US-Wahlkampf:Ausgehungert nach Bill Clinton

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Für Al Gore durfte er nicht auftreten, weil er zu populär war, für John Kerry konnte er nicht auftreten, weil er zu krank war. Jetzt ist der ehemalige US-Präsident Bill Clinton zum ersten Mal seit seiner Herzoperation wieder in den Wahlkampf gezogen. Und 80.000 Fans jubelten ihm zu.

Von Marc Hujer

Er sah blass aus, abgemagert und schwach, und selbst seine Freunde werden zugeben müssen, dass er an diesem Nachmittag wie ein hölzerner Kleiderbügel in seinem Anzug hing. Aber das hat die Begeisterung nicht gebremst, die Ungeduld, mit der die 80000 Menschen im Love Park von Philadelphia auf sein erstes Erscheinen nach der Herzoperation gewartet haben.

Er trat Arm in Arm mit John Kerry auf die Bühne, seine alte Wahlkampfhymne, "Don't stop (thinking about tomorrow)", wurde eingespielt, und es regnete Konfetti in den Nationalfarben. Bill Clinton genießt diese Momente noch immer und bevor er in Philadelphia die Stimme erhob, bevor er sagen konnte, wie dankbar er sei für den Auftritt, den Jubel und die Gebete, füllt sich der Park zwölf Häuserblocks tief mit Jubel.

"Wenn das nicht gut für mein Herz ist", rief Clinton schließlich, "dann weiß ich nicht, was es sonst noch ist."

Es war ein leichter Erfolg für Bill Clinton, den letzten und einzigen lebenden Superstar der Demokraten, denn die Fans waren ausgehungert. Vor vier Jahren wurde er vom Präsidentschaftskandidaten Al Gore praktisch aus dem Wahlkampf der Demokraten verbannt.

Genüsslich auf der Bühne

Die Umfragen ergaben damals, dass die Demokraten nach jedem Auftritt Clintons Stimmen in der Mitte verloren. Und jetzt, da ihn John Kerry endlich wieder zurück auf die Bühne holen wollte, fiel Clinton aus, wochenlang, weil er sich nach seiner Herzoperation schonen musste.

Nur wenige Minuten hat er in Philadelphia gesprochen, unverhältnismäßig wenig für einen, der wie er so genüsslich auf der Bühne steht. Seine Freunde haben das einerseits mit Sorge gesehen, weil es ein Hinweis auf seine noch immer schwache Gesundheit sein mag, andererseits auch mit Erleichterung, weil es zumindest für Kerry den Vorteil hatte, dass er nicht allzu lang in Clintons Schatten verschwand, wie es später in den Zeitungen stand.

George W. Bush hatte an diesem Tag seinen wichtigsten Auftritt in Colorado. Dort steht eine Änderung des Wahlmännerverfahrens zur Abstimmung - das könnte wahlentscheidend sein. Doch es war kein guter Tag für den Präsidenten. Schlechte Nachrichten aus dem Irak, diesmal das ungeklärte Verschwinden von 350 Tonnen Sprengstoff, stellten sein Krisenmanagement erneut infrage und zu allem Überfluss füllte Bill Clinton auch noch die Schlagzeilen.

Während sich die Demokraten den Rest des Tages am Auftritt "des letzten ordnungsgemäß gewählten Präsidenten der Vereinigten Staaten" berauschten, ätzte Karl Rove, Bushs engster Berater, der Auftritt Clintons zeige die Schwäche der Demokraten. "Sie haben Clinton aus dem Krankenhaus in den Wahlkampf rollen müssen, weil sie bei ihren Stammwählern so schlecht dastehen".

Ein Einzeiler für jeden Auftritt

Es stimmt, dass die Demokraten noch lange über Clinton redeten, und dass selbst seine Worte backstage noch gewendet wurden. Die Antwort auf Kerrys Frage etwa, was er, Clinton, und Bush gemein hätten: "Dass wir in acht Tagen beide Ex-Präsidenten sind."

Aber auch Bush spürt den Druck, einen Superstar neben sich zu stellen. Und so verdichtet sich das Gerücht, dass am Freitag Arnold Schwarzenegger, der Gouverneur Kaliforniens, mit ihm bei einer Wahlkampfveranstaltung in Ohio auftreten soll.

Die Schlagzeilen wären Bush dann gewiss, nicht nur, weil sich Schwarzenegger wochenlang geziert hat, für Bush in den Wahlkampf zu ziehen, sondern auch, weil der Gouverneur von Kalifornien für jeden Auftritt einen gerne zitierten Einzeiler parat hat.

Am Montag kalauerte er, er habe gerade den Halloween-Kürbis seiner Kinder zurückgehen lassen, weil er ein "demokratischer Kürbis" gewesen sei, denn er habe "den Teint von John Kerry" gehabt und die Rundung des Gesichts von Senator Ted Kennedy. Präsident Bush, unbeirrt, setzt in dieser Woche auf ihn.

© SZ vom 27.10.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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