USA:Globale Jagd

Wer die Anklageschrift der US-Justiz gegen Fifa-Funktionäre liest, entdeckt Ermittlungseifer in aller Welt. Wie Amerikas Politiker schwanken, aber auch die Juristen zwischen Isolation und Interventionismus.

Von Nicolas Richter, Washington

Viele Amerikaner halten Fußball, den sie "Soccer" nennen, für so spannend wie Origami-Falten. Der Weltsport schlechthin gilt in den USA noch immer als Zeitvertreib für Mädchen, er ist eindeutig weniger beliebt als American Football, Baseball oder Basketball. Die 161 Seiten starke Klageschrift der US-Justiz gegen Funktionäre des Weltverbands Fifa allerdings klingt jetzt so, als würde der globale Sport von den USA aus gesteuert: Die Ermittler schildern Pressekonferenzen in Miami, verschwörerische Treffen im New Yorker Stadtteil Queens oder Überweisungen auf amerikanische Bankkonten.

Mit dieser US-zentrierten Darstellung möchte die New Yorker Staatsanwaltschaft einen absehbaren Vorwurf abwehren - dass die amerikanischen Strafverfolger nämlich gar nicht zuständig seien für die sehr dubiosen Fifa-Geschäfte in aller Welt. Politiker und Justizbeobachter haben diesen Vorwurf längst geäußert: Der russische Präsident Wladimir Putin zum Beispiel beklagte nach den ersten Verhaftungen in der Schweiz, dass die USA ihr Recht aller Welt aufzwingen wollten.

Im Falle Putins ist diese Kritik vorhersehbar; Völkerrecht bedeutet ihm nur etwas, wenn er damit die USA maßregeln kann. Relevanter für die bisher 14 Angeklagten ist der Umstand, dass jetzt auch die amerikanischen Verteidiger dieses Argument verwenden, und zwar dort, wo es tatsächlich Konsequenzen haben dürfte - vor Gericht. "Ob das US-Gesetz zur organisierten Kriminalität hier überhaupt greift, ist die zentrale Frage in diesem Fall", sagt der New Yorker Verteidiger eines der Angeklagten, der zu Beginn des Verfahrens noch nicht mit Namen zitiert werden möchte. Eine US-Zuständigkeit für die Fifa ist aus seiner Sicht keineswegs naheliegend: "Die Geschäfte der Fifa haben niemandem in den USA geschadet, es gibt hier kaum jemanden, den man vor Straftaten dieser Art abschrecken müsste. Warum also verschwendet die US-Regierung trotz knapper Mittel Millionen Arbeitsstunden, um ausländische Verdächtige zu verfolgen?"

Man kann diese Frage sehr grundsätzlich stellen: Müssen die USA, die kein Weltpolizist mehr sein möchten, jetzt den Welt-Staatsanwalt spielen? Ist dies nicht imperialistische Anmaßung, zumal von einem Land, das sich weigert, dem Weltstrafgericht in Den Haag beizutreten? Einzelne US-Experten kritisieren den Ermittlungseifer ihrer Justiz als exzessiv. Er gebe Putin nur ungern recht, schreibt der Autor Zachary Karabell im Politico Magazine, aber Putin zweifle zu Recht am US-Mandat. Selbst wenn das Gesetz Ermittlungen gegen die Fifa erlauben sollte, so sei die globale Strafverfolgung doch kein kluges Signal. Amerika solle sich davor hüten, jedes Vakuum zu füllen, denn dies könnte auf Dauer dem Ruf der USA schaden.

Im Strafverfahren stellt sich diese Frage sehr viel konkreter. Die Staatsanwaltschaft stützt ihre Anklage auf ein Gesetz gegen die organisierte Kriminalität namens "Racketeer Influenced and Corrupt Organizations Act" (Rico), dessen internationale Reichweite umstritten ist, selbst unter hohen Richtern. "Die Zweifel an Rico sind die größte Schwäche der Anklage", sagt der New Yorker Anwalt. "Ich wäre äußerst erstaunt, wenn nicht gleich mehrere Verdächtige dies geltend machen. Ankläger und Verteidiger werden vor Gericht darüber streiten, da bin ich mir sicher."

Besonders in Terrorismusfällen beansprucht die US-Regierung seit einem Jahrzehnt eine beinahe grenzenlose Zuständigkeit. Weltweit jagt sie Verdächtige, deren einzige Verbindung zu den USA es ist, dass sie am Ende der Jagd in Amerika vor Gericht stehen. Aber auch in vielen anderen Fällen erfinden Gerichte eine US-Zuständigkeit, indem sie unterstellen, das Parlament habe einem Gesetz implizit globale Reichweite gegeben. Der Supreme Court in Washington, das oberste Gericht, hat diese Praxis im Jahr 2010 gerügt: Etliche Gerichte hätten so viel über die Absichten des Gesetzgebers gemutmaßt, dass die Rechtslage völlig unübersichtlich sei. Künftig sei im Zweifel davon auszugehen, dass ein Gesetz nur auf US-Staatsgebiet gelte.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Fifa-Akte vor dem Supreme Court landet

Wie Amerikas Politiker aber schwanken auch die Juristen zwischen Isolation und weltweitem Interventionismus. Im vergangenen Jahr hat ein Berufungsgericht geurteilt, dass das Rico-Gesetz teilweise für Straftaten gilt, die im Ausland oder von Ausländern begangen wurden. Das Gericht erinnerte daran, dass der Gesetzgeber bestimmte Straftaten mit Auslandsbezug ausdrücklich verfolgen will. So macht sich ein Ausländer zum Beispiel der Geldwäsche nach den verschärften Vorschriften der organisierten Kriminalität strafbar, wenn "die Tat zum Teil in den USA begangen wird". Ob sich dieses Urteil auf den Fifa-Fall übertragen lässt, ist allerdings fraglich. Erstens galt das Urteil einem zivilrechtlichen Sachverhalt, keinem strafrechtlichen. Zweitens war das Urteil unter den Richtern umstritten: Manche fanden, das US-Recht sei hier zu weit ausgedehnt worden. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass auch die Fifa-Akte am Ende wieder vor dem Supreme Court landet.

Die Ankläger haben offensichtlich versucht, ihre Schwächen zu minimieren. Erstens haben sie erklärt, sämtliche Angeklagten seien Teil einer Verschwörung gewesen: Damit versuchen sie, aus den amerikanischen und den nichtamerikanischen Angeklagten eine kriminelle Einheit zu bilden. Allerdings müssen sie erst einmal beweisen, dass es diese Verschwörung gegeben hat, dass also nicht jeder Verdächtige auf eigene Rechnung handelte. Zweitens behauptet die Anklage, das US-Finanzsystem sei für die Verschwörer "zentral" gewesen. Auch damit versuchen die Ermittler, den Fall im US-Recht zu verankern. Ohne Zweifel haben einige der Verdächtigen US-Konten verwendet, und die dubiosen Geschäfte des nordamerikanischen Fußballverbands Concacaf wurden in den USA geführt. Ob Amerikas Banken aber "zentral" waren für sämtliche Korruptionsvorgänge innerhalb der Fifa, müssen die Staatsanwälte ebenfalls erst einmal beweisen.

Der Fall Fifa ist ein Grenzfall. Er wird es umso mehr, als er sich von den Geschäften der Concacaf entfernt und erweitert wird um Vorgänge wie die Vergaben der Weltmeisterschaften an Russland und Katar. Ohne Zweifel interessieren sich die US-Ermittler längst für den scheidenden Fifa-Präsidenten Sepp Blatter: Selbst wenn er in den ernsten Verdacht gerät, Straftaten begangen zu haben - findet sich dann auch in seinem Fall eine US-Verbindung?

Es ist nicht ungewöhnlich, dass Staatsanwälte Risiken eingehen und die rechtlichen Grenzen ausloten. "Das ist sogar die routinemäßige Aufgabe der Ankläger: Sie interpretieren das Recht bis zum Äußersten in ihrem Sinne. Ob sie damit richtig liegen, finden sie heraus, indem sie Anklage erheben", sagt der Verteidiger.

Warum sich die New Yorker Ermittler überhaupt in den Fall verbissen haben, lässt sich aus Sicht von Kennern leicht erklären. "Es geht um Prestige", sagt ein früherer Bundes-Staatsanwalt, der ungenannt bleiben möchte, um offen über frühere Kollegen zu sprechen: "Sie kriegen jetzt Anfragen, um in der Fernsehshow 60 Minuten aufzutreten, und genau das haben sie beabsichtigt." Der Fall Fifa bringe wegen der internationalen Dimension besonders viel Aufmerksamkeit. "Jeder Staatsanwalt, der behauptet, Schlagzeilen interessierten ihn nicht, lügt." Am meisten zahlt es sich für Loretta Lynch aus: Sie hat die Ermittlungen als Staatsanwältin in New York angestoßen und erntet nun - inzwischen als Justizministerin - die Früchte. In der Weltöffentlichkeit, wo die Fifa keine Sympathie mehr genießt, gilt sie als jene mutige Anklägerin, die den Fußball vor seinen korrupten Funktionären rettet.

US-Justizministerin Loretta Lynch gegen die Fifa

Großer Auftritt: Loretta Lynch (rechts) hatte den Fifa-Fall als Staatsanwältin in New York angestoßen, nun ist sie US-Justizministerin.

(Foto: dpa)

Aber im Fall Fifa könnten auch für Lynch noch Risiken lauern. US-Strafverteidiger warnen davor, alles in der Klageschrift für wahr und beweisbar zu halten. "Erfahrungsgemäß treten immer Schwächen auf in der Darstellung der Fakten", sagt der New Yorker Verteidiger. Für die Ankläger kommen weitere Unwägbarkeiten hinzu: Werden alle ausländischen Angeklagten tatsächlich ausgeliefert? Sind die wichtigsten Belastungszeugen bereit, in die USA zu reisen und vor Gericht auszusagen? Oder fürchten sie Einschüchterung oder Vergeltung in ihrer Heimat?

Eine weitere Ungewissheit liegt in den Geschworenen, die über Schuld oder Unschuld entscheiden. Die Staatsanwälte müssen sie davon überzeugen, dass das Treiben der Fifa-Funktionäre so verwerflich und böse war, dass es sich deswegen lohnt, US-Ermittler über Jahre und US-Geschworene über Wochen und Monate damit zu beschäftigen. Sollte das nicht gelingen, und sollten sich einzelne Angeklagte als sympathische Oper des Fifa-Systems darstellen, könnte es auch milde Urteile oder sogar Freisprüche geben.

Trotz aller Schwächen sind viele US-Verteidiger der Meinung, dass die US-Regierung hier eine überzeugende Anklage zusammengestellt hat. Die Verhaftungen in der Schweiz, die Pressekonferenz der Justizministerin - all dies verschaffe der Staatsanwaltschaft einen Startvorteil, sagt der New Yorker Verteidiger. Vor allem aber der Umstand, dass erste Verdächtige ihre Taten gestanden und sogar dabei geholfen hätten, andere Verdächtige zu überführen.

New Yorks Staatsanwälte spekulieren offenbar auf rasche Geständnisse

Schon bald könnten die nächsten Verdächtigen auspacken und auf eine milde Strafe hoffen, indem sie Mit-Angeklagte belasten. "Das ist die große Unbekannte, der X-Faktor", sagt der Anwalt: "Kein Verdächtiger weiß genau, was die anderen alles aussagen, um ihren eigenen Kopf zu retten." Nehme man alle Anklagepunkte zusammen, drohten den Verdächtigen bis zu 30 Jahre Haft. Da sei es sehr verlockend, mit zwei bis drei Jahren davonzukommen, indem man ein Geständnis ablege und die anderen Verdächtigen beschuldige.

Am Ende also könnte sich die Frage erübrigen, ob die US-Justiz überhaupt zuständig ist für die globalen Korruptionsvorgänge der Fifa. Offensichtlich spekulieren die New Yorker Staatsanwälte trotz der rechtlichen Unwägbarkeiten damit, dass etliche Angeklagte schnell viel gestehen und enthüllen. Letztlich ist ein solch globaler Fall auch ein Pokerspiel. Gewinnen kann auch jener, der nur so tut, als habe er die Hand voller Trümpfe.

Mafiosi, Motorradgangs, Fußball-Paten

Als US-Justizministerin Loretta Lynch nach den ersten Verhaftungen im Fall Fifa vor die Presse trat, verglich sie den Weltfußballverband mit der Mafia. Abgesehen davon, dass dies gut klingt, gibt es dafür auch einen juristischen Grund: Die strafrechtlichen Vorwürfe gegen bislang 14 Angeklagte fußen im Wesentlichen auf einem Strafgesetz aus dem Jahr 1970, dem "Racketeer Influenced and Corrupt Organizations Act", kurz Rico. Wie auch in anderen Rechtsordnungen werden bestimmte Straftaten wie Mord oder Geldwäsche demnach härter bestraft, wenn sie aus einer kriminellen Vereinigung heraus begangen werden. Das besonders Verwerfliche liegt nach dieser Logik darin, dass die Täter nicht allein, sondern als Verschwörer und Teil einer größeren Organisation handeln. Der US-Kongress wollte mit dem Gesetz zudem eine Lücke im Strafrecht schließen, indem er ausdrücklich die Anstifter von Verbrechen belangte, und nicht nur jene, die diese Taten ausführten. Das Gesetz sollte ursprünglich dabei helfen, die Mafia zu zerschlagen, die sich besonders in New York festgesetzt hatte, es wurde später aber auch gegen Motorradgangs eingesetzt und in sexuellen Missbrauchsfällen der katholischen Kirche. Nicolas Richter

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