US-Wahl:Obamas Angst vor dem Umfragesieg

Gefährliche Statistik: Präsidentschaftskandidat Obama liegt wenige Tage vor der Wahl in Meinungsumfragen vorne. Doch er sollte sich nicht allzu sicher fühlen - zu oft haben sich Demoskopen schon geirrt.

Barbara Vorsamer

Der nächste Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika heißt Barack Obama.

US-Wahl: Nicht zu viele Vorschusslorbeeren: Obamas Vorsprung in den Umfragen kann gefährlich werden.

Nicht zu viele Vorschusslorbeeren: Obamas Vorsprung in den Umfragen kann gefährlich werden.

(Foto: Foto: AP)

Ganz bestimmt.

Alle Institute der USA sind sich hier einig, CBS News geht sogar von einem Vorsprung von 14 Prozentpunkten aus. Doch dass bei Umfragen Vorsicht geboten ist, wusste schon Fußballreporter Werner Hansch, der sagte: "Ja, Statistiken. Aber welche Statistik stimmt schon? Nach der Statistik ist jeder vierte Mensch ein Chinese, aber hier spielt gar kein Chinese mit."

Auch Obama traut dem Hype nicht. Er tritt schwungvoll auf die Euphoriebremse und versucht, seinen Vorsprung kleinzureden. Richtig so: Denn Umfragen sind nicht die Wahlen, auch wenn oft so getan wird als wären sie das amtliche Endergebnis oder zumindest ein Zwischenstand.

Noch ist keine einzige Stimme für Obama gezählt worden. Für McCain auch nicht. Und die Umfrageinstitute haben sich schon während des Vorwahlkampfes vor allem mit Fehlprognosen hervorgetan.

Wahlergebnisse vorherzusagen ist nicht einfach - schon alleine, weil die Institute mit Stichproben arbeiten und diese auf die Bevölkerung hochrechnen. Das bedeutet, eine Prognose ist nur auf ein paar Prozentpunkte genau.

Das aber macht die meisten Vorhersagen irrelevant. So soll Obama Gallup zufolge 49 Prozent erhalten, sein republikanischer Konkurrent John McCain 47 Prozent. "Ein paar Prozentpunkte" hin oder her könnte hier das Ergebnis ins Gegenteil verkehren.

Diese Ungenauigkeit - im Statistikkauderwelsch "Konfidenzintervall" - ist aber nicht die einzige Fehlerquelle.

Lesen Sie auf der nächsten Seite von Antwortverweigerern, Lügnern und dem für Obama gefährlichen Bradley-Effekt.

Obamas Angst vor dem Umfragesieg

Ein anderes Problem ist die Frage: Wer antwortet überhaupt? Die meisten Institute erheben ihre Daten am Telefon, was bei der US-Präsidentschaftswahl 1936 zum größten Prognosedesaster aller Zeiten führte.

Eine Umfrage der Zeitschrift Literary Digest prophezeite, gestützt auf die Antworten von mehreren Millionen Amerikanern, einen Sieg des Republikaners Alfred Landon. Die Wahl gewann jedoch Franklin D. Roosevelt.

Telefonanschlüsse waren 1936 eben noch nicht besonders verbreitet - und wer einen hatte, gehörte der wohlhabenderen und zu den Republikanern neigenden Schicht an.

Heutzutage hat jeder ein Telefon.

Oder zwei oder drei. Und wer drei hat, ist dreimal so leicht erreichbar. Manche Menschen wiederum besitzen nur noch ein Mobiltelefon oder lassen grundsätzlich erst mal den Anrufbeantworter laufen. Und besonders viele Menschen besitzen die Frechheit, zwar ranzugehen, dann aber nicht mit dem Interviewer zu reden.

Umfrageinstitue bedienen sich hier wieder ihrer beliebtesten Methode und rechnen hoch. Doch das führt zu Problemen, denn die Nicht-Antworter sind ganz andere Typen als die Antworter.

Wenigstens lügen sie nicht. Das wiederum machen nämlich die Antworter ganz gerne. Nicht jeder traut sich, am Telefon seine wahren Gedanken preiszugeben, und so entsteht ein Effekt, vor dem Barack Obama besonders Angst haben muss: Der Bradley-Effekt.

Er ist benannt nach dem kalifornischen Gouverneurskandidaten Tom Bradley, der 1982 in allen Prognosen führte, dann jedoch die Wahl verlor. Bradley war - wie Obama - schwarz.

Spätere Studien fanden heraus, dass zum einen Rassenvorurteile besonders bei Antwortverweigerern verbreitet waren, zum anderen, dass viele der Befragten nicht zugeben wollten, Vorbehalte zu haben. Um politisch korrekt zu wirken, behaupteten sie, Bradley zu wählen, handelten dann aber in der Wahlkabine ganz anders.

Auf der nächsten Seite: Wie Umfragen die Umfragen beeinflussen und was das alles mit Oper zu tun hat.

Obamas Angst vor dem Umfragesieg

Ähnliche Probleme gibt es mit den Nichtwählern. Am Telefon beteuern sie, auf jeden Fall ihre Stimme abzugeben, am Wahltag lassen sie es dann doch sein. Gefährlich für Obama, denn besonders die Schwarzen und Hispanics bleiben Abstimmungen häufig fern.

Für Obama könnte sich aber am Ende der Bandwaggon-Effekt auswirken. Im Moment sehen alle US-Institute den Senator der US-Demokraten als Sieger und die Leute schlagen sich gerne auf die Gewinnerseite. Vermutlich behaupten derzeit auch republikanisch gesinnte Wähler, schon immer für Obama zu sein - das kommt einfach cooler.

Bei allem Respekt also für die Demoskopen: Die Wahl wird erst am 4. November entschieden.

Um also wieder ein Zitat heranzuziehen, diesmal von der Indie-Band Kettcar: Solange die dicke Frau noch singt, ist die Oper nicht zu Ende.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: