USA:Reporterin ohne Gespür für Grenzen

Wie die als Heldin gefeierte US-Journalistin Judith Miller zum Sprachrohr der Manipulatoren im Weißen Haus wurde.

Andrian Kreye

Vor wenigen Wochen war Judith Miller noch eine Heldin. Da trat sie mit ihrem Chef, dem New-York-Times-Herausgeber Arthur Ochs Sulzberger, vor die Fernsehkameras und bedankte sich bei allen, die ihr während ihrer zweieinhalb Monate im Gefängnis den Rücken gestärkt hatten.

Und das ganze Land konnte sehen, wie energisch und entschlossen diese 57-Jährige ist, die für den ehernen Grundsatz des Informantenschutzes in den Knast gegangen war. Es passiert ja nicht oft, dass Journalisten in der Politik eine Hauptrolle spielen.

Die Watergate-Reporter Carl Bernstein und Bob Woodward fallen einem ein, oder Seymour Hersh, der die Folterungen von Abu Ghraib aufdeckte. Jetzt ist Judith Miller in den Mittelpunkt der großen Politik gerückt.

Hilfe für den Intreganten

Jedoch nicht mehr als Heldin, sondern weil sie im Gefängnis saß, um im Skandal der Enttarnung der CIA-Agentin Valerie Plame ihren Informanten Lewis "Scooter" Libby zu decken, den Stabschef von US-Vizepräsident Dick Cheney. Der hatte ihr vor zwei Jahren den Namen der Agentin eingeflüstert, und das ist nach amerikanischem Gesetz ein Verbrechen.

Plames Ehemann, Botschafter Joseph C. Wilson, hatte in der New York Times Anfang Juli 2003 nachgewiesen, dass die Behauptung, Saddam Hussein habe versucht, in Afrika Material für Nuklearwaffen zu kaufen, nicht stimmte.

Damit entkräftete er Argumente, welche die Regierungsspitze ausgerechnet mit Irak-Berichten von Judith Miller untermauert hatte. Es war dann zwar der konservative CNN-Kommentator Robert Novak, der Valerie Plame in seiner Zeitungskolumne verriet - Miller hatte gar nichts dazu geschrieben -, aber sie weigerte sich eben, ihren Informanten zu verraten.

Das hat sie nun zu einer Art Antithese der Helden des amerikanischen Journalismus gemacht, weil sie die Pressefreiheit nicht für einen mutigen Informanten geschützt hat, sondern für einen mächtigen Intriganten. Die linken Kommentatoren haben sich auf sie eingeschossen.

Blanker Hass

Der ehemalige UN-Waffeninspektor Scott Ritter verglich sie mit Ex-Reporter Jayson Blair, der die New York Times vor zwei Jahren mit Fälschungen in Bedrängnis gebracht hatte. Nun distanziert sich sogar ihre Zeitung von Miller, und spricht man mit einigen ihrer Kollegen, schlägt einem blanker Hass entgegen.

Reporterin ohne Gespür für Grenzen

Dabei gehörte Judith Miller ursprünglich zur journalistischen Speerspitze gegen die Macht und all jene, die sie missbrauchen. 1977 holte die New York Times die junge Nahostexpertin in ihr Washington-Büro, bis dahin hatte sie für linke Medien wie The Progressive und das National Public Radio gearbeitet.

Das war die Zeit, als die Times brillante Reporter wie Miller oder Seymour Hersh gleich im Dutzend engagierte, weil die Washington Post ihr mit Watergate die Geschichte des Jahrzehnts weggeschnappt hatte. Miller nutzte ihre Chance.

Sechs Jahre später wurde sie die erste Frau, die das Kairo-Büro der Zeitung leitete. Zurück in Washington wurde sie erst Vize-Chefin der Hauptstadtredaktion, und im Golfkrieg von 1990 bekam sie einen privilegierten Posten als Sonderkorrespondentin der New York Times.

In den hintersten Winkeln der Ex-Sowjetunion

In den folgenden Jahren spürte sie in den hintersten Winkeln der Ex-Sowjetunion marode Fabriken für ABC-Waffen auf. 2002 bekam sie mit ein paar handverlesenen Redaktionskollegen für ihre Berichte über das weltweite Terrornetzwerk der al-Qaida den Pulitzer-Preis. Doch es waren ihre Berichte aus dem Irak, die sie nun zur Antifrau gemacht haben.

Von den zwölf Texten über die Vorbereitungen und Operationen des Irak-Krieges, für die sich die New York Times im Sommer bei ihren Lesern entschuldigte, waren zehn von Judith Miller. Das waren keine Flüchtigkeitsfehler. Sie hat Lügen Glaubwürdigkeit verliehen, mit denen ein Krieg gerechtfertigt wurde.

Judith Miller als Kollegin zu begegnen, war meist eine ernüchternde Erfahrung. Mit ihrem Pagenkopf und ihrem forschen Charme wirkte sie wie das altmodische Bild einer Reporterin aus einem Film von Frank Capra.

Sie war meist schon zuerst da, und mit aller Wahrscheinlichkeit hatte sie mit dem Informanten, den man mit viel Arbeit aufgetrieben und zu einem Interview überredet hatte, längst Pläne fürs Dinner gemacht, und später in den Archiven traf man sie dann noch einmal, und sie hatte längst Quellenmaterial vor sich, auf das man gar nicht gekommen wäre.

Wo lag der Wendepunkt?

War man nur Kollege und kein Konkurrent, hatte man Glück, dann überließ sie einem auch die Aktenzeichen, aber Gnade einem Gott, man zweifelte ihre Themenhoheit in der Öffentlichkeit an, beispielsweise wenn sie als Gastrednerin auf einem Podium saß, dann konnte sich ihr journalistischer Sturm und Drang in ein herzhaftes Donnerwetter verwandeln.

Wo war der Punkt in ihrer Biografie, an dem sie die Macht und die Mächtigen nicht mehr in Frage stellte? War es der einzigartige Zugang, den sie sich erarbeitet hatte, der sie verführte? War es die Sicht auf eine Welt, in der die Mischung aus mittelalterlichen Aggressionen der arabischen Welt und ungeschützten Arsenalen ehemals sowjetischer ABC-Waffen das buchstäbliche Ende des Abendlandes bedeuten könnten?

Eine Sicht, die sie mit den Mächtigen teilte, weil sie die Realität gesehen hatte? Wie konnte sich eine so brillante Journalistin auf Informationen und Informanten des machthungrigen, betrügerischen irakischen Politikers Achmed Tschalabi verlassen?

Weil der darauf spekulierte, dass eine schier endlose Parade von Folteropfern, Deserteuren und Dissidenten stets im Ausland das Bild von Diktaturen prägte, auch wenn sich deren Erlebnisse nur selten belegen lassen, weil Folterknechte und Verfolger nicht mit Dokumentaren reden?

Ganz wenige halten noch zur ihr, wie der Terrorexperte und Regierungskritiker Richard Clarke oder der konservative Essayist Robert Kagan. Der schrieb auch, dass Miller kein Einzelfall war.

Unzählige andere Reporter hatten für die New York Times und die Washington Post schon seit 1998 über Massenvernichtungswaffen im Irak berichtet und sich dabei genauso auf anonyme Regierungsquellen gestützt.

Die New York Times - mehr als eine Zeitung

Doch hat sich selbst Arthur Ochs Sulzberger von ihr abgewandt, mit dem sie eine lange, kollegiale Freundschaft verbindet.

Als Herausgeber bleibt ihm vielleicht nichts anderes übrig. Die New York Times hat es wie keine andere Zeitung begriffen, dass sie keine Zeitung ist, sondern eine Marke. Der Wert der Marke New York Times beruht jedoch vor allem darauf, dass sie als goldener Standard des Journalismus gilt.

Wer das durch seine Arbeit in Frage stellt, gefährdet den ganzen Konzern. Und die Apologetin eines verlorenen Krieges will man schon gar nicht schützen. Da stellt man lieber die E-Mail-Korrespondenz zwischen dem Ombudsmann der Times und Miller ins Internet und verhandelt mit ihr über eine Abfindung.

Trotz des Rampenlichtes, trotz des Zorns ihrer Kollegen, trotz der Gefahr, als Antifigur in die Geschichte des amerikanischen Journalismus einzugehen, ist Judith Miller die entschlossene Frau geblieben, die vor wenigen Wochen frisch aus dem Gefängnis vor die Fernsehnation trat.

Sie findet Zeit, Kollegen zurückzurufen und zu plaudern. Sie erinnert sich genau an ein Gespräch aus dem Sommer, stellt interessiert Fragen, nur die Gegenfragen wehrt sie ab. Es ist so viel gesagt worden, was Schaden angerichtet hat in diesen Tagen.

Und wenn mit Bush-Berater Karl Rove und Scooter Libby zwei Männer hinter der Spitze der Regierung angeklagt werden, wird Judith Miller eine unrühmliche Hauptrolle in dem Skandal spielen, der die Geschichte ihres Landes und den Lauf der Weltpolitik ändern könnte. Ausnahmsweise schweigt sie jetzt erst einmal.

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