NSA-Gesetz:Dämpfer für das Angstkartell

Senate Debates NSA Phone Surveillance Powers Ahead Of Patriot Act Deadline

Das Kapitol bei Nacht: Zum ersten Mal seit 2001 haben im Kongress überparteiliche Mehrheiten dafür gestimmt, den Sicherheitsapparat zu beschneiden.

(Foto: AFP)

Zum ersten Mal seit 9/11 wird dem Sicherheitsapparat der USA etwas genommen, statt ihm immer mehr zu geben. Das kann aber nicht überdecken, wie viel das Kartell des Schreckens erreicht hat.

Kommentar von Nicolas Richter

Die USA sind trotz ihrer enormen Stärke ein ängstliches, leicht zu verunsicherndes Land. Besonders seit den Anschlägen 2001 hören sie oft auf Propheten des Untergangs, die ihnen im Namen der Sicherheit die abstrusesten Dinge einreden. Zu diesem Kartell des Schreckens gehörte einst schon Präsident George W. Bush, der die Telefondaten aller Amerikaner sammeln ließ und die Eroberung eines ganzen Landes zur reinen Vorsichtsmaßnahme erklärte.

Zu diesem Kartell gehören heute Politiker wie die Präsidentschaftsanwärter Lindsey Graham und Marco Rubio. Graham verlangt (schon wieder) US-Bodentruppen im Irak, weil der Islamische Staat sonst Amerika erobern könnte. Rubio möchte den USA neue militärische "Stärke" verordnen, natürlich ohne zu erwähnen, dass die USA militärisch ohnehin schon so stark sind wie kaum je in ihrer Geschichte.

"Stärke" kann Inkompetenz, Hybris und Täuschung bedeuten

In dieser Woche immerhin ist in Washington etwas Bemerkenswertes geschehen: Zum ersten Mal seit 2001 haben im Parlament überparteiliche Mehrheiten dafür gestimmt, dem Sicherheitsapparat etwas zu nehmen, statt ihm immer noch mehr zu geben. Die National Security Agency muss ihre unter Bush geschaffene Datenbank für Inlandstelefonate aus der Hand geben und das weitere Sammeln den Telefonfirmen überlassen.

Dies ist weniger NSA-Reform als vielmehr eine Korrektur, aber immerhin ein symbolischer Sieg gegen die Sicherheitsfanatiker: 14 Jahre nach dem 11. September ist es in Washington wieder möglich, den Geheimdiensten etwas zu verwehren, ohne gleich als Landesverräter zu gelten.

Amerikas ewiger Wettbewerb zwischen Sicherheit und Freiheit ist damit nicht zugunsten der Freiheit entschieden, aber vielleicht ist es nun ein Wettbewerb, der etwas fairer und nüchterner ausgetragen wird. Das Mega-Sicherheitspaket "Patriot Act" entstand Ende 2001 in einer Mischung aus Schock, Panik und patriotischem Zorn. Die US-Regierung weitete ihre Befugnisse dann heimlich aus: Jedes Telefonat mit der Großmutter galt nun als potenziell relevant, um Dschihadisten zu verfolgen. Als die Öffentlichkeit Verdacht schöpfte, belog der Geheimdienstchef das Parlament.

Schock, exekutiver Exzess und Lüge - all dies hat den US-Überwachungsapparat mitgeformt. Es ist bezeichnend, dass Präsident Barack Obama dies zunächst hingenommen hat. Der einstige Kritiker einer übereifrigen Exekutive hätte die NSA früh einhegen können, tat es aber nicht. Obama ist ein Beispiel dafür, dass Menschen ihren Argwohn vor dem Sicherheitsstaat schnell verlieren, sobald sie ihn selbst zu kontrollieren glauben.

Die Stimmung hat sich geändert

Nun hat das Parlament zum ersten Mal eingeräumt, dass die USA nach dem 11. September überreagiert haben, und zwar zu ihren eigenen Lasten. Den Anstoß dafür hat Edward Snowden gegeben, der die Methoden der NSA enthüllte, und die treibenden Kräfte waren jetzt Pragmatiker in beiden Parteien: Wie alle Landsleute möchten sie auf keinen Fall einen neuen 11. September erleben, aber sie möchten sich vom Staat auch nicht alles bieten lassen.

Besonders unter Republikanern hat sich die Stimmung geändert: So sehr sie ausländische Gruppen wie den IS verabscheuen, so sehr misstrauen sie auch der eigenen Regierung. Der libertäre Senator Rand Paul hat recht, vor der systematischen Panikmache zu warnen, derer sich Washingtons Sicherheitspolitiker seit Jahren bedienen, um dem Volk immer neuen Schrecken einzujagen.

Der eigentliche Sieg von Washingtons Angst-Politikern

Aber die jüngste NSA-Korrektur kann nicht überdecken, wie viel das Sicherheitskartell in den vergangenen 15 Jahren erreicht hat und wie viel davon bleiben wird. Die NSA wird auch weiterhin eine Speicherstadt in Utah betreiben für unvorstellbare Datenmengen aus aller Welt. Sie wird weiterhin die engsten Verbündeten der USA ausspähen. Sie wird weiterhin den Kern bilden der größten, unübersichtlichsten und teuersten Sicherheitsapparate in der Geschichte der Menschheit.

Gleichzeitig zeichnet sich ein Wahlkampf um die Präsidentschaft ab, in dem sich die Kandidaten darin überbieten werden, im Ausland noch mehr "Stärke" und "Härte" zu zeigen, wobei diese "Stärke" erfahrungsgemäß immer auch ein anderes Wort sein kann für eine verhängnisvolle Mischung aus Hybris, Täuschung und Inkompetenz. Ob im Namen der US-Sicherheit am Ende wieder US-Bodentruppen im Irak stehen werden, ist freilich unklar. Aber die Republikaner könnten dem Volk durchaus weismachen, dass es Amerikas Sicherheit erfordert, abermals im irakischen Wüstensand zu kämpfen.

So oder so hat der Großteil der nach dem 11. September geschaffenen Sicherheitsinfrastruktur erst einmal Bestand. Das ist der eigentliche Sieg von Washingtons Angst-Politikern.

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