US-Wahlen:Die Hexe, die auf der Wut-Welle reitet

Im US-Staat Delaware kämpft Rechtsaußen-Kandidatin O'Donnell um einen Senatssitz - auf skurrile Weise. Sie fälschte ihren Lebenslauf, bezahlte Mietschulden mit Wahlkampfspenden - und früher, da hexte sie ein bisschen.

C. Wernicke

Alle sind gegen sie. Jedenfalls alle Mächtigen. Zum Beispiel die Chinesen, von denen Christine O'Donnell seit langem weiß, "dass sie einen ausgeklügelten und strategischen Plan haben, um Amerika zu übernehmen." Oder all die Demokraten, die hier daheim in Delaware, dem ersten Staat, der einst die amerikanische Verfassung ratifizierte, nun seit mehr als einem Jahrzehnt den Ton angeben. Und die nationalen Fernsehsender, deren Talkshow-Master keinen TV-Abend verstreichen lassen, ohne irgendeinen Witz zu reißen auf Kosten dieser Tea-Party-Kandidatin.

Republican candidate O'Donnell responds to Democratic candidate Coons during a televised debate in Newark

Christine O'Donnell will Sentarin Delawares werden - und führt einen zuweilen skurrilen Wahlkampf gegen den demokratischen Kandidaten Chris Coons (links).

(Foto: REUTERS)

Selbst in den eigenen Reihen lauert der Feind: Etliche Republikaner, in deren Namen sich die 41-jährige Frau mit den jugendlichen Pausbäckchen und den langen braunen Haaren nun bewirbt für einen Sitz im US-Senat zu Washington, wünschen ihr heimlich die Krätze an den Hals. "Die wird nicht mal zum Hundefänger gewählt", hat der örtliche Vorsitzende der Grand Old Party öffentlich gelästert.

Eine Hexe reitet auf der Welle der Wut

Christine O'Donnell lächelt zu alledem. Trotzig und tapfer und oft gewinnend. So wie jetzt, da sie nach der Debatte im Rotary-Club von Wilmington langsam durch den Ballsaal des edelsten Hotels am Ort schreitet und Hände schüttelt. Irgendwie kreuzt Bernie Daney ihren Weg, der galante, über 90 Jahre alte Rentner. O'Donnell strahlt, da der Großvater ihr sagt, "was für einen tollen Job" sie da eben vollbracht habe im Rededuell mit ihrem demokratischen Herausforderer: "Respekt!" Dankbar ergreift sie Bernies Hand und flüstert ihm eine Bitte ins Ohr: "Sir, ich hoffe, Sie denken an mich, wenn Sie am 2. November in der Wahlkabine stehen." Daney grinst. Und schweigt.

Nein, wirklich überzeugt hat Christine O'Donnell kaum jemanden unter den 200 Honoratioren, die hier - unter prunkvollen Kronleuchtern und bei paniertem Hühnchen mit Brokkoli - arg giftige politische Kost verdauten. Sämtliche Umfragen verheißen Christine O'Donnell eine herbe Niederlage, mit bis zu 20 Prozentpunkten Rückstand. Weshalb sie mit dem Mut der Verzweiflung zur Attacke bläst, sobald Chris Coons, der so biedere wie blasse Demokrat, in ihrer Nähe ist. "Mein Gegenkandidat will nur nach Washington, um dort alles abzusegnen, was ihm Obama vorlegt", wettert O'Donnell.

Überall im Land versucht die konservative Tea-Party-Bewegung, auf der Welle der Wut gegenüber der Hauptstadt zu reiten. Obamas Schuldentreiberei, seine ungeliebte Gesundheitsreform, sein angeblicher Plan für eine teure Benzinsteuer - mit all diesem Horror wartet auch O'Donnell auf. "Eine Stimme für meinen Gegner wird eine durchschnittliche Familie in Delaware 10.000 Dollar Steuern mehr im Jahr kosten", hat sie diese Woche im TV-Duell bei CNN behauptet. Einen Beweis für diese kühne Zahl hat sie nicht.

"Ich stell die Antwort auf meine Website - versprochen"

Nur scheint das niemanden zu stören. Nicht einmal Chris Coons, den Beschuldigten: Der Demokrat lächelt ungerührt an seinem hölzernen Pult, derweil Christine O'Donnell ihm vor den versammelten Rotariern unterstellt, er sei nur für mehr Klimaschutz, weil dann sein Familienunternehmen kräftig von Staatszuschüssen profitieren würde. Selbst auf den Vorwurf, Coons habe als Landrat erst Menschen mit Behinderung um einen Steuerrabatt gebracht, um dann 53.000 Dollar für eine Modenschau zu verschleudern, geht der Demokrat nicht näher ein: "Herr Vorsitzender, ich habe hier nicht die Zeit, auf all diese Unwahrheiten und Lügen zu antworten."

Coons spekuliert darauf, dass O'Donnell sich selbst in den politischen Bankrott redet. Dass sie, die seit Wochen im Rampenlicht einer überaus schrillen Kampagne steht, sich selbst verbrennt. Anderswo, in konservativeren Landstrichen, wäre diese Taktik gefährlich. Aber hier, im bodenständigen Delaware, könnte die demokratische Rechnung aufgehen. Es wurde zuletzt ja so allerhand bekannt über O'Donnell: Etwa, dass sie vor zwei Jahren vorm Offenbarungseid stand, und dass die Steuerbehörde sie jagte, oder dass sie mehrmals ihren Lebenslauf fälschte und dass sie bei früheren Kandidaturen dreist Wahlkampfgelder missbrauchte, um ihre Mietschulden zu bezahlen.

Obendrein tauchte dann noch das alte Video aus den neunziger Jahren auf, da sie in einer Talkshow gestand: "Ich hab mich früher mal ein bisschen in Hexerei versucht." Weshalb Christine O'Donnell nun versucht, aus all dieser Not eine Tugend zu machen. Ihr erster Werbespot begann mit einem Lächeln und der Beteuerung: "Ich bin keine Hexe." Das Video präsentierte sie als einen Menschen mit Schwächen und machte sie endgültig im ganzen Land bekannt - auch wegen des letzten Satzes: "Ich bin Du!" Weshalb sich, wo immer O'Donnell seither auftaucht, nun ein paar als Hexen verkleidete Demonstranten einfinden, die Besen schwingen.

"Fakten zählen im Wahlkampf wenig"

Es würde an ein Wunder grenzen, würde Christine O'Donnell am 2. November dennoch gewinnen. Nur, unmöglich ist nichts bei dieser Protestwahl. "Fakten zählen in diesem Wahlkampf wenig", warnt Lindsay Hoffmann, die als Expertin für politische Kommunikation an der Universität Delaware sehr penibel die Botschaften der Tea Party analysiert hat: "Die Verbindung zum Wähler geschieht rein emotional, viele Menschen erkennen sich in ihr wieder." Genau das sei das Manko von Barack Obama, der als Präsident meist zu unterkühlt daherkomme. "Und das ist O'Donnells Stärke."

Zudem erfährt sie Hilfe, sogar aus dem verfluchten Washington. Zwei Debattentrainer, die 2008 schon Sarah Palin, der republikanischen Kandidatin für das Vizepräsidentenamt, Nachhilfe erteilten, übten diese Woche stundenlang mit O'Donnell. Und das meiste Geld für ihren Wahlkampf stammt ebenfalls von ortsfremden Gönnern. Viel genutzt hat es nicht. Gleich mehrfach musste Christine O'Donnell auf Fragen der Moderatoren passen: "Ich weiß das momentan nicht. Aber ich stell die Antwort auf meine Website - versprochen!" Was wiederum Bernie Daney, dem weißgrauen Rotarier, nicht genügt: "Sie ist ein nettes Mädchen, aber wählen kann ich sie nicht."

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