USA:Selbstgerecht und unbillig

Der US-Kongress hebelt das Völkerrecht aus, indem er die Immunität von Staaten in Schadensersatzprozessen aufhebt. Wo soll das enden, wenn Nationen ungeschützt vor den Richter kommen? Staaten haben andere Wege, ihre Konflikte zu lösen. Gerichte haben da nichts verloren.

Von Stefan Ulrich

Wegen jeder Delle am Auto kann der Bürger vor ein Zivilgericht ziehen, um Entschädigung zu verlangen. Und den Opfern von Schwerverbrechen ist dies versagt? Wer bei den Anschlägen vom 11. September 2001 Angehörige verlor oder wer verstümmelt wurde, durfte Saudi-Arabien - das in die Taten verwickelt sein könnte - bislang nicht vor US-Gerichte ziehen. Der Kongress in Washington findet das ungerecht. Er ändert daher das Recht. Fortan sollen die Opfer eines Terroranschlags auf amerikanischem Boden ausländische Staaten selbst dann per Sammelklagen vor Gericht bringen können, wenn diese nur fahrlässig gehandelt haben; etwa, weil sie Verdächtige schlampig überwachten.

Das wirkt wie ein großer Schritt in eine gerechtere Welt, in der die Bürger sich gegen Staaten behaupten, die grob ihre Pflichten missachten. Dennoch nennt der Präsident das neue Gesetz einen "Fehler". Das ist untertrieben. Der Kongress hat einen Kardinalfehler begangen. "Kardinal" kommt vom lateinischen "cardo", was Türangel bedeutet. Der Kongress hebt gerade das Völkerrecht aus den Angeln - und öffnet so globaler Willkür Tür und Tor.

Der Kongress missachtet das Völkerrecht - mit fatalen Folgen

Eines der wichtigsten Prinzipien des Völkerrechts ist die Staatenimmunität. Danach sind alle Staaten souverän und gleich. Keiner steht über dem anderen, egal, ob es sich um San Marino oder China handelt. Daher darf auch kein Staat über einen anderen Staat zu Gericht sitzen. (Eine Ausnahme gilt, wenn ein Staat nicht hoheitlich, sondern wirtschaftlich handelt.) Dies macht Klagen von Bürgern vor heimischen Gerichten gegen fremde Staaten unzulässig. Konflikte sind zwischen den Staaten selbst zu lösen, etwa durch Diplomatie.

Diese seit dem Westfälischen Frieden von 1648 über Jahrhunderte gewachsenen Grundsätze wischt der US-Kongress jetzt beiseite. Staaten wie Saudi-Arabien können sich in Terrorfällen vor amerikanischen Gerichten künftig nicht mehr auf die Staatenimmunität berufen.

Geschieht das den Saudis recht mit ihrer zweideutigen Haltung zum Islamismus? Womöglich. Es geht aber nicht nur um Saudi-Arabien. Das US-Gesetz schafft einen Präzedenzfall, der das bisschen Ordnung gefährdet, das Völkerrecht in einer chaotischen Welt stiftet. Das Beispiel der USA dürfte Schule machen. Andere Länder werden in unterschiedlichsten Fällen ihren Bürgern erlauben, fremde Staaten zu verklagen. Teilweise geschieht das schon. Italienische Gerichte haben die Bundesrepublik verurteilt, Italienern Entschädigung für Nazi-Verbrechen zu bezahlen.

Das klingt recht und billig, führt aber ins Verderben. Staaten wie Deutschland (Zweiter Weltkrieg) oder die USA (Irak) würden unter ihren Schulden zusammenbrechen, wenn sie sämtliche ausländischen Opfer ungerechter Kriege individuell entschädigen müssten. Russland kann kaum für die Freiheitsberaubung an Millionen Menschen im Warschauer-Pakt-Gebiet finanziell aufkommen. Wie sollten Industriestaaten alle Schäden ausgleichen, die der von ihnen stark mitverursachte Klimawandel unzähligen Menschen zufügt? Und was passiert, wenn sich Staaten weigern, die Urteile fremder Gerichte zu befolgen? Wird dann weltweit wild in ausländisches Eigentum vollstreckt?

Auch wenn es für die Opfer unbefriedigend bleibt: Es ist besser, in diesen Fällen an der Staatenimmunität festzuhalten. Das heißt nicht, dass Opfer leer ausgehen müssen. Staaten können Entschädigungsfonds, Stiftungen oder andere Formen der Wiedergutmachung aushandeln. Und falls sich eine Mitschuld Saudi-Arabiens am Terror des 11. September beweisen ließe, müsste sich die Regierung in Washington diesen fragwürdigen Verbündeten zur Brust nehmen. Es ist töricht, das Problem einfach bei den Gerichten abzuladen.

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