sich Vorurteile abbauen. "Wer mit Flüchtlingen zu tun hat, glaubt den konservativen Angstmachern nicht." In dem zweistöckigen Gebäude, in dem die Flüchtlingshilfe untergebracht ist, gibt es Klassenräume für den Sprachunterricht und eine Tagesstätte für jene Kinder, deren Eltern Englisch lernen. 50 Leute arbeiten für Iris: Sie bieten Rechtsberatung an und suchen mit Klienten nach Jobs.

"Ich bin ein Glückspilz, dass ich es vor dem Dekret hierher geschafft habe"

Auch Carson sucht nach Arbeit. Fünf Jahre kämpfte der Iraker als Teil der US Army, mehrmals wurde er verwundet. Wie alle Einheimischen im Dienst der US-Streitkräfte legte er sich einen englischen Namen zu. Er nannte sich nach dem US-Soldaten Michael Carson, der ihm den Job rettete, nachdem Terroristen seinen Bruder erschossen hatten - so wollte ihn al-Qaida zwingen, nicht mehr für die "Ungläubigen" zu arbeiten. 2010 beantragte er das Special Immigration Visum für Übersetzer, am 24. Januar 2017 landete er in New York. "Ich bin ein Glückspilz, dass ich es vor dem Dekret hierher geschafft habe", sagt er.

Vorher allerdings hatte Carson Pech: 2011 wurden zwei Iraker in Kentucky verhaftet, deren Fingerabdrücke auf Sprengfallen gefunden worden waren. Obama ordnete strengere Kontrollen und einen sechsmonatigen Aufnahmestopp für Iraker an. Carsons Akte rutschte nach hinten; sein Kollege Fred, ebenfalls Iraker, der 2012 alle Papiere eingereicht hatte, durfte nach sechs Monaten in die USA.

Für Carson ging das Warten weiter. "Nach dem Tod meines Bruders bekam meine Mutter Brustkrebs. Als auch mein Vater bedroht wurde, flüchteten wir in die Türkei", sagt er. Dort hingen sie fest in der Bürokratie: Sowohl die UN als auch diverse US-Ministerien prüfen die Bewerbungen. "Bei der Army hat uns die CIA alle vier Monate kontrolliert. Ich habe vielen US-Soldaten das Leben gerettet. Wir verdienen nicht, so behandelt zu werden, nur weil wir Muslime sind", sagt Carson.

Im November 2016 hatte er das letzte Interview in Ankara, dann erhielt er sein Visum. "Wir mussten alle Hebel in Bewegung setzen. Hohe Militärs haben sich für ihn eingesetzt", berichtet Ex-Übersetzer Fred, der stolz eine "Army Strong"-Kappe trägt.

Carson ist in Gedanken allerdings weiter in der Türkei, seine Eltern sind noch dort und warten auf ihre Ausreise. Nach Protesten hat Trump das Dekret geändert und eine Ausnahme für Militär-Übersetzer und deren Familien erlassen: ein Hoffnungsschimmer für Carson. Um die Chancen seiner Eltern nicht zu gefährden, will er seinen echten Namen nicht nennen. Seine sechsjährige Wartezeit hat seine Meinung über Amerika nicht geändert: "Das ist meine Heimat."

Shihabeldin glaubt fest an den American Dream: Er will arbeiten und studieren

Den 30 Freiwilligen schärft Programmleiter Greg Marino ein, die Neuankömmlinge nicht auf deren Vorgeschichte anzusprechen: "Die Menschen entscheiden selbst, ob sie von Folter und Verfolgung berichten wollen", Entscheidend sei "Hilfe zur Selbsthilfe". Niemandem sei gedient, wenn die Freiwilligen alles bezahlen oder sie die Familie überall hinfahren würden. Es brauche zwischen 5000 und 10 000 Dollar Unterstützung für die ersten sechs Monate, danach müsse die Familie allein klarkommen. "Ihre Schützlinge müssen einen Job finden, das ist in einem teuren Staat wie Connecticut sehr wichtig."

Arbeit zu finden ist auch die Hauptsorge von Shihabeldin, der seinen Nachnamen nicht sagen möchte, um seine Familie zu schützen. "Am 21. August 2016 begann mein neues Leben", erzählt der Sudanese. An diesem Tag kam er in New Haven an. In seiner Heimat wurde er gefoltert: "Leute wie mich, die aus den Nuba-Bergen stammen, nennt die arabische Regierung 'schwarze Insekten'." 14 Jahre lebte er in Kairo, wo die Ägypter Schwarze kaum besser behandelten - und wartete auf sein Visum.

In Connecticut seien die Menschen freundlich, sagt der 37-Jährige, und er strahlt, weil seine vier Kinder in den USA nichts für die Schule bezahlen müssen. Er hat schon in Kairo Englisch gelernt und übersetzt nun für arabische Flüchtlinge: "Ich möchte mich für die Hilfe revanchieren, die ich hier bekommen habe. Und wenn ich einen Job habe, will ich ein Abendstudium anfangen." Die Flüchtlinge glauben fest an den American Dream.

Iris-Geschäftsführer Chris George leitet seit 2005 die Integrated Refugee and Immigration Services, die 1982 von Kirchen gegründet wurden. George hat Iris erweitert: "Warum sollen nur Gläubige den ganzen Spaß haben?" Wie viele Menschen tatsächlich zum Helfen kommt, hängt auch davon ab, was gerade in den Nachrichten berichtet wird. Als im September 2015 die Bilder des syrischen Jungen Alan Kurdi, der tot an der türkischen Küste angespült wurde, um die Welt gingen, klingelte bei George tagelang das Telefon, so viele Menschen wollten sich freiwillig melden.

Mike Pence lehnte 2015 eine syrische Familie 2015 "aus Sicherheitsgründen" ab

George hatte auch die Idee mit den Helfer-Gruppen (so genannte Co-Sponsors), die Greg Marino gerade ausbildet. Die Schulen und Krankenhäuser in New Haven könnten pro Jahr 300 Neuankömmlinge verkraften, alle weiteren müssten verteilt werden - etwa in weiter entferntere Gegenden wie dem "Quiet Corner", wo die frühpensionierte Lehrerin Jennifer Stone sich mit Bekannten um eine syrische Familie kümmert. Bei Problemen könnten die Iris-Experten in zwei Stunden überall sein. Der 63-jährige George hofft, dass andere Bundesstaaten dieses Modell übernehmen - so lässt sich die Zahl der anzusiedelnden Flüchtlinge erhöhen.

Dass Connecticut sich als Pro-Flüchtling-Staat profiliert, hat mehrere Gründe: Die Nähe zu New York sorgt für Weltoffenheit, ebenso die Elite-Uni Yale in New Haven. Ärzte behandeln Flüchtlinge, ohne dafür Lohn zu verlangen und die Juristen der Law School unterstützen die Neuankömmlinge in ihren Asylverfahren. Als der heutige republikanische Vizepräsident Mike Pence eine syrische Familie 2015 "aus Sicherheitsgründen" nicht in Indiana akzeptierte, hieß Conneticuts demokratischer Gouverneur Dannel Malloy sie persönlich willkommen.

"Connecticut ist ein Staat der Gegensätze, mit extremem Reichtum und viel Armut", sagt George. Allerdings gebe es viele Stiftungen und eine hohe Hilfsbereitschaft. Wenn 2017 wegen des Einreisestopps weniger Flüchtlinge in die USA kommen sollten, dann bekämen Organisationen wie Iris weniger Geld aus Washington, pro Neuankömmling gibt es eine Pauschale.

Doch George macht sich keine Sorgen ums Budget. Die Solidarität nehme täglich zu und sei überall zu spüren: Am Sonntag rannten mehr als 2500 Männer und Frauen fünf Kilometer durch New Haven und sammelten so mehr als 200 000 Dollar an Spenden. Iris-Mitarbeiter wie Greg Marino sind sich sicher: "DT" wird ihre Moral nicht zerstören.

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