USA:"Ohne ersichtlichen Grund"

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In den US-Staaten Minnesota und Louisiana erschießen Polizisten zwei Schwarze - ob von ihnen eine Gefahr ausging, ist unklar. Nun ermittelt das Justizministerium.

Von Nicolas Richter, Washington

In Baton Rouge im US-Bundesstaat Louisiana kam es nach dem Tod Alton Sterlings zu Kundgebungen und Protesten, die aber friedlich blieben - anders als nach dem Tod von Michael Brown in Ferguson vor zwei Jahren. (Foto: Mark Wallheiser/AFP)

In den USA sorgen zwei neue Fälle von tödlicher Polizeigewalt für Empörung. In der Stadt Baton Rouge im Staat Louisiana haben zwei Beamte offenbar ohne Not Alton Sterling, 37, erschossen. Die Polizisten reagierten auf einen Notruf am frühen Dienstagmorgen, in dem jemand behauptete, er sei vor einem Lebensmittelladen von einem Schwarzen mit einer Pistole bedroht worden. Als die Beamten auf Sterling trafen, kam es zu einem Handgemenge, bei dem sie ihn überwältigten und zu zweit auf den Boden drückten. Als es so aussah, als sei der Zwischenfall beendet, zog mindestens einer der Polizisten seine Pistole und schoss auf Sterling.

Der Fall sorgte sofort für landesweites Aufsehen, weil Zeugen die Auseinandersetzung mit einem Smartphone gefilmt hatten, die Aufnahmen kursieren im Netz. Darauf sind zwar nicht alle Einzelheiten zu sehen, weil ein Auto die Sicht verstellt. Aber allem Anschein nach leistete Sterling keinen Widerstand mehr, als einer der Polizisten seine Waffe zog und immer wieder auf ihn feuerte. Sterling, der zuvor auf dem Gehweg CDs verkauft hatte, trug Schusswunden an Brust und Rücken davon und starb noch am Tatort. Die Beamten sollen erklärt haben, der Verdächtige habe sie mit seiner Waffe bedroht. Allerdings erklärte der Inhaber des benachbarten Geschäfts, Sterling habe zwar eine Pistole in der Tasche gehabt, sie aber nicht in die Hand genommen. Sterling war vorbestraft, aber es ist unklar, ob die Beamten das wussten.

In Falcon Heights im US-Bundesstaat Minnesota starb ein 32-jähriger Schwarzer, nachdem ein Polizist am Mittwoch bei einer Fahrzeugkontrolle mehrmals auf ihn geschossen hatte, wie US-Medien berichteten. Die Freundin des Getöteten, die mit im Auto saß, hatte die Lage unmittelbar nach den Schüssen live in einem Video auf Facebook festgehalten. Die Aufnahmen zeigen einen blutüberströmten Mann auf dem Fahrersitz und einen Polizisten, der mit gezückter Waffe vor dem Fenster steht. Die Frau berichtet im Video, dass sie wegen eines defekten Rücklichts angehalten worden seien. Ihr Freund habe dem Beamten mitgeteilt, dass er eine Waffe besitze, und er habe seine Fahrzeugpapiere aushändigen wollen. Dann habe der Polizist "ohne ersichtlichen Grund" mehrere Schüsse auf den Arm ihres Freundes abgegeben. Philando Castile starb im Krankenhaus.

Der Gouverneur von Louisiana, John Bel Edwards, nannte das Video, das den Tod Alton Sterlings zeigt, "verstörend". Er teilte mit, dass das US-Justizministerium in Washington die Ermittlungen an sich gezogen habe. Dies geschieht immer dann, wenn mutmaßlich ein schwerer Verstoß gegen Bürgerrechte vorliegt und davon auszugehen ist, dass die örtlichen Behörden nicht bereit oder in der Lage sind, den Fall aufzuklären. Edwards forderte die Bevölkerung zu Ruhe und Geduld auf. "Ich weiß, dass das für manche hart sein mag. Ich weiß, dass es Proteste gibt, aber sie müssen unbedingt friedlich bleiben", warnte er. Der Gouverneur spielt auf wachsenden Unmut besonders unter schwarzen Amerikanern an. Am sichtbarsten wurde er im Sommer vor zwei Jahren, als ein Polizist in Ferguson, US-Staat Missouri, den 18 Jahre alten Michael Brown erschoss. Daraufhin kam es zu oft gewalttätigen Protesten. Ähnliche Szenen spielten sich im Frühjahr 2015 in Baltimore ab, nachdem der 25-jährige Freddie Gray beim Transport zur Polizeiwache so verletzt wurde, dass er wenig später starb. In Baton Rouge kam es nach dem Tod Sterlings zwar zu Demonstrationen, diese blieben aber friedlich.

Offenbar gibt es neben dem Video aus dem Smartphone weitere Aufzeichnungen. Eine Kamera vor dem Lebensmittelladen, eine weitere in dem Polizeiwagen sowie Kameras am Leib der beteiligten Polizisten sollen die Tat gefilmt haben. Allerdings sollen die Kameras der Beamten nicht wie beabsichtigt funktioniert haben, weil sie sich während der Auseinandersetzung vom Körper gelöst haben sollen.

Nach dem Tod Michael Browns hatte sich die US-Regierung dafür eingesetzt, dass Streifenbeamte mit Kameras ausgerüstet sind, um Fälle von Polizeigewalt festzuhalten. Oft sind es auch Zeugen, die Zwischenfälle mit ihren Smartphones filmen. Die Bilder der vergangenen Jahre haben einen lange gehegten Verdacht bestätigt: Oft wenden weiße Polizisten besonders gegen schwarze Bürger übermäßige, zuweilen auch tödliche Gewalt an.

Aus dem Umfeld der im Fall Sterling verdächtigen Beamten hieß es, sie hätten in der Situation richtig reagiert, die Ermittlungen würden dies beweisen. Teile der Öffentlichkeit haben sich eine andere Meinung gebildet. Die Mutter eines 15-jährigen Sohnes von Sterling sprach von "Mord", manche Beobachter von "Hinrichtung". Die demokratische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton erklärte: "Eindeutig stimmt etwas nicht, wenn so viele Amerikaner glauben müssen, dass unser Land sie wegen ihrer Hautfarbe als weniger kostbar betrachtet."

© SZ vom 08.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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