USA:Trump könnte durch das Geheimdienstpapier alles verlieren

Ob die neuen Vorwürfe stimmen oder nicht: Die Mischung aus sexuellem Extremismus und Erpressbarkeit könnte auch jene abschrecken, die ihm bisher alles verziehen haben.

Kommentar von Stefan Kornelius

In diesen Zeiten kann ein vermeintliches Geheimdienstpapier alles sein - Lüge oder Offenbarung, Schmiermittel im Schmierentheater oder Analyse im Lärm der Schreipolitik. Was nun angeblich von einem britischen Ex-Agenten für privatwirtschaftliche und parteipolitische Auftraggeber über den künftigen US-Präsidenten Donald Trump zusammengetragen wurde, hat folgerichtig das Potenzial, Amerika in eine Staatskrise zu stürzen oder zur weiteren Episode in der Geschichte der Selbst-Delegitimierung des Landes und seiner Institutionen zu werden.

Warum man dieses Papier ungeachtet aller unbelegter Darstellungen ernst nehmen muss? Weil es die Geheimdienste der USA ernst nehmen. Die vier ranghöchsten Behördenchefs in Sachen innerer und äußerer Sicherheit sind beim gewählten Präsidenten erschienen, um die Ernsthaftigkeit der Situation zu verdeutlichen. Ein halbes Jahr hatten die Dienste Kenntnis und damit Zeit, die Vorwürfe zu bestätigen oder zu widerlegen. Sie haben einen Zeitpunkt nach der Wahl und vor der Amtseinführung gewählt, um Trump damit zu konfrontieren. Man sollte das Papier also nicht sofort abtun.

Trump könnte seine einzige Machtbasis verlieren: die Wähler

Natürlich besteht die Möglichkeit, dass die Dienste lediglich außergewöhnliche Mittel ergreifen, um den selbsterklärten System-Zerstörer Trump im letzten Moment von seinem Werk abzuhalten. An Fantasie darf es nicht mangeln, auch und gerade nicht in der Beurteilung des US-Sicherheitsapparates. Doch steht hier, ehe die Sache endgültig ins Konspirative abdriftet, eine andere Abwägung dagegen: Gerade die Geheimdienste wissen um den Wert und die Macht der Institution der Präsidentschaft. Würden sie das Amt derart mutwillig in den Dreck ziehen, würden sie möglicherweise größeren Schaden anrichten, als das Trump je vermag.

Die toxische Mischung aus sexuellem Extremismus und Erpressbarkeit, verborgen unter der Fellmütze des russischen Geheimdienstes, wird auch jene Trump-Wähler erreichen, die ihrem Idol bisher jede Verfehlung und Großmäuligkeit verziehen haben. Diese Wähler sind Trumps einzige Machtbasis. Wenn er sie verliert, verliert er alles. Trump hat ansonsten wenig Verbündete - er hat sie nicht im politischen Establishment (auch der eigenen Partei nicht), nicht bei den Behörden, nicht in der amerikanischen Wirtschaft und natürlich nicht bei der zahlenmäßigen Mehrheit im Land, die Hillary Clinton gewählt hat. Trump spürt also, noch ehe er im Amt ist, den Eiseshauch, der ihm in Washington entgegenschlagen wird.

Atemberaubend schnell kann aus der Supermacht eine Superlachnummer werden

So wie er im Wahlkampf mit allen unlauteren Mitteln seine Gegner zerstört hat, werden nun alle erdenklichen Folterwerkzeuge für Trump ausgepackt. Die Rohheit des Lewinsky-Impeachments gegen Bill Clinton hat sich im kollektiven Gedächtnis der politischen Klasse in den USA eingebrannt. Trump darf keine Schonung erwarten.

Trump ist nicht unverwundbar, wie es im Wahlkampf erschien. Im Gegenteil. Seine politischen Rundumschläge in der Zeit des Übergangs zeugen von mangelnder Souveränität und mehr noch von völliger Kenntnislosigkeit des politischen Betriebs, der Gesetze und der Komplexität der Welt. Trump wird diese Welt nicht an seiner Simplizität ausrichten können, die USA werden sich der kruden Logik ihres Präsidenten nicht unterwerfen. Irrationale Entscheider lösen keine Probleme, sie türmen immer neue auf. Das hat Trump in nur acht Wochen mit seiner Irrlichterei bewiesen. Irgendwann stürzt dieses Gebilde aus Lüge, Fantasie und Geschwätz zusammen.

Vernünftige Menschen in Washington überlegen deswegen nicht, wie sie Trump mit Häme und Hinterlist bekämpfen können, sondern wie sie das Land vor dem freien Fall und dem Aufprall bewahren können. Kein Präsident in der amerikanischen Geschichte hatte so viel Zerstörungspotenzial in der Hand wie Trump, niemals war Amerika verwundbarer - als global verwobene, innovative, ökonomische und natürlich auch sicherheitspolitische Supermacht. Das Erpressungs-Papier zeigt, wie atemberaubend schnell aus dieser Supermacht eine Superlachnummer werden kann.

In welch krassem Gegensatz steht dazu die auslaufende Präsidentschaft von Barack Obama, der skandalfrei, seriös und ernsthaft das Land acht Jahre lang geführt hat. Obama scheiterte am Ende auch an der Härte, ja dem Hass, der Washington fest umschlungen hält. Seine Präsidentschaft bleibt unvollendet, weil der US-Kongress es so wollte. Wer immer glaubte, dieser politische Betrieb werde eines Tages die Schraube von Zerstörung, Blockade und Hass nicht mehr weiter drehen können, dem hat Donald Trump nun einen neuen Horizont eröffnet. Nichts ist unmöglich in Amerika.

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