USA: Rede zur Lage der Nation:Obama, Outsider mittendrin

Präsident Obama kritisiert in seiner ersten Rede zur Lage der Nation sich selbst und Washingtons Politrituale. Und er verspricht: "Ich gebe nicht auf!"

Christian Wernicke

Dies war keine Umkehr, kein Neuanfang. Barack Obama will - so seine Botschaft aus der Nacht, das Fazit seiner Rede zur Lage der Nation - weitermachen.

Barack Obama Rede zur Lage der Nation US-Präsident Kongress AP

Leidenschaftlicher, entschlossener, härter: US-Präsident Barack Obama will seine Linie weiterverfolgen, doch kämpferischer als bisher.

(Foto: Foto: AP)

Nicht einfach "Weiter so!", sondern leidenschaftlicher, entschlossener und härter als in den vergangenen Monaten. Da hatte der 44. US-Präsident oft blass und verzagt gewirkt. Nun also: Weiter!

"Ich gebe nicht auf", lautete Obamas Merksatz des Abends. Die Sentenz fand sich nicht ohne Grund ganz am Ende der siebzigminütigen Rede vor dem Kongress.

Das sollten die versammelten Abgeordneten und Senatoren mit nach Hause nehmen, und die Millionen Wähler draußen vor den Fernsehschirmen sollten sich noch am nächsten Morgen beim Frühstück daran erinnern: Dieser bisweilen etwas entrückte und zu akademisch daherkommende Präsident will kämpfen.

Er mag seine Prioritäten neu sortieren. Aber er lässt nichts unter den Tisch fallen, gibt nichts auf.

Auch nicht die leidige Gesundheitsreform, die während der vergangenen Monate das Image seiner Regierung und aller Demokraten so arg ramponiert hat. Der Präsident will Zeit gewinnen, bietet den Republikanern neue Gespräche an ("Wer immer einen besseren Ansatz hat, der lasse es mich wissen").

Nur kein Verzicht: "Nicht jetzt. Nicht, wo wir so nah dran sind." Er hebt Daumen und Zeigefinger der linken Hand, und zwischen den Kuppen beider Finger ist kein Millimeter Luft zu erkennen.

Obama hat das Ritual der alljährlich fälligen Bilanz am Mittwoch genutzt, um den eigenen Kurs zu korrigieren. "ObamaCare" kommt später. Ab sofort - soll heißen: wenigstens bis zu den Kongresswahlen Anfang November - geht dieser Regierung eines über alles: Jobs, Jobs, und noch mehr Jobs.

Noch immer ist jeder zehnte amerikanische Erwachsene ohne Arbeit, trotz der 787 Milliarden Dollar für das teuerste Konjunkturprogramm der US-Geschichte. Das schürt Verbitterung, Frust, Wut.

Mitmensch Präsident

Also soll noch ein Job-Programm her, Förderwert 80 bis 150 Milliarden Dollar. Zugleich stellt Obama alle Programme in den Dienst der Beschäftigung. Auch, wenn dies nur bedeutet, dass Projekte wie seine Gesundheitsreform oder der geplante Klimaschutz nur passende Überschriften erhalten wie "Entlastung für die Mittelschicht" oder "Green Jobs."

Und so kann Obama zudem signalisieren, wie unzufrieden er selbst mit sich und dem Erreichten ist. Der Präsident als Mitmensch: Auch ihm dauere der Wandel zu lange, auch er sei ungeduldig mit "Washington", das immer nur streite und zu wenig zustande bringe. Obama spricht, sehr volksnah, den Namen der Hauptstadt mit Ekel im Gesicht aus.

Als sei es ein ferner, sehr fremder Ort. Als lebe er nicht seit einem Jahr an der Pennsylvania Avenue Nummer 1600, im Weißen Haus. Als säße er nicht selbst mittendrin im Machtzentrum.

Der Präsident als oberste Kritiker des Systems - das ist ungewöhnlich. Und doch knüpft Obama nur da an, wofür er als Kandidat bis zum 20. Januar 2009 - dem Tag seiner Amtseinführung - gestanden hatte. Als Kandidat war er angetreten, Washington von Grund auf zu verändern.

Diesen Wunsch hat er nun wieder ausgegraben, um sich vor den Augen der Wähler abzusetzen vom Establishment. Und um am Potomac, sozusagen als Outsider mittendrin, noch möglichst lange zu verweilen.

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