US-Wahlwerbung in Ohio:Volle Dröhnung Schmutz

Niemand, wirklich niemand kann im Swing State Ohio den Negativ-Botschaften entkommen, die Obama und Romney in die Medien pumpen. Hier im Mittleren Westen sind alle genervt vom US-Wahlkampf und seiner verleumderischen Werbung. Auch unser Korrespondent, der sich von Tea-Party-Aktivisten Mut zusprechen lässt.

Matthias Kolb, Cincinnati

US-Wahlwerbung in Ohio: "Obama besiegen, Freiheit verteidigen" - so wirbt die Waffenlobby NRA um Stimmen für den Republikaner Mitt Romney.

"Obama besiegen, Freiheit verteidigen" - so wirbt die Waffenlobby NRA um Stimmen für den Republikaner Mitt Romney.

(Foto: König, Michael)

Politik rund um die Uhr und auf allen Kanälen: Im Swing State Ohio können weder Bürger noch Reporter dem Wahlkampf mit seinen Negativ-Botschaften entgehen. Aus Autoradio und Hotel-TV tönen Werbespots voller Verleumdungen über den politischen Gegner. Die Polizei berichtet, dass immer mehr Wahlkampf-Schilder aus Vorgärten gestohlen werden. Und bei Starbucks bereiten sich Tea-Party-Aktivisten aus Texas auf das letzte Gefecht gegen Präsident Obama vor.

Es beginnt schon im Parkhaus. Kaum habe ich im Mietwagen das Autoradio eingeschaltet, kommt der erste Spot. Ohios republikanischer Gouverneur John Kasich klagt über das "kaputte System in Washington" und ruft zur Wahl seines Parteifreunds Josh Mandel auf: "Was wir jetzt brauchen, ist Ehrlichkeit. Josh ist ehrlich und er wird im Senat aufräumen."

Noch bevor ich danach das erste Mal Musik höre, folgt eine Attacke auf Mitt Romney (hier anzuhören): Das demokratische Super-Pac Priorities USA und eine Gewerkschaft investieren viel Geld, damit die Wähler nicht vergessen, dass der Republikaner 47 Prozent der Amerikaner als Sozialschmarotzer bezeichnet hat. Dann heißt es: "Romney ist ein Millionär, der Schlupflöcher nutzt, damit er weniger Steuern zahlen muss als eine Krankenschwester oder ein Polizist."

"Wann ist dieser Irrsinn endlich vorbei?"

Drei Tage war ich in Ohio, Amerikas wichtigstem Swing State, unterwegs, um über die letzten Auftritte von US-Präsident Barack Obama und Mitt Romney zu berichten. Doch gleichzeitig wurde die Recherche-Reise zu einem nicht geplanten Selbstversuch: Ist es in Ohio möglich, dem Wahlkampf zu entkommen? Nein, so gut wie nicht. Jede zweite Radiowerbung dreht sich um Politik - das gilt für das American Family Radio ebenso wie für die Classic-Rock-Spezialisten von The Brew.

Die Menschen in Ohio sind einerseits stolz, dass alle vier Jahre die halbe Welt auf den Buckeye State schaut und die Spitzenpolitiker hier ständig auftreten. Andererseits sind alle genervt von dem Werbe-Bombardement. "Wann ist dieser Irrsinn endlich vorbei?" fragt Scott, der Nachtportier im Motel in Columbus. Wie viele junge Leute ist er von beiden Parteien frustriert und hatte Ron Paul (Hintergründe in diesem Artikel) unterstützt - der libertäre Außenseiter scheiterte aber in den Vorwahlen der Republikaner. Nun wählt Scott Obama, weil er Romney nicht vertraut.

Im Zimmer schalte ich den Fernseher ein und zappe hin und her. Im TV ist es nicht anders als im Radio: Gefühlt jeder zweite Spot ist Wahlwerbung. Es beginnt mit einem Spot der Waffenlobby NRA: "Verteidigt die Freiheit. Besiegt Obama."

Einer der wichtigsten Super-Pacs, der offiziell unabhängigen Wahlvereine, ist Crossroads GPS, gegründet vom Bush-Intimus Karl Rove. Crossroads attackiert Sherrod Brown, den demokratischen Senator: "Die Steuern gehen hoch, die Zahl der Jobs geht runter. Browns Unterstützung für Obamas falsche Politik steigt, Ohios Wirtschaft gerät ins Trudeln."

Ab und an höre ich sogar positive Botschaften: Die Republikaner haben Romneys Schluss-Statement der TV-Debatte bebildert, in dem er versprach, die Menschen zusammenzubringen. Und in einem "Entschlossenheit" genannten Video schafft es auch Obama ein Mal, Romney nicht als Unmenschen darzustellen, sondern mit der Bilanz seiner ersten Amtszeit um Wählerstimmen zu bitten.

Am häufigsten flimmert der zurzeit umstrittenste Clip Amerikas über den Bildschirm: "Romney for President Inc." zweifelt an der Wirkung von Obamas Autorettung mit Staatsgeldern. Ein Sprecher raunt: "Wer wird mehr für die Autoindustrie tun? Obama hat GM in den Bankrott geführt und Chrysler an Italiener verkauft. Die werden nun Jeeps in China bauen. Mitt Romney wird für jeden Arbeitsplatz in Amerika kämpfen."

Der Clip wurde von Fact-Checkern kritisiert, General Motors wies die Behauptung zurück und die Washington Post war so erbost, dass sie einen Kommentar mit der Überschrift "Mitt Romney beleidigt die Wähler" druckte. Ihr Vorwurf: Romney setze offenbar darauf, dass sich die Amerikaner an nichts erinnern und nicht rechnen können. Der letzte Satz lautet: "Wir hoffen, das Ergebnis am Dienstag belehrt ihn eines Besseren."

Auf einen Kaffee mit der Tea Party

Obama wirft Romney bei allen Events in Ohio vor, dieser "massiere die Fakten" und natürlich sind auch entsprechende Clips in der TV-Dauerschleife. Doch der Präsident, der einst als Einiger antrat, und seine Demokraten sind ebenso brutal. Immer wieder hämmern mir Spots folgende Botschaft ein: "Wenn Mitt Romney gewinnt, verliert die Mittelschicht." Und ich sehe auch den ekelhaften Clip, in dem Romney und Bain Capital für den Krebstod einer Frau verantwortlich gemacht werden, weil ihr Ehemann Job und Versicherung verloren hatte (Hintergründe und Richtigstellungen hier.)

Dieses Vorgehen gefällt auch Joe Healy nicht, einem Wähler, den ich vor Obamas Rede in der Stadt Hilliard treffe (mehr in diesem Blog-Beitrag): "Der Wahlkampf ist brutal und wird immer schlimmer." Er berichtet mir, was ich als Ausländer nicht erlebe: Ständig würden Freiwillige der Parteien anrufen und für ihren Kandidaten werben. "Ich bin die vergangenen zwei Wochen nicht ans Telefon gegangen, wenn ich die Nummer nicht kannte", sagt Healy, an dessen Jacke ein "I voted early"-Sticker klebt. Eigentlich gefalle ihm das Ritual am Wahltag, doch er ist pragmatisch: "Wer seine Stimme abgibt, dessen Telefonnummer verschwindet aus den Dateien der Kampagnen."

Spurensuche im Speckgürtel

Der Weg nach Cincinnati zur großen Veranstaltung von Romney und Ryan (mehr in diesem Blog-Beitrag) führt durch Randbezirke von Columbus und kleinere Orte. Vor Wahlen stellen die Amerikaner gern Schilder in ihre Vorgärten, die zeigen, welchen Politiker sie unterstützen - oder eben ablehnen. Während die Attacken aus dem Radio dröhnen, lese ich: "Feuert Obama", "Repeal Obamacare" oder "Stolzes Mitglied der 47 Prozent". In Florida und Ohio mehren sich Berichte, dass diese yard signs gestohlen, zerstört oder mit Säure überschüttet wurden.

Am letzten Tag fahre ich durch die Vororte von Cincinnati, um nochmals mit Wählern zu sprechen. Experten und Berater sind sich einig, dass in den suburbs rund um die Metropolen jene Menschen wohnen, die sich noch nicht festgelegt haben. Die Washington Post spricht sogar von einem "Panera Block" und spielt damit auf eine in den Speckgürteln populäre Restaurantkette an, die frische Salate, gesunde Sandwiches, guten Kaffee, acht Teesorten sowie kostenloses Internet zu fairen Preisen anbieten.

Bei Panera in West Chester höre ich an diesem Nachmittag die üblichen Argumente ("Ohne Obamas Politik wäre alles viel schlimmer, mit der Wirtschaft geht es aufwärts" versus "Mitt Romney weiß, wie man Jobs schafft und wir dürfen unseren Kindern nicht so viele Schulden hinterlassen"). Die eindrucksvollste Begegnung habe ich später in einer Starbucks-Filiale. Auch Bob Hall holt sich hier einen Kaffee, bevor er wieder an Türen klopfen und für Mitt Romney werben wird.

"Amerika wird immer europäischer"

Hall hat sich vor fünf Tagen mit seiner Frau Kay in Texas ins Auto gesetzt und ist nach Ohio gefahren, um seinen Beitrag zu leisten, dass Obama nicht wiedergewählt wird. "Obamacare ist ein Bürokratiemonster und führt direkt in die Abhängigkeit", sagt der Tea-Party-Aktivist. Amerika werde immer europäischer, sprich sozialistischer, klagt der 70-Jährige: "Die Demokraten nehmen den Menschen den Anreiz, sich anzustrengen." Obama sei eine Gefahr für das Militär - auf meinen Hinweis, dass das Budget des Pentagons seit 2001 stetig gestiegen sei, geht er nicht ein. Es ist eine interessante Diskussion, auch wenn keiner die Gegenseite überzeugen kann.

Bob und Kay sind sehr nett, schenken mir ein Pappschild mit dem Motto ihres lokalen Tea-Party-Vereins (hier das Beweisfoto) und laden mich nach Texas ein. Kays Augen blitzen, als sie über Michelle Obama spricht: "Sag den Deutschen, dass sie keine gute First Lady ist. Sie ist so falsch und hat keinen guten Charakter." Als sie hören, dass ich den Wahlabend in Chicago verbringe, schauen beide besorgt: "Sei bloß vorsichtig als Weißer. Es wird Ausschreitungen geben, wenn Romney gewinnt." Bob ist überzeugt, dass der Republikaner triumphieren wird: Vor vier Jahren seien die Demokraten enthusiastischer gewesen, doch 2012 seien die Konservativen motivierter.

Der Weg nach Chicago führt von Cincinnati über die weiten Felder von Indiana. Dieser Bundesstaat ist weit weniger umkämpft. Auf der fünfstündigen Fahrt wechsle ich wieder die Radiosender und höre Werbespots für Hautcremes, Auto-Leasing und Matratzen. Es ist sehr erholsam, so kurz vor dem großen Finale.

Linktipp: Eine interessante Reportage über den Swing State Ohio erschien kürzlich im New York Times Magazine und ging der Frage nach, wem der dortige Wirtschaftsaufschwung zu verdanken sei: Der von Obama durchgesetzten Rettung der Autoindustrie oder den Reformen von Gouverneur John Kasich. Und in diesem Video zeigt die NYT anschaulich, wie im "Swing State der Swing States" um Wählerstimmen gekämpft wird.

Der Autor twittert unter @matikolb.

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