USA vor Zahlungsunfähigkeit:Alte Feinde ringen um Ausweg

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Sie ringen seit Jahren um Kompromisse in der US-Politik: Die Demokraten Nancy Pelosi und Harry Reid sowie John Boehner und Mitch McConnell (Archivbild aus dem Jahr 2012).

(Foto: AFP)

Die Uhr tickt: Nur noch zwei Tage bleiben Amerika, um eine Weltfinanzkrise abzuwenden. Im Zentrum stehen ein halbes Dutzend Politiker und deren Egos. Welches Ziel hat Präsident Obama, welche Rechnungen will der Demokrat Harry Reid begleichen und wie weit können die Republikaner Boehner und McConnell gehen?

Von Matthias Kolb

Die Uhr tickt: Bis zum 17. Oktober haben Demokraten und Republikaner noch Zeit, um eine Anhöhung der Schuldenobergrenze zu beschließen und dadurch einen Staatsbankrott der USA abzuwenden. Zuletzt zeichnete sich eine Einigung im Senat ab, danach wäre das republikanisch dominierte Repräsentantenhaus am Zug. Auf welche Personen es nun ankommt, was ihnen wichtig ist und welche Rolle persönliche Feindschaften spielen. Ein Überblick.

Reid addresses reporters at a news conference in Washington

Harry Reid (Demokrat, Senat)

(Foto: REUTERS)

Harry Reid, Chef der demokratischen Mehrheit im Senat, Mormone aus Nevada. Der 73-Jährige ist ein harter Verhandler und wird als "knorrig" beschrieben. Anders als seine konservativen Widersacher hat er seine Kollegen fest im Griff. Er hat in der Nacht auf Dienstag mit dem Republikaner Mitch McConnell einen Deal ausgehandelt, der den Stillstand brechen könnte. Die wichtigsten Punkte: die Schuldenobergrenze wird bis zum Anfang Februar 2014 erhöht und die momentan aus Geldnot stillgelegte Regierung bekommt bis Mitte Januar wieder Finanzmittel.

Reid versucht, so viel wie möglich für die Demokraten herauszuholen. Frei von persönlicher Eitelkeit ist er nicht: Bei den Verhandlungen um die Fiskalklippe Ende 2012 wurde er von Joe Biden ausgebootet, der die Streitenden zusammenführte (Details in diesem SZ-Text). Diese Schmach will der Senate Majority Leader kein zweites Mal erleben, weshalb Vizepräsident Biden keine Rolle spielt - und Reid ein Ergebnis präsentieren wird. Zu Barack Obama hat er ein gutes Verhältnis: Er forderte den damaligen Senator schon 2006 auf, fürs Weiße Haus zu kandidieren.

Einfluss-Faktor: sehr hoch

Dealmaker-Faktor: hoch, muss aufpassen, dass er nicht überreizt

Senator Mitch McConnell walks to working lunch on Capitol Hill in Washington

Mitch McConnell (Republikaner, Senat)

(Foto: Reuters)

Mitch McConnell, Chef der republikanischen Minderheit im Senat. War seinem Gegenspieler Harry Reid zuletzt in inniger Feindschaft verbunden, angesichts der ernsten Lage haben sich beide wohl zusammengerauft. Der 71-Jährige aus Kentucky ist seit 1985 im Senat und hat viele Deals in Hinterzimmern geschlossen - er ist ebenso Profi wie Reid und kennt alle Verfahrenstricks.

Tea-Party-Heißsporne wie Ted Cruz, Mike Lee oder Rand Paul sieht er skeptisch: Sie erschweren seine tägliche Arbeit und bedrohen seine politische Zukunft. McConnell muss im November 2014 seinen Sitz verteidigen und die Erzkonservativen bereiten ihm dabei mehr Kopfzerbrechen als die Demokraten: Mit Matt Bevin tritt ein Tea-Party-Vertreter in der Vorwahl gegen McConnell an. Zu viel Kompromissbereitschaft gegenüber dem verhassten Obama kommt bei der Basis gar nicht gut an. Pflichtschuldig bestreit McConnell solche Überlegungen.

Einfluss-Faktor: hoch

Dealmaker-Faktor: hoch, aber er wird seine persönliche Zukunft mitdenken

Military Supporters Rally In Washington To Re-Open WWII Memorial

Ted Cruz (Republikaner, Senat)

(Foto: AFP)

Ted Cruz, Jung-Senator aus Texas und der Radikalste der radikalen Tea-Party-Fraktion. Der 42-Jährige wurde erst Ende 2012 gewählt, doch er hat sich innerhalb von Monaten als Heißsporn einen Namen gemacht. Er hatte die Idee, die Regierung zu erpressen: Eine Erhöhung der Finanzmittel gibt es nur, wenn die umstrittene Gesundheitsreform Obamacare zurückgenommen wird. Mit dieser Forderungen, die in seiner 21-Stunden-Rede gipfelte, hat Cruz die Tea Party noch weiter nach rechts getrieben und das Image der Republikaner weiter beschädigt.

Cruz, der 2016 Präsident werden will, zündelt weiter: Er könne noch nicht sagen, ob er einen möglichen Deal zwischen Reid und McConnell blockieren werde, teilte er jüngst mit. Bis zum Stichtag 17. Oktober wird die Zeit knapp und wie jeder einzelne Senator könnte Cruz eine Abstimmung über das Paket mit Verfahrenstricks bremsen. Sehr wahrscheinlich ist das angesichts der verheerenden Konsequenzen für die Weltwirtschaft nicht, aber es zeigt, worum es Cruz vor allem geht: um ihn selbst und sein Anti-Washington-Image.

Einfluss-Faktor: hoch

Dealmaker-Faktor: niedrig, weil nicht an einer Einigung interessiert

U.S. House Speaker Boehner and House Majority Whip Rep. McCarthy arrive for a Republican caucus meeting in Washington

John Boehner (Republikaner, Repräsentantenhaus)

(Foto: REUTERS)

Die Schlüsselrolle im Drama um den US-Haushaltsstreit spielt noch immer John Boehner. Der Speaker of the House führt die republikanische Mehrheit im Repräsentantenhaus. Wenn sich der Senat bald auf einen Deal einigt, muss dieser noch durch die zweite Kammer. Und dort sind die Republikaner deutlich konservativer als im Senat, was dem 63-Jährigen aus Ohio Sorgen bereitet.

Boehner, der Rotwein, Zigarren und Golfspiel liebt, steht vor einem Dilemma: Setzt er eine Abstimmung über den Senat-Deal an, wird es eine breite Mehrheit geben - dank der Demokraten und dem noch immer beträchtlichen Anteil an moderaten Republikanern. Die entscheidende Fragen für Boehner lautet: Wie viele der Tea-Party-Ideologen verweigern ihm die Gefolgschaft? Etwa 35 von ihnen bilden den so genannten "Hell No Caucus" und werden wohl jeden Deal ablehnen. Wenn ihm jedoch die Mehrheit der 232 Konservativen folgt, dann kann sich Boehner womöglich als Speaker halten. Dass Harry Reid ihn jüngst als "Feigling" beschimpfte und auch die Demokratin Nancy Pelosi überzeugt ist, dass es Boehner mehr um seinen Job geht als um das Wohl des Landes, macht die Sache nicht einfacher.

Einfluss-Faktor: sehr hoch

Dealmaker-Faktor: hoch, weil er letztlich an einem Kompromiss interessiert ist

Obama und der Einfluss der Frauen

Um die Mehrheit der Republikaner im Repräsentantenhaus zu überzeugen, braucht Boehner die Unterstützung von Paul Ryan. Der Abgeordnete aus Wisconsin trat 2012 als running mate von Mitt Romney an; liebend gern wäre er Vizepräsident geworden. Seit der Wahlpleite hat sich der Fitnessfreak aus dem Rampenlicht zurückgezogen und an seinen Lieblingsthemen gearbeitet: Ryan will das US-Sozialsystem radikal umbauen, das Staatsdefizit verringern und die Regierung zwingen, sich aus Gesellschaft und Wirtschaft so weit wie möglich herauszuhalten.

U.S. Congressman Ryan departs after a news conference in Washington

Paul Ryan (Republikaner, Repräsentantenhaus)

(Foto: Reuters)

Deswegen wird der 43-Jährige von der Tea Party verehrt und vom Rest der Partei als "Meister der Zahlen" bewundert. "Er ist das intellektuelle Zentrum der Fraktion", sagte der Republikaner Tom Cole der New York Times. Die Überzeugung in Washington: Wenn es jemanden gibt, der den bockigen Republikanern beibringen kann, dass man sich besser auf die anstehenden Diskussionen über umfassendere Reformen konzentrieren sollte, dann ist es Ryan. Seine Fachkenntnis zweifeln nur wenige Demokraten an.

Einfluss-Faktor: hoch

Dealmaker-Faktor: hoch

Obama Summons Congress Leaders As Reid Signals Optimism for A Debt Accord

Barack Obama (Demokrat, US-Präsident)

(Foto: Bloomberg)

Als US-Präsident gilt Barack Obama als mächtigster Mann der Welt. Doch auch er allein kann keine Lösungen erzwingen. Der 51-jährige Demokrat ist bei der republikanischen Basis (und bei einigen ihrer Abgeordneten) so verhasst, dass sich die Chancen auf eine Einigung erhöhen, wenn Obama nicht öffentlich auftritt. Er wird ohnehin von Harry Reid auf dem Laufenden gehalten. Obama beharrt auf seiner Position: Der Kongress darf ihn nicht erpressen und für die Anhebung der Schuldengrenze "Lösegeld" oder andere Zugeständnisse verlangen. Um seinen Nachfolgern das Leben nicht zu erschweren, dürfe er nicht nachgeben, betont er.

Allerdings muss Obama gewisse Zugeständnisse machen, damit die Republikaner einem Deal zustimmen. Je schwerer diese jedoch für den Normalbürger zu verstehen sind, umso besser für Obama. Bald geht es wieder um einen grand bargain, um eine umfassende Lösung für das Schuldenproblem. In Grundzügen ist der Ausweg klar: Die Republikaner müssten akzeptieren, dass der Staat mehr Einnahmen braucht, um die steigenden Belastungen der Sozialsysteme zu bewältigen, während die Demokraten Einschnitte bei den Sozialleistungen hinnehmen müssen. Gelingt hier kein Kompromiss, wird das unwürdige Gerangel auch 2014 weitergehen und Obamas Präsidentschaft für viele noch mehr zur Enttäuschung werden.

Einfluss-Faktor: sehr hoch

Dealmaker-Faktor: sehr hoch, denn als Präsident ist er der inoffizielle Chef der Demokraten

U.S. House Minority Leader Pelosi exits White House to speak to reporters after a meeting between House of Representatives Democrats and U.S. President Obama in Washington

Nancy Pelosi (Demokratin, Repräsentantenhaus)

(Foto: REUTERS)

Als Fraktionschefin der Demokraten im Repräsentantenhaus ist Nancy Pelosi bei den Beratungen der Parteiführer der beiden Kongresskammern immer dabei, aber die Kalifornierin hat weniger zu sagen als die drei Herren. Als Machtfaktor darf man Pelosi trotzdem nicht unterschätzen, sie hat ihre Abgeordneten gut im Griff und bringt deren Meinung deutlich in die Debatte ein.

Dass vor allem ältere und alte Männer das Sagen in Washington haben, lässt sich kaum bestreiten. Allerdings wächst der Einfluss der Frauen: Die Grundlage für den Deal im Senat haben mit Susan Collins, Kelly Ayotte, Lisa Murkowski (Republikaner) sowie Barbara A. Mikulski und Patty Murray (Demokraten) mehrere Senatorinnen vorbereitet. Nicht nur die New York Times hofft, dass künftige Polit-Eskalationen verhindert werden, wenn sich der Frauenanteil in Senat und Abgeordnetenhaus erhöht.

Einfluss-Faktor: hoch

Dealmaker-Faktor: mittelhoch, die Entscheidungen treffen andere

Linktipps: Die beste Übersicht mit Antworten auf fast alle Fragen rund um die Schuldenobergrenze hat die Washington Post zusammengestellt. Die Folgen eines Staatsbankrotts der USA für die Weltwirtschaft hat Marc Beise in diesem SZ-Artikel beschrieben.

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