USA:Pläne für den legislativen Amoklauf

Obama fehlt für seine Gesundheitsreform die Mehrheit im Kongress. Jetzt erwägt der Präsident unlautere politische Tricks.

Hubert Wetzel

Als US-Präsident ist Barack Obama zugleich Oberbefehlshaber der Armee seines Landes. Das gibt ihm das Recht, im Kriegsfall den Abwurf einer Atombombe zu befehlen. Nicht vorgesehen ist freilich, dass er daheim Politik mit derart explosiven Mitteln betreibt.

Das aber ist Obama im Begriff zu tun: Per Interview hat er seinen Demokraten im Kongress praktisch die Erlaubnis gegeben, das politische System der USA zu sprengen. Wenn die demokratischen Fraktionsführer in Abgeordnetenhaus und Senat die umstrittene Gesundheitsreform nur mit Hilfe eines dubiosen Verfahrenstricks durchs Parlament drücken könnten, so solle ihm das recht sein, ließ Obama wissen. Er habe anderes zu tun, als sich um Verfahrensregeln zu sorgen.

Im Weißen Haus liegen die Nerven blank, nur so ist Obamas harte Haltung zu erklären. Die Gesundheitsreform ist das mit Abstand wichtigste innenpolitische Vorhaben des Präsidenten. Obama hält es - völlig zu Recht - für einen Skandal, dass in einem reichen Land wie den USA etwa 50 Millionen Menschen keine Krankenversicherung haben; dass Menschen finanziell ruiniert sind, weil sie sich ein Bein brechen; oder dass ein Kind stirbt, weil eine entzündete Zahnwurzel nicht behandelt wird. Obamas Reform soll einigen Millionen bisher unversicherten Amerikanern eine bezahlbare Krankenversicherung verschaffen. Dass der Präsident dafür kämpft, ist richtig.

Zudem kann man Obama nicht dafür schelten, dass er keine Rücksicht auf die oppositionellen Republikaner mehr nehmen will. Sie haben seine Reform torpediert und verleumdet. Die Auseinandersetzung ist längst zu einer Kraftprobe zwischen Präsident und Opposition geworden - ein Machtkampf, in dem sich Obama keine Niederlage leisten kann.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Obama die Reform trotzdem durchdrücken will.

Über die Hintertreppe

Doch so gut die Gründe für die Reform sind und so berechtigt die Wut im Weißen Haus über die destruktiven Republikaner sein mag - Obama hat ein Problem: Ihm fehlt die nötige parlamentarische Mehrheit. Das muss frustrierend für ihn sein.

Trotzdem wäre es ein Desaster, würde der Präsident sich nun über jene Hintertreppe zum Sieg schleichen, welche die demokratischen Parteiführer im Kongress ausgespäht haben. Ihr Plan sieht vor, dass das Abgeordnetenhaus nicht über das eigentliche Reformgesetz abstimmt, sondern nur über ein Paket von Änderungsanträgen, für die es eine Mehrheit geben könnte. Die Reform selbst würde dann als indirekt angenommen gelten.

Das mag ein verlockendes Szenario sein für einen Präsidenten, dessen politisches Schicksal an dieser Reform hängt. Allerdings hieße das auch: Der Kongress setzt eine sozialpolitische Jahrhundertreform in Kraft, die von einem Großteil der US-Bürger mit Misstrauen beäugt wird, die eine Branche von der Größe eines Sechstels der amerikanischen Volkswirtschaft neu ordnet - über die aber im Parlament nicht vernünftig abgestimmt werden darf, weil es für sie dort keine ausreichende Unterstützung gibt.

Für Obama, der einst von Hoffnung und Wandel gesprochen hat, wäre dieses Vorgehen eine politische Bankrotterklärung. Als Präsident muss er gesellschaftliche und parlamentarische Mehrheiten für seine Politik suchen, aber keine Schleichwege um Volk und Volksvertreter herum.

Auch für Amerikas politische Kultur wäre eine derartige Trickserei höchst bedenklich. Die Atmosphäre in Washington ist schon jetzt vergiftet. Ein legislativer Amoklauf wie der, mit dem Obama liebäugelt, würde die Hauptstadt in ein politisches Bürgerkriegsgebiet verwandeln. Und warum sollten sich künftige Regierungen an demokratische Gepflogenheiten halten, wenn Obama ihnen vormacht, wie man mit etwas Kreativität bei der Auslegung der Verfahrensregeln zum Ziel kommt? Schon dass Obama im Fernsehen laut darüber nachdenkt, er könnte ein Gesetz, das auf so zweifelhafte Weise zustande gekommen ist, unterzeichnen, ist ein Tiefschlag gegen die Demokratie. Egal, wie gut er es meint.

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