US-Grenzpolitik:Trumps großer Bluff

  • Vor einer Woche hat Trump ein Dekret erlassen, mit dem er die umstrittene Familientrennung an der Grenze zu Mexiko beenden wollte.
  • Was nach einer menschlichen Geste aussah, ist es nicht. Trump hat vor allem Chaos produziert.
  • Was Trump nicht hinbekommt, regelt jetzt ein Bundesrichter. Und verdonnert die Regierung zur Familienzusammenführung binnen 30 Tagen.

Von Thorsten Denkler, New York

Es hat fünf Tage gedauert. Dann musste die US-Grenzschutzbehörde CPB aufgeben. Immigranten, die mit ihren Kindern illegal in die USA einreisten, würden vorerst nicht mehr eingesperrt, erklärte am Montag der Chef der Behörde, Kevin McAleenan. Einfach, weil kein Platz mehr da sei, die Familien gemeinsam zu inhaftieren.

Damit nicht genug hat in der Nacht ein Bundesrichter in San Diego entschieden, dass ausnahmslos alle bereits getrennten Familien wieder vereint werden sollen. Dafür hat die Regierung jetzt 14 Tage Zeit, wenn die Kinder unter fünf sind und 30 Tage, wenn sie älter sind. Insgesamt sind es mehr als 2000 Kinder. Der Richter regelt, was Trump nicht hinbekommen hat - und nicht hinbekommen wollte. Die Regierung kann gegen das Urteil Berufung einlegen, eine Stellungnahme liegt noch nicht vor.

So hatte sich das US-Präsident Donald Trump sicher nicht gedacht, als er vergangene Woche Mittwoch nach massiven Protesten ein Dekret unterschrieb, mit dem die Trennung der Familien beendet werden sollte. Anfang April hatte seine Regierung eine "Null Toleranz"-Politik an der Grenze ausgerufen. Jeder sollte hinter Gitter kommen, der die Grenze ohne Erlaubnis übertritt. Weil Kinder nicht einfach mit eingesperrt werden dürfen, wurden sie kurzerhand von ihren Eltern getrennt. Viele sind unter zwölf Jahre alt. Auch Kleinkinder und Babys wurden den Armen ihrer Eltern entrissen.

Die neue Praxis hat zu landesweitem Entsetzen geführt. Auch vielen Trump-Anhängern ging sie zu weit. Der Präsident musste reagieren. Doch das Dekret ist ein großer Bluff, mit dem Trump vor allem eines produzierte: Chaos.

Vor der neuen "Null Toleranz"-Politik konnten Immigranten-Familien ihre Asyl- oder Einwanderungsverfahren üblicherweise in Freiheit abwarten. Was oft Monate, manchmal Jahre dauern kann. Diese bisherige Praxis, dass sie in Freiheit warten dürfen, ist bekannt als "Catch & Release". Das Problem: Viele Migranten tauchen unter und melden sich nie mehr bei Gericht für ihre Asylverfahren. Was Trump und seine Anhänger besonders ärgert. Für viele Immigranten ist das Leben in den USA in der Illegalität und ohne jede soziale Absicherung immer noch besser, als zu Hause befürchten zu müssen, Bandenkriegen zum Opfer zu fallen.

Trump will deshalb niemanden mehr in die Freiheit entlassen, der die Grenze ohne Erlaubnis übertreten hat. Auch mit seinem Dekret sollte sich das nicht ändern. Die Eltern sollen dann eben mit ihren Kindern eingesperrt werde, lautete sein Anweisung. Der Bundesrichter hat - so sieht es zumindest aus - ihm da jetzt einen Riegel vorgeschoben.

Zwei Kernprobleme haben Trumps Leute im Weißen Haus offenbar übersehen oder schlicht ignoriert: Zum einen gibt es nicht genug Platz für die Familien in den dafür ausgelegten Haftzentren. Die waren schon voll, bevor Trump das Dekret unterschrieb. Und die Armee mag schnell sein, aber offenbar nicht schnell genug, um familientauglichen Platz für Tausende Eltern mit ihren Kindern zu schaffen, wie es erste Pläne vorsahen. Das ist der Hauptgrund dafür, dass McAleenan jetzt die Notbremse zog.

Trump scheitert an der Rechtsprechung

Trumps Vorstellung, Kinder dauerhaft mit ihren Eltern hinter Stacheldraht festzuhalten, scheitert aber auch an der US-amerikanischen Rechtsprechung. Kinder dürfen demnach nicht länger als 20 Tage mit ihren Eltern eingesperrt werden. Dieses Dilemma hat Trump bis heute nicht auflösen können. Das Justizministerium hat die zuständige Richterin zwar aufgefordert, die 20-Tage-Regel zu kippen. Dass das passiert, ist aber unwahrscheinlich. Sie hat schon einer ähnlichen Bitte von Barack Obama nicht entsprochen. Obama ist dann wieder zu "Catch and Release" übergegangen. Und weil die Richterin dazu keine Grundsatzentscheidung gefällt hat, konnte Richter Dana Sabraw jetzt in San Diego kaum anders, als die schnelle Zusammenführung der Kinder mit ihren Eltern zu verlangen.

Am Montag schon hatte auch Regierungssprecherin Sarah Huckabee Sanders eingeräumt, dass "wir einfach keine Ressourcen mehr haben". Offiziell aber hielt die Trump-Regierung bis zuletzt an der "Null Toleranz"-Politik fest. Es gebe da "keine Änderung", sagte Sanders. Die Entscheidung, Familien wieder freizulassen, sei nur "temporär". Das Weiße Haus werde jetzt mit dem Kongress versuchen, Wege zu finden, wie die nötigen Ressourcen bereitgestellt werden könnten. Was allerdings dauern kann.

Justizminister Jeff Sessions, der die Praktik Anfang April verkündet hatte, ist noch nicht so weit, die Realitäten anzuerkennen. "Der Präsident hat klargemacht: Wir werden jeden Erwachsenen strafrechtlich verfolgen, der illegal zu uns gekommen ist", sagte er am Montag. Was aber seit Montag schlicht nicht mehr funktioniert.

Nach wie vor völlig unklar ist, wie die Regierung jene Kinder, die schon von ihren Familien getrennt wurden, wieder mit ihren Eltern zusammenbringen kann. Zumal in den kurzen Fristen, die der Richter vorgegeben hat.

Erst 538 Kinder sind nach Angaben der Behörden wieder mit ihren Eltern zusammen. Das sind aber vor allem Kinder, die grenznah untergebracht worden sind. Viele bekommen ihre Kinder nur zurück, wenn sie bereit sind, das Land zu verlassen. Etwa 2047 Kinder sind nach wie vor von ihren Eltern getrennt und in der Obhut des Gesundheitsministeriums, räumte Gesundheitsminister Alex Azar ein.

Es gibt auch bisher kein neues Prozedere, wie Eltern und Kinder zusammengebracht werden können. Eine Arbeitsgruppe soll das jetzt finden. Die meisten Kinder befinden sich auch gar nicht mehr in der Nähe der Eltern. Sie sind über das Land verteilt worden.

Zum Beispiel nach New York, 3200 Kilometer von den Eltern entfernt. Dorthin sind in den vergangenen Wochen still und leise etwa 350 Kinder verbracht worden, die an der Grenze von den Eltern getrennt wurden. Eines davon keine neun Monate alt.

Die Bundesbehörden haben niemanden über den Zuzug informiert, weder die Stadt noch den Staat New York. Und auch nicht die Konsulate jener Länder, aus denen die Kinder womöglich stammen. Nur durch Zufall kam Ende vergangener Woche ans Licht, wie viele Kinder sich bereits in New York aufhalten.

Die Einrichtungen, in denen die Kinder heute leben, haben Verträge mit den zuständigen Bundesbehörden. Und die haben faktisch eine Nachrichtensperre verhängt. Vergangenen Donnerstag gelang es dem demokratischen Gouverneur des Staates New York, Andrew Cuomo, dennoch, einen Reporter der New York Times in eines der Auffangzentren zu schleusen. Allerdings auch nur unter der Bedingung, dass Name und Ort der Einrichtung sowie die Namen der interviewten Kinder nicht genannt werden dürfen.

Am Montag hat Cuomo dann selbst durchgegriffen. Die Betreiber der Auffangzentren werden mit dem Staat New York zusammenarbeiten, um den Kindern so schnell es geht soziale und psychologische Betreuung zukommenzulassen. Außerdem werde versucht, die Kinder übergangsweise in Familien unterzubringen.

Diese Überlandverschickung macht die Sache kompliziert. Nach der Trennung sind für die Eltern und für die Kinder völlig unterschiedliche Behörden zuständig, die ihre Daten nicht austauschen, wenn denn überhaupt ordentlich Buch geführt wird. "Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass Eltern auf eigene Faust keine Chance haben, ihre Kinder wiederzufinden", sagt die Bürgerrechtsanwältin Efrén Olivares, die in Texas versucht, Betroffenen zu helfen. "Schon gar nicht, wenn sie selbst noch in Haft sitzen oder - noch viel schlimmer - bereits in ihr Ursprungsland deportiert wurden."

Gesundheitsminister Azar konnte am Dienstag nicht einmal sagen, ob und wie viele Eltern wenigstens telefonischen Kontakt zu ihren Kindern aufnehmen konnten. Da kommt in den kommenden 30 Tagen viel Arbeit auf ihn zu.

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