USA: Haushaltskrise:High Noon in Washington - leider fehlt der Sheriff

Schon wieder geht in den USA die Angst vor einem Totalversagen um: Das politische System lähmt sich selbst - und eine Lösung ist beim Streit zwischen US-Präsident Obama und seinen republikanischen Widersachern nicht in Sicht. Doch auf dem Spiel steht nichts Geringeres als die globale Wettbewerbsfähigkeit des Landes.

René Wildangel

Im April war es schon einmal fast so weit. Auf den Gängen des US-Kongresses herrschte Totenstille, und ganz Washington erwartete den "Government Shutdown". Hätten sich der republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses, John Boehner, und US-Präsident Obama nicht in letzter Minute vor Ablauf der Frist auf einen Kompromiss geeinigt, wären alle Regierungsstellen, die nicht unmittelbar für die nationale Sicherheit bedeutsam sind, geschlossen worden.

Barack Obama, John Boehner, Harry Reid

Streiten immer noch über den Haushalt: Präsident Barack Obama und John Boehner, republikanischer Sprecher des Repräsentantenhauses.

(Foto: AP)

Dann hätten nicht nur die Hauptstadttouristen vor den Toren der öffentlich finanzierten Museen gestanden. Die ganze US-Politik wäre lahmgelegt, die Folgen für die Wirtschaft und der politische Langzeitschaden wären unabsehbar gewesen.

Stein des Anstoßes war und ist der Haushalt des Jahres 2011, den der amerikanische Kongress eigentlich schon 2010 hätte beschließen müssen. Jetzt geht schon wieder die Angst vor einem Totalversagen um, denn weder der Haushalt 2012 noch die Senkung des gesetzlichen Verschuldungslimits ist beschlossen. Anfang August ist nach Verlauten des US-Finanzministers Timothy Geithner die Schuldenobergrenze von 14,3 Billionen Dollar erreicht.

Wie im Westernklassiker High Noon tickt die Uhr. Im Film erwartet der von Gary Cooper verkörperte Sheriff bis zwölf Uhr mittags die Ankunft eines Banditen, der sich an ihm rächen will. Die Bewohner der Stadt, deren Ordnungshüter er ist, wenden sich aus Angst von ihm ab.

In der US-Realität war es Vizepräsident Joseph Biden, der die Krise lösen sollte. Aber die sogenannte Sechser-Gang, drei Demokraten und drei Republikaner, die mit ihm über ein Ende der Krise verhandelte, hat sich nach und nach aufgelöst. Jetzt kommt es zum Showdown zwischen Obama und seinen republikanischen Widersachern.

Das Gedächtnis vieler amerikanischer Wähler ist schlecht

Längst sind sich beide Parteien einig, dass die US-Schulden drastisch reduziert werden müssen. Obama selbst spricht mittlerweile von vier Billionen in den nächsten zwölf Jahren. Keineswegs Einigkeit besteht aber in der Frage, wo gespart werden soll. Die Republikaner wollen vieles dezimieren oder gar abschaffen, was den Demokraten heilig ist: die Umweltschutzbehörde, die Gesundheitsprogramme Medic-aid für Einkommensschwache und Medicare für Senioren, Essensmarken für die Ärmsten, Investitionen in erneuerbare Energien und nahezu die gesamte US-Entwicklungshilfe. Nur das Verteidigungsbudget, seit Mitte der neunziger Jahre verdoppelt, bleibt eine heilige Kuh.

Zwar versucht Obama zunehmend, die Republikaner als Verbündete der großen Konzerne und die unter Bush beschlossenen Steuergeschenke an US-Millionäre zu kritisieren. Aber das Gedächtnis vieler amerikanischer Wähler scheint nicht sonderlich weit zurückzureichen. Dass Bill Clinton in seiner achtjährigen Amtszeit bis 2002 die Staatsverschuldung reduzierte - Schnee von gestern. Dass es Obamas Vorgänger George W. Bush war, der mit seinem "Krieg gegen den Terror" und Steuergeschenken an die Superreichen das Defizit in ungeahnte Höhen trieb - längst vergessen.

Und auch die Tatsache, dass die globale Wirtschaftskrise durch die Deregulierung der Finanzwirtschaft vor seiner Amtszeit begann, Arbeitslosigkeit und Wirtschaftswachstum inmitten der globalen Krise bereits am Boden lagen, gereichen Obama kaum zur Entschuldigung.

Obama als Kandidat der Mitte

Mit Blick auf seine Wiederwahl 2012 versucht der US-Präsident, sich als Kandidat der Mitte zu präsentieren. Öffentlichkeitswirksam lädt er republikanische Widersacher ins Weiße Haus. Aber macht er zu viele Zugeständnisse an die Konservativen, wie bei der jüngsten Festlegung des Haushalt für 2011, muss er mit harscher Kritik aus den eigenen Reihen rechnen.

Viele Wähler und Unterstützer von 2008 wenden sich vom Realpolitiker Obama ab. Die Erinnerung an "Hope and Change", an Hoffnung und Wandel, scheint längst verblasst zu sein. Und auch wenn der Präsident mit der Gesundheitsreform einen Durchbruch geschafft hat, kreiden ihm linke Demokraten unerfüllte Wahlversprechen wie die Schließung Guantanamos, eine Reform der Einwanderungspolitik oder effektive Maßnahmen zum Klimaschutz an.

Dabei sind dem 2009 mit so viel Enthusiasmus angetretenen Präsidenten aufgrund des Wahlsystems die Hände gebunden. Seitdem die Republikaner im November 2010 bei den Midterm-Wahlen zum Repräsentantenhaus eine deutliche Mehrheit erzielen konnten, verfügen sie über ein enormes Druckmittel gegen den Präsidenten. Da beide US-Kammern, Senat und Repräsentantenhaus, Gesetzentwürfen zustimmen müssen - auch dem Haushalt und der Erhöhung der Schuldengrenze - können sie die Politik des Weißen Hauses nahezu lahmlegen.

Kommt es jetzt zum Zusammenbruch der Regierungsgeschäfte oder zum Durchbrechen der Schuldengrenze, gehen womöglich noch mehr wichtige Wählerstimmen verloren, weil der Präsident persönlich verantwortlich gemacht wird. Dann könnten erzkonservative Republikaner wie die kürzlich ins Rennen eingetretene Tea-Party-Ikone Michelle Bachmann in Umfragen zulegen.

Die Republikaner stehen sich selbst im Weg

Allerdings stehen sich die Republikaner mit ihrer internen Zersplitterung selbst im Weg. Viele Forderungen der rechten Tea Party, die nahezu alles, was nach Regierung und Steuerpolitik riecht, als Teufelszeug abtut, sind der überwiegenden Mehrheit der Amerikaner zu radikal.

Die moderateren republikanischen Herausforderer für 2012 haben dagegen jeweils ihren eigenen Makel: Mitt Romney war einst als Gouverneur von Massachusetts ein Vorreiter der von den Republikanern verhassten Gesundheitsreform, Jon Huntsman gar Botschafter in Diensten Obamas in China. Aufgrund der Zersplitterung der Partei der Republikaner, der "Grand Old Party", wie sie in den USA heißt, dürfte Obamas Wiederwahl kaum gefährdet sein.

Aber die kommenden Entscheidungen haben nicht nur Konsequenzen für die anstehenden Wahlen in 2012. Werden haushaltspolitische Weichenstellungen der Wahltaktik zum Opfer fallen und die innenpolitische Blockade fortgesetzt, dürfte das gravierende Folgen für die US-Wirtschaft haben.

Beim Überschreiten der Staatsverschuldung droht der Verlust der Kreditwürdigkeit. Amerikas größter Trumpf, die Innovationsfähigkeit, droht durch Einsparungen bei Bildung und Forschung verlorenzugehen. Auf dem Spiel steht nichts Geringeres als die globale Wettbewerbsfähigkeit der USA.

René Wildangel ist German Marshall Fund Fellow in Washington und arbeitet im US-Repräsentantenhaus.

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