US-Wahlen:Danke für den Klassenkampf, Bernie Sanders!

Sanders greets voters near City Hall on primary election day in Philadelphia

Bernie Sanders begrüßt Wähler in Philadelphia bei den Vorwahlen in Pennsylvania.

(Foto: REUTERS)

Der Senator aus Vermont war kein perfekter Kandidat und doch eine Sensation: In der Heimat des Hyperkapitalismus hat er eine Generation zu politischem Leben erweckt, die ungerechte Verteilung von Reichtum und Chancen nicht mehr akzeptieren kann.

Kommentar von Johannes Kuhn, New Orleans

Eingefleischte Anhänger auf beiden Seiten des Atlantiks mögen es nicht akzeptieren, aber der erstaunliche Weg des Präsidentschaftskandidaten Bernie Sanders geht zu Ende. Hillary Clintons Erfolge in vier der fünf Vorwahlen im Nordosten machen es Sanders nahezu unmöglich, als Kandidat der Demokraten nominiert zu werden. Das heißt allerdings nicht, dass die enorme politische Kraft dahinschwindet, die seine Kampagne in den vergangenen Monaten gesammelt hat.

Auf den ersten Blick reiht sich Sanders in jene Erblinie populistischer Kandidaten aus dem demokratischen Lager ein, die irgendwann an ihrer mangelnden Mainstream-Wählbarkeit scheiterten. Der Nixon-Herausforderer George McGovern schaffte es 1972 noch am weitesten; der kalifornische Gouverneur Jerry Brown, Ex-NBA-Spieler Bill Bradley oder zuletzt 2004 Howard Dean, ebenfalls aus Vermont, scheiterten im Laufe der Vorwahlen.

Sanders' überraschende Erfolge mögen auch aus seiner antielitären Rhetorik und der Beschwörung einer revolutionären Bewegung gespeist sein - und aus der Tatsache, dass Clinton keine außergewöhnliche Wahlkämpferin ist. Doch es wäre fahrlässig, seine Beliebtheit auf jene Ausprägung des Populismus zu reduzieren, der mit ein paar korrigierenden Handgriffen die Grundlage genommen werden kann.

Superreiche werden bevorzugt - und beeinflussen ganz legal die Politik

Das "manipulierte System", das die Superreichen bevorzugt, existiert. Genauer betrachtet wiederholt sich gerade amerikanische Geschichte: Bereits das Ende des 19. Jahrhunderts brachte durch Eisenbahn und Industrieproduktion die ersten amerikanischen Superreichen hervor, die sich die politischen Prozesse zu eigen machten.

Heute sind die USA das, was der Politologe Jeffrey A. Winters als "zivile Oligarchie" des konzentrierten Vermögens bezeichnet: Ein System, in dem die "Reichtumsverteidigungsindustrie" mit der Demokratie koexistiert, weil sie diese ganz legal und wirkungsvoll beeinflussen kann.

Die daraus entstandene Ungleichheit ist durch Globalisierung und digitale Vernetzung in allen Industrienationen zu erleben. Nirgends jedoch so extrem wie in den USA, wo der Pfad des Geldes zu politischem Einfluss deutlich sichtbar ist. Und hier kommt Sanders als ungewöhnlicher Sprecher einer jungen Generation ins Spiel, die in der Finanz- und Wirtschaftskrise zu politischem Bewusstsein kam und nun erlebt, wie sie keinen Fuß auf die Erde bekommt.

Auch der von Obama angekündigte Wandel stand in der Tradition Bill Clintons

Barack Obama mobilisierte 2008 die Massen mit dem Versprechen von hope und change: Er wollte das polarisierte Land vereinen und vor allem die militaristische expansive Außenpolitik der Bush-Jahre beenden. Als Politiker ist Obama allerdings jener progressiven Mitte zuzuordnen, die in der Tradition von Bill Clinton steht.

Um wählbar zu sein, schloss Clinton in den Neunzigern Frieden mit der Reagan-Koalition und dem Primat einer liberalen Wirtschaftspolitik. Später folgte die europäische Sozialdemokratie unter Gerhard Schröder und Tony Blair mit ihrem "dritten Weg" diesem Schritt.

Sanders kündigt den Konsens der Clinton-Jahre auf und bringt den Klassenkampf zurück

Seitdem tastet das progressive Amerika diesen Konsens nur am Rande an und konzentriert sich erfolgreich auf postmaterielle Werte wie Toleranz anderer Lebensentwürfe (gleichgeschlechtliche Ehe) oder (weniger erfolgreich) Umweltschutz. Nun kündigt Sanders diesen Konsens der Clinton-Jahre auf und bringt den Klassenkampf zurück ins Spiel. Dass er damit 2016 in der Heimat des Hyperkapitalismus Erfolg hat, sagt ebenso viel über den prekären gesellschaftlichen Zustand der USA aus wie die Popularität von Donald Trump. Der erfährt im konservativen Lager ebenfalls die Unterstützung jener, die vom System enttäuscht sind - und versammelt sie hinter einer weitaus destruktiveren Botschaft.

Auch Sanders verspricht einfache Lösungen, und bleibt Details und gangbare Wege zu einer Reform schuldig. Auch dass seine Botschaft eine Dagegen-Bewegung vereinte, gehört zu seinen Schwächen. Doch der 74-Jährige hat dafür gesorgt, dass seine Themen - 15 Dollar Mindestlohn pro Stunde, bezahlbare Hochschulbildung oder Mutterschutz - nicht mehr zu ignorieren sind. Er hat Millionen junge Amerikaner für seine politische Anliegen mobilisiert und Türen geöffnet: Sein Erfolg gibt aufstrebenden Politikern einen Anlass, sozialdemokratische Positionen zu vertreten und den Einfluss von Interessengruppen zu meiden.

Es ist ein langer Weg, so zu strukturellen Mehrheiten zu kommen. Um ihn zu ebnen, müssen Sanders und seine Anhänger ihre Ideen zunächst zum Pfeiler im programmatischen Spektrum der Demokraten machen; ihr Engagement darf nicht nachlassen, auch nicht, wenn Obamas Nachfolger ins Weiße Haus einzieht.

Schnelle Ergebnisse wird es nicht geben

Die Chancen für eine fortgesetzte Mobilisierung stehen gar nicht schlecht: Einer Harvard-Umfrage zufolge ist die Zustimmung der 18- bis 29-Jährigen zu klassischen Sanders-Positionen in den vergangenen zwölf Monaten stark angestiegen, von einer allgemeinen Krankenversicherung bis zu stärkerer staatlicher Armutsbekämpfung. Im Jahr 2020 wird diese Bevölkerungsgruppe Prognosen zufolge 36 Prozent der Wahlberechtigten stellen.

Schnelle Ergebnisse sind jedoch illusorisch. Auch junge Wähler können ihre Meinung ändern, Themen unterliegen Konjunkturen und es gibt derzeit keine strukturelle Mehrheit für die Ideen, die Sanders verkörpert. Noch ist nicht einmal gesagt, ob hinter der Reformbegeisterung Altruismus steckt. Doch am Horizont leuchtet mit der fortschreitenden Automatisierung bereits die nächste Entwicklung, die existierende Ungleichheiten eher verstärken wird - und noch dringender nach Antworten verlangt.

Als die Superreichen der USA zum Ende des 19. Jahrhunderts ihren Einfluss festigten, dauerte es mehr als ein Jahrzehnt, bis die Reformbewegung ihnen politisch Einhalt zu bieten begann. Es brauchte nochmals zwei Jahrzehnte und eine Weltwirtschaftskrise, bis der New Deal den amerikanischen Sozialstaat gebar.

Wie kurz wirken dagegen jene zwölf Monate, die Bernie Sanders benötigte, um das Unbehagen über die Exzesse des Kapitalismus in den amerikanischen Mainstream zu tragen. Seine Präsidentschaftskandidatur wäre eine Sensation gewesen. Doch der Gedanke, dass in den Vereinigten Staaten gerade eine neue Reformbewegung entsteht, ist nicht weniger sensationell.

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