USA:Wenn der Keks bricht

USA: Ein Offizier trägt den „Football“, den Koffer mit den nuklearen Einsatzplänen, Startcodes und einem Telefon vor dem Hubschrauber des Präsidenten über den Rasen.

Ein Offizier trägt den „Football“, den Koffer mit den nuklearen Einsatzplänen, Startcodes und einem Telefon vor dem Hubschrauber des Präsidenten über den Rasen.

(Foto: OIivier Douliery/AFP)

Donald Trump, Herr über die US-Atomwaffen, löst Ängste aus. Der Senat in Washington diskutiert nun, ob der Präsident alleine einen nuklearen Erstschlag befehlen darf.

Von Stefan Kornelius

Wo immer der amerikanische Präsident hinreist, zieht vor allem ein Begleiter die Aufmerksamkeit auf sich: Der Attaché in perfekt sitzender Uniform und Achselschnur, der zwei schwere Ledertaschen mit sich herumträgt und stets im unmittelbaren Pulk des Oberbefehlshabers läuft. Fliegt der Präsident in der Air Force One, dann sitzt der Mann in der Kabine. Hebt der Präsident mit dem Hubschrauber ab, ist auch der Attaché an Bord. Er wird bezahlt nach der Besoldungsgruppe O-4, was dem Rang eines Majors entspricht. Und er hat die härteste Durchleuchtung erlitten, die Amerikas Sicherheitsdienste einer Person angedeihen lassen können: Der Mann trägt den Koffer.

Der Koffer, flapsig Football genannt, beinhaltet entgegen aller Legenden nicht "den Knopf", sondern ein paar Handbücher, Tabellen, Codes und ein Telefon. Der Knopf, so geht die Legende, wäre das Startinstrument für Atomraketen. Aber ganz so einfach lässt sich das zerstörerische Arsenal des US-Militärs nicht entfesseln.

Würde der Präsident einen Atomschlag befehlen, dann müsste er erst ein Plastikkärtchen von der Kette nehme, die er vermutlich um den Hals trägt. Das Kärtchen müsste er brechen wie einen Keks. In seinem Inneren fände er einen Zettel mit Buchstabenkombinationen. Jeden Morgen erhält der Präsident einen neuen Zettel mit neuen Kombinationen, die in einem "Biscuit", also einen Keks verschweißt werden.

Die gleiche Buchstabenkombination wird ebenfalls jeden Morgen an die Befehlsstände der amerikanischen Nuklearstreitkräfte ausgeteilt und natürlich an die Hierarchie-Träger in der Befehlskette. Auch der Verteidigungsminister erhält Buchstaben, mit deren Hilfe er seine wahre Identität belegen müsste. Die Buchstaben, "Gold Codes" genannt, sind das einzige, was den wahren von einem falschen Präsidenten unterscheiden soll. Identifizieren sich der Präsident und der Verteidigungsminister mit den richtigen Buchstaben, dann kann ihr Befehl weiter gereicht werden an den Generalstabschef, der wiederum zum "Goldenen Telefon" auf seinem Schriebtisch greift und das "Strategic Command" alarmiert. So weit der Fall aus dem Lehrbuch. Was aber, wenn alle Lehrbücher nichts taugen?

Nicht erst seit Donald Trumps Sommer-Ausfälligkeiten gegen Nordkorea diskutiert die sicherheitspolitische Szene und vor allem die Fach-Senatoren im US-Kongress die Frage aller Fragen: Darf ein Präsident einfach so einen Nuklearschlag befehlen? Wer kontrolliert ihn? Wer stoppt ihn im Zweifel?

Ungeachtet aller Kärtchen und Angriffscodes gibt es nämlich nur eine klare Regel: Der Präsident entscheidet. Der Verteidigungsminister kann den Befehl zwar verweigern, aber er kann ihn nicht aufheben. Legte er seinen Widerspruch ein, würde er gefeuert. Verweigerte ein Abschuss-Offizier den Befehl, erginge es ihm genauso. Die Nukleare-Befehlskette ist unbarmherzig und auf das Tempo ausgelegt, das der Kalte Krieg einst diktiert hatte: Werden die USA mit Nuklearraketen angegriffen, dann hat der Präsident zwischen sechs und 30 Minuten Zeit, um den Gegenschlag zu befehlen. Nur wenn dieser Zweitschlag garantiert ist, kann man den Feind vom Erstschlag abhalten. "Mutual assured destruction", heißt das in der Fachsprache, die Zerstörung trifft garantiert beide Seiten. Während die Zweitschlags-Logik am Ende womöglich die beste Garantie für Frieden ist, macht die schnelle Befehlskette beim Erstschlag weniger Sinn. Da waren ihre Erfinder von einem anderen Szenario ausgegangen: Ein besonnener Präsident würde schon die schießwütigen Generäle im Zaum halten. Was aber, wenn der Präsident Trump heißt und Nordkorea mit Vernichtung droht, wenn er "Feuer und Zorn" über dem Land abregnen lassen will?

Kongress und Präsident streiten seit jeher um die Frage, wer eigentlich Krieg erklären darf

Zum ersten Mal seit 1976 hat der Kongress dieses Szenario erwogen und über ein Gesetz debattiert, das den Präsidenten fesseln sollte. Zwei demokratische Senatoren hatten im Januar, wenige Tage nach Trumps Amtseinführung, ein Gesetz eingebracht, das die Zustimmung des Kongresses vor einem nuklearen Erstschlag erzwingen würde. Die Anhörung über das Gesetz in dieser Woche brachte zwei Erkenntnisse und eine höhere Weisheit.

Die Erkenntnisse: Selbst republikanischen Senatoren ist unwohl bei dem Gedanken, dass Trump mit seiner Macht weitgehend freihändig hantieren kann. Da hilft auch die Versicherung von Experten nichts, dass die ausführenden Offiziere ja auch noch einen Verstand hätten und einen irrsinnigen Befehl verweigern könnten. Erkenntnis Nummer zwei: Gleichwohl wird ein freiwilliger Verzicht auf den Erstschlag - bereits unter Präsident Obama ernsthaft erwogen, aber nie durchgesetzt - von Amerikas Strategen als Schwächung und Zeichen der Nachgiebigkeit gesehen. Sie raten deshalb ab.

Die höhere Erkenntnis: Es wird unter Trump keine Mehrheit im Kongress dafür geben, die Befugnisse des Präsidenten für einen Nuklearschlag einzuschränken oder bessere Kontrollen einzuführen. Der eingefrorene Konflikt zwischen Parlament und Weißem Haus über die Autorität zur Kriegsführung wird nicht wieder aufgetaut. Denn im Kern berührt der Streit ein Verfassungsproblem, an dem sich die USA seit Jahrzehnten die Zähne ausbeißen: Wer darf eigentlich einen Krieg befehlen?

Die Verfassung sagt: Der Kongress befiehlt und bezahlt, der Präsident kommandiert und reagiert aus eigener Autorität auf einen Angriff, über den er den Kongress rechtzeitig informiert. Die Realität sagt: Die Macht liegt beim Präsidenten. Die "War Powers Resolution" von 1973, die den Streit ein für alle mal lösen sollte, ist bis heute umstritten und landet immer wieder vor Gericht. Den Krieg aller Kriege mit Nuklearwaffen hat kein amerikanischer Präsident seit Harry Truman mehr befohlen. Die Anhörung über einen hypothetischen Trump-Fall im US-Senat in dieser Woche löste hier und da gar Gelächter aus. Es war aber ein nervöses Lachen.

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