USA:"Die Terrorgefahr ist viel naheliegender als ein Staatsstreich"

USA: Auch in Phoenix waren radikale Trump Anhänger präsent: Eine Miliz am vergangenen Mittwoch vor dem Arizona State Capitol.

Auch in Phoenix waren radikale Trump Anhänger präsent: Eine Miliz am vergangenen Mittwoch vor dem Arizona State Capitol.

(Foto: AP)

Nach dem Sturm auf das US-Kapitol sei die Gefahr neuer terroristischer Milizen groß, sagt der Politikwissenschaftler Torben Lütjen. Die Republikaner hätten nun eine entscheidende Rolle.

Interview von Felix Haselsteiner

Der deutsche Politikwissenschaftler Torben Lütjen ist ehemaliger Direktor des Instituts für Demokratieforschung an der Universität Göttingen und Autor des Buches "Amerika im kalten Bürgerkrieg. Wie ein Land seine Mitte verliert".

SZ: Herr Lütjen, Sie haben von 2017 bis 2020 in Tennessee gelebt, dort an der Vanderbilt University gelehrt, zur US-Politik geforscht und ein Buch über die Kluft zwischen Demokraten und Republikanern geschrieben. Nach den Erfahrungen aus dieser Zeit: Waren Sie von den Ereignissen in Washington am Mittwoch noch überrascht?

Torben Lütjen: Das mag kokett klingen, aber ich war gar nicht überrascht. Es war der Tag, an dem die Fantasiewelt von Donald Trump mit der Realität kollidiert ist. Denn wenn man sich in den vergangenen Wochen auf Breitbart und in den einschlägigen Foren umgesehen hat, hatte man das Gefühl: Die Leute glaubten wirklich, dass Trump noch ein Ass im Ärmel hatte, um an der Macht zu bleiben - und sind dann hart in der Realität gelandet. Als er zwei Tage vorher getwittert hat "it's gonna be wild" - da musste man schon großer Optimist sein, um daran zu glauben, dass das friedlich ablaufen würde.

Aber war es vorherzusehen, dass Eindringlinge im Kapitol Sitzungssäle stürmen, dass die Lage so eskalieren würde?

Der Sturm auf das Kapitol hat mich nicht allzu sehr verängstigt. Das waren schreckliche Bilder, aber dass da eine revolutionäre Bewegung nach der Macht greift, konnte ich nicht erkennen. Das hatte teilweise etwas Groteskes, Karnevalistisches, wie Leute da drinnen rumgelaufen sind und Selfies gemacht haben. Die Ermächtigungs- und Aufstandsfantasien gibt es schon lange, am Mittwoch haben sie sich materialisiert. Mir machen aber die Leute mehr Sorgen, die diese zwei Rohrbomben nahe von Gebäuden von Republikanern und Demokraten deponiert haben. Das ist eine ganz andere Intention, die für mich darauf hindeutet, dass die USA auf eine Dekade des Rechtsterrorismus zusteuern.

Sie meinen die extremistischen Einzeltäter, die sich aus einer solchen Bewegung rauskristallisieren könnten?

Ich weiß nicht, ob das so wenige sind. Das könnten auch Tausende sein, wenn man davon ausgeht, dass von Trumps knapp 75 Millionen Wählern ein großer Teil alles glaubt, was er sagt. Hunderttausende von denen sind in Milizen organisiert, haben aber noch eine bürgerliche Existenz zu verlieren und würden daher nicht einfach auf andere Bürger schießen, auch wenn manche solche Fantasien haben. Aber es gibt einige Hunderte, vielleicht Tausende, die eben nichts zu verlieren haben und die sich in einer Untergrundgruppe organisieren könnten. Die Terrorgefahr ist viel naheliegender als ein Staatstreich.

Laut Umfragen gibt es unter republikanischen Wählern eine verhältnismäßig breite Zustimmung für das Vorgehen am Kapitol.

Es wird daher entscheidend sein, wie sich die Republikanische Partei jetzt zu Trump verhält. Seit dem Frühjahr 2016, als Trump Präsidentschaftskandidat wurde, haben ihm in der Partei fast alle die Stange gehalten, weil die Basis das auch tat. Es ist zu befürchten, dass momentan die Republikaner zwar alle schockiert sind, aber man die Ereignisse dann auf Einzeltäter schiebt und in einigen Wochen zu dem gleichen polarisierenden Kurs zurückkehrt, den es davor schon gab.

Wie schätzen Sie die Distanzierungen der ranghohen Republikaner wie Senator Lindsey Graham von Trump ein?

Man muss sich fragen, was die Republikaner bislang für Optionen hatten: In Wahrheit sind sie der Parteibasis gefolgt. Wenn jeder Republikaner wie Mitt Romney in den Widerstand gegangen wäre, weiß ich nicht, ob diese Trump-Basis dadurch gezähmt worden wäre oder nicht dennoch Sturm gelaufen wäre. Warum sich viele jetzt distanziert haben? Manch einer wird wirklich schockiert gewesen sein, aber für viele war es eine opportunistische Entscheidung, weil Trump eben für die Partei nicht mehr so nützlich ist wie in den Jahren und Monaten zuvor.

Glauben Sie, dass die klassischen konservativen Republikaner dieses Vorgehen am Kapitol einfach so hinnehmen werden?

Spurlos wird es nicht vorübergehen. Trump hat auch bewusst getwittert, dass man die Partei von "Law and Order", (Recht und Ordnung; Anm. d. Red.) sei, was dem Selbstverständnis der traditionellen Republikaner entspricht, die Trump zum Beispiel deshalb gewählt haben, weil sie dann weniger Steuern zahlen müssen. Die werden abgeschreckt sein, aber es wird in dieser Gruppe eine Rationalisierung der Ereignisse geben: Die Menschen waren eben wütend, die wollten sich Luft verschaffen. Aber ob das die traditionellen Republikaner davon abhalten wird, 2024 vielleicht erneut einen populistischen Demagogen zu unterstützen, steht auf einem anderen Blatt.

Trump war für viele andere rechte Bewegungen weltweit, auch für die AfD in Deutschland, eine Art Vorbild. Könnten nun auch die Vorgänge in Washington Vorbildwirkung haben?

Es ist zu beobachten, dass die Rechten sich die traditionellen Protestinszenierungen der Linken zu eigen machen und über Erstürmungen und Demos aufbegehren, nicht durch Putschversuche. Obgleich es in Washington auch verschiedene Gruppen gab: Im Ganzen ist es schon ideologisch viel konsistenter, ja auch ausgerichtet auf die eine Führungsfigur. Im Kern waren das Rechtsextreme, Milizionäre und QAnon-Anhänger. In Deutschland ist das diffuser, amorpher, ein vagabundierendes Unbehagen, das viel zielloser ist. Das heißt nicht, dass wir in zehn Jahren nicht ähnliche Zustände haben könnten, wenn die Demokratiefeindlichkeit in diesen Gruppen konsequenter durchgesetzt wird und es zum Beispiel der AfD gelingt, das ideologisch ganz in ihrem Sinne zu formen.

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