USA:Fracking ändert alles

Lesezeit: 3 min

Die Vereinigten Staaten sind nun wieder der größte Produzent weltweit. Das bringt nicht nur die eigene Wirtschaft voran.

Von Claus Hulverscheidt, New York

Amerikas Aufbruch in ein neues Öl-Zeitalter beginnt am Silvestertag des vergangenen Jahres, kurz nach 16 Uhr. Im texanischen Corpus Christi lässt der Kapitän der Theo T die Anker lichten, wenig später passiert sein mit mehreren Hunderttausend Barrel Rohöl beladenes Tankschiff die Hafeneinfahrt und macht sich auf den Weg über den Atlantik. Ziel: das südfranzösische Fos, von wo aus die Fracht per Pipeline weitergepumpt wird, mutmaßlich in die Schweiz oder zur Bayernoil-Raffinerie. Der erste Ölexport der USA seit 1973 und seit Aufhebung des Ausfuhrverbots vor wenigen Wochen - er landet womöglich im kleinen Städtchen Vohburg an der Donau.

Selten hat eine Branche in so kurzer Zeit so gewaltige Umwälzungen erlebt wie zuletzt die Ölindustrie. Noch vor zehn Jahren waren die USA vor allem als weltgrößter Konsument von Rohöl bekannt. Mittlerweile sind sie auch der größte Produzent, allein seit 2008 hat sich die jährliche Förderung auf mehr als drei Milliarden Barrel verdoppelt. Möglich wird das vor allem durch das sogenannte Fracking, eine zuvor wenig genutzte Fördermethode, bei der unter hohem Druck Sand, Wasser und Chemikalien in Ton- oder Schiefergestein gepresst werden, um dieses aufzubrechen.

Dass die Vereinigten Staaten nun Öl sogar exportieren, löst ein kleines Beben aus

Dass die Vereinigten Staaten nun sogar damit beginnen, ihr Öl in aller Herren Länder zu verkaufen, wird das nächste kleine Beben auslösen und die Welt in gleich doppelter Hinsicht nachhaltig verändern. Erstens: Die Macht des arabischen Opec-Kartells, die Preise global zu diktieren, wird gebrochen, wohl ein für allemal. Und: Obwohl die Vorkommen endlich sind, wird der Rohstoff bis auf Weiteres vergleichsweise billig bleiben. Vielleicht nicht so billig wie im Moment, da das 159-Liter-Fass für 30 Dollar zu haben ist, aber weit entfernt von jenen 200 oder 300 Dollar je Barrel, die vor zwei drei Jahren als künftige Normalwerte gehandelt wurden.

Für die allermeisten Amerikaner sind diese Umwälzungen, die sie selbst maßgeblich mit angestoßen haben, ein finanzieller Segen. Für Fluggesellschaften und Reedereien sind die Kosten ebenso signifikant gesunken wie im Maschinenbau, in der Chemie- und der Bauindustrie. Praktisch alle Wirtschaftszweige profitieren außerdem davon, dass sie weniger Geld für den Transport ihrer Güter ausgeben müssen.

Mindestens ebenso gut stehen die Verbraucher da: Viele Güter des täglichen Gebrauchs sind zuletzt kaum teurer geworden, Heizöl und Gas sind so billig wie lange nicht mehr. Am deutlichsten aber wird die Revolution beim Benzinpreis, der zusammen mit den nach wie vor niedrigen Kreditzinsen wie ein kräftiges Konjunkturpaket wirkt. Etwa 55 Cent kostet der Liter Sprit umgerechnet - halb so viel wie noch vor drei Jahren. Kein Wunder also, dass die US-Autoindustrie gerade das beste Absatzjahr der Geschichte hingelegt hat.

Durch den Preisverfall verloren 100 000 Menschen ihre Arbeit. 3,7 Millionen fanden neue Jobs

Der Boom hat allerdings auch eine Kehrseite, die vor allem kleine Förderfirmen gerade kennenlernen. Über ein Dutzend Betriebe haben wegen des massiven Preisverfalls, den sie selbst mit herbei geführt haben, bereits Insolvenz anmelden müssen, fast zwei Drittel der 1600 Förderanlagen sind derzeit abgeschaltet, weil ihr Betrieb nur Geld verbrennen würde. Vor allem in Fracking-Staaten wie Pennsylvania, Ohio und North Dakota steigt die Arbeitslosigkeit, Banken fürchten um ihre Kredite, und in den eben noch prall gefüllten öffentlichen Kassen klaffen plötzlich Löcher.

Und doch: Von einem Ende des Öl-Wunders kann keine Rede sein. Vielmehr zeigt die vorübergehende Stilllegung vieler Förderanlagen einen der Vorteile der umweltpolitisch umstrittenen Fracking-Technik auf: Während ein Produktionsstopp auf einer Meeresbohrinsel nach Jahren der Planung und des Baus Unsummen kostet, lassen sich die Fracking-Anlagen nicht nur binnen Monaten errichten, sondern auch sehr flexibel nutzen. Zudem sind die Firmen, die jetzt vom Markt verschwinden, die, denen es ohnehin an Kapital mangelte. Sie werden zu Schnäppchenpreisen an Konkurrenten verkauft, die sich so für die Zukunft rüsten. Weil sich die vergleichsweise neue Technik rapide weiterentwickelt, sinken zugleich die Kosten. Mark Mills vom New Yorker Manhattan Institute geht deshalb davon aus, dass größere Schieferölfirmen künftig schon bei einem Barrel-Preis von 40 Dollar profitabel arbeiten können. Das ist die Hälfte dessen, was noch vor wenigen Jahren nötig war.

Seit Beginn des Ölpreisverfalls im Juli vorvergangenen Jahres haben in den USA etwa 100 000 Mitarbeiter von Öl- und Gasfirmen ihren Job verloren. Im selben Zeitraum wurden - auch dank des niedrigen Ölpreises - allein in der Dienstleistungswirtschaft 3,7 Millionen neue Jobs geschaffen. Tendenz weiter steigend.

© SZ vom 23.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: