US-Wahl:Ohio, die Wahl und die Angst vor dem Chaos

Welcher Präsidentschaftskandidat in den Umfragen vorne liegt, ist gar nicht so wichtig. Wichtig ist, wer in Ohio siegt. Nur wenige Bundesstaaten entscheiden am Ende darüber, wer Präsident wird. Grund ist das komplizierte Wahlsystem - und schiefgehen kann dabei allerhand.

Reymer Klüver

Ohio macht es spannend. Wieder einmal. Wenn die US-Wahlforscher nicht völlig danebenliegen, wird die Entscheidung über den nächsten, den 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten erneut in diesem ansonsten eher langweiligen Bundesstaat fallen - so wie zuletzt 2004. Ohne einen Sieg hier kann Mitt Romney wohl einpacken. Noch nie ist ein republikanischer Kandidat ins Weiße Haus eingezogen, der nicht in Ohio gewonnen hätte. Präsident Barack Obama dagegen könnte sich theoretisch eine Niederlage leisten, doch würde es auch für ihn ohne einen Sieg in Ohio erheblich enger.

Diese Schlüsselstellung hat der Bundesstaat am Rande von Amerikas weitem Mittleren Westen nur einem zu verdanken: dem vertrackten US-Wahlsystem. Denn im Gegensatz zur landläufigen Meinung (selbst vieler Amerikaner) wählt in den USA nicht das Volk den Präsidenten direkt. Den bestimmt vielmehr ein Gremium von 538 Frauen und Männern, das sogenannte Electoral College. Nur über dessen Zusammensetzung entscheiden die Wähler am kommenden Dienstag, dem Tag der Präsidentschaftswahl, und zwar Bundesstaat für Bundesstaat. In fast allen Bundesstaaten gilt dabei die Regel: Der Kandidat, der die Stimmenmehrheit erringt, bekommt alle Wahlleute des Staates zugeschlagen. In Ohio zum Beispiel sind es 18.

Deshalb ist es gar nicht einmal so wichtig, welcher Kandidat in den landesweiten Umfragen in der Gunst der Wähler vorne liegt. Es kommt vielmehr darauf an, wer im Electoral College am Ende die magische Zahl von 270 Stimmen erreicht - die absolute Mehrheit der Wahlleute. Ein kompliziertes System, das schon öfters reformiert werden sollte. Bisher sind jedoch alle Versuche gescheitert, weil man dafür die US-Verfassung ändern müsste. Und dafür sind die Hürden hoch.

Bei Wahlen mit klaren Verhältnissen ist alles kein Problem. Dann verstärken die Mehrheitsverhältnisse im Electoral College nur das wahre Ergebnis der Präsidentschaftswahl. 2008 zum Beispiel erzielte Obama 52,9 Prozent der Stimmen, sein Konkurrent John McCain lediglich 45,7. Im Electoral College wurde Obama mit 365 zu 173 Stimmen gewählt.

Heikler ist es, wenn die Wahl knapp wird. So wie diesmal. Dann könnte es passieren, dass der Wahlsieger am Ende als Verlierer dasteht, weil sein geringer Vorsprung in der Wählergunst sich am Ende des Wahltages nicht in der Zusammensetzung des Electoral College widerspiegelt. So war es zuletzt im Jahr 2000. Damals hatte der demokratische Vizepräsident Al Gore die Wahl in gewisser Hinsicht gewonnen - jedenfalls die sogenannte popular vote: Der Demokrat hatte eindeutig die meisten Wählerstimmen errungen. Präsident aber wurde nicht Gore, sondern George W. Bush. Warum? Der Republikaner sicherte sich im Electoral College dank seines umstrittenen Wahlsiegs in Florida die Mehrheit der Stimmen. Er gewann die sogenannte electoral vote - und nur diese zählt.

Diesmal könnte es zu einer Umkehr der Verhältnisse kommen. Der Republikaner Mitt Romney könnte das Nachsehen haben, wenn die Wahlarithmetik von Barack Obamas Strategen aufgeht. Im Durchschnitt der Umfragen liegen Romney und Obama derzeit landesweit gleichauf, jeder hat etwa 47 Prozent der Stimmen. Das Meinungsforschungsinstitut Gallup bescheinigte Romney sogar einen klaren Vorsprung. In den meisten der wahlentscheidenden Bundesstaaten jedoch - den umkämpften battleground states, in denen völlig offen ist, wer siegen wird - liegt Obama leicht vorn. Hält er diesen Vorsprung, würde er die Mehrheit im Electoral College erringen und bliebe Präsident.

Und so rechnen Obamas Strategen: Elf Bundesstaaten sind noch mehr oder weniger umkämpft - Nevada, Colorado, Michigan, Iowa, Wisconsin, Florida, North Carolina, Virginia, New Hampshire, Pennsylvania und eben Ohio. In den restlichen 39 Bundesstaaten gilt das Rennen als gelaufen, entweder für Romney oder für Obama. Mit diesen sicheren Staaten kommt Obama im Electoral College auf 201 Stimmen, sein Konkurrent auf 191. In Umfragen liegt Obama zudem in Michigan, Pennsylvania, Nevada, Iowa und Wisconsin vorn (zusammen 58 Wahlleute-Stimmen). Dazu noch die 18 Stimmen von Ohio, wo er Romney ebenfalls in den Umfragen beharrlich aussticht - und er hätte gewonnen.

Es wird eng

Für Romney sieht die Lage schwieriger aus. Er müsste nicht nur Florida, North Carolina, Virginia und New Hampshire gewinnen. Er müsste eben auch Ohio holen. Dann wäre er bei exakt 270 Wahlleuten - und der nächste US-Präsident. Würde er in Ohio verlieren, müsste er in fast allen restlichen battleground states gewinnen, um doch noch ins Weiße Haus zu kommen. Was mehr als unwahrscheinlich wäre - und was erklärt, warum beide Kandidaten so heftig um Ohios Wähler buhlen.

Doch weil alles so eng wird, wären auch ganz andere Ergebnisse denkbar, zum Beispiel ein Patt im Electoral College, 269 zu 269 Stimmen. Auch dieser Fall ist gesetzlich geregelt. Allerdings ist das Verfahren so komplex, dass am Ende sogar - rein theoretisch - der amtierende Vizepräsident Joe Biden oder selbst der republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses, John Boehner, ins Weiße Haus einziehen könnten. Doch dafür müsste ziemlich viel zusammenkommen.

Gäbe es ein Patt im Electoral College, müssten Amerika und die Welt zunächst einmal warten. Denn erst am 6. Januar 2013 wird das neue Repräsentantenhaus zusammentreten, über dessen Zusammensetzung ebenfalls am kommenden Dienstag entschieden wird. Als erste Amtshandlung hätte es dann den Präsidenten zu wählen. Allerdings dürften die 435 Abgeordneten nicht einzeln abstimmen, sie müssten blockweise votieren, Bundesstaat für Bundesstaat: Jeder der 50 Staaten hat dabei nur eine Stimme. Präsident würde der Kandidat, der 26 Stimmen bekäme. Das dürfte dann Romney sein, wenn die Republikaner wie bisher in 33 Bundesstaaten die meisten Abgeordneten stellen.

Im Senat würde ein ähnliches Verfahren für die Wahl des Vizepräsidenten laufen. Sollten die Demokraten dort die Mehrheit behalten, könnte es also passieren, dass sie Joe Biden zum Vize wählen. Damit nicht genug. Sollte das Repräsentantenhaus aus irgendeinem Grund bis zum Tag der Amtseinführung am 20. Januar 2013 keinen Präsidenten bestimmt haben, würde der im Senat gewählte Vize kommissarisch Staatschef: Biden würde ins Weiße Haus einziehen. Hätte sich aber auch der Senat bis dahin nicht geeinigt, müsste der Sprecher des Repräsentantenhauses einspringen: vermutlich also John Boehner. Das Chaos wäre komplett.

Doch so weit braucht es nicht zu kommen: Die Wähler müssen sich nur eindeutig entscheiden.

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